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Was vor 27 Jahren als singendes, klingendes Revoluzzer-Prekariats-Opus begann, wurde als „Les Miserables“ ein bis heute andauernder, eben verfilmter Musical-Welterfolg. Nun sieht es so aus, als ob sich das Wunder von Stratford wiederholt. Der Hit, der seit über einem Jahr im Londoner Westend spielt, schickt sich an, ab April auch den New Yorker Broadway zu entern: Matilda, nach dem gleichnamigen, auch in Deutschland gern gelesenen Buch von Roald Dahl. Der hatte es 1988 auf seine frisch-freche Art hinbekommen, ein strebsames Mädchen, das sich von seinen Unterschichtseltern freistrampelt, zu einer sympathisch subversiven Heldin aufzubauen. Die sich zudem eines Drachens von kinderhassender Schuldirektorin erwehren muss, die früher Hammerwerferin war und stattdessen jetzt gern die ihr Anvertrauten durchs Klassenzimmer schleudert. Der australische Comedystar Tim Minchin mit seinen originellen Mitklatschsongs und der Regisseur Matthew Warchus haben das so clever wie einfach im Cambridge Theatre in eine hinreißende Theaterproduktion verwandelt. In einem aus Buchstabensalat immer neu zusammengesetzten Bühnenbild agieren fast alle Erwachsenen als kreischige, dabei lebensüberdrehte Karikaturen und die Kinder als souveräne Beherrscher einer Welt, die noch nicht die ihre ist.
Dabei ist offenbar nur im beinhart durchkommerzialisierten Westend möglich, Bataillone sich abwechselnder musicalgestählter Kinder zu finden, die gleichzeitig hochprofessionell sind, aber nicht gedrillt wirken, natürlich, nicht naseweis rüberkommen, mit viel Charme, der auch in der x-ten Mittagsmatinee noch spontan wirkt.
Und jetzt müssen wir das Loblied auf zwei Interpreten singen. Zum einen ist da der amerikanische Tenor Robert Dean Smith. Der steht mit Ökonomie und Intelligenz seit Jahren in der ersten Reihe der Wagnerinterpreten. Allein in Bayreuth war er sieben Sommer lang ein tadelfreier Tristan, nicht der größten Liebhaber einer, was wunderbar in den eher mauen Spießerlook der Christoph- Marthaler-Inszenierung passte. Und der im dritten Akt immer sang, nie brüllte oder Noten weg ließ. Nun brachte Smith aber innerhalb weniger Tage ein nur selten zu hörendes Kunststück fertig. In Dresden war er Christian Thielemanns Lohengrin bei dessen lokalem Wagner-Einstand. Er veredelte Christine Mielitz’ 30 Jahre alte, doch frisch gebliebene Inszenierung als unheldischer Schwanenritter, der sich im Brautgemach leider vergeblich als Liebeskämpfer erweist. Mag auch die Höhe intelligent ertrotzt sein, was für eine Linienführung und was für eine Sprachdeutlichkeit! Und auch ohne Italianità im Timbre war in München sein Radames unter Paolo Carignani ein Musterbeispiel an Piano-Delikatesse und sensibler Ehrlichkeit. Wohl auch, weil er grandiose Partnerinnen hatte: Soile Isokoski als Elsa und Sondra Radvanovsky als echte Spinto-Aida. Drei Vokalartisten mit feiner Diktion und wissendem Wohllaut.
Genrewechsel. Nochmals Musical. Wir lieben Katharine Mehrling, nur 154 Zentimeter hoch, aber auf der Bühne ganz groß. In einem hierzulande erstaunlicherweise von Holländerinnen beherrschten Geschäft die einzige Deutsche mit Starqualität. Sie ist Göre und Diva, Spatz von Paris und gedächtnisschwache Nonne. Sie singt wunderbar freche Chansons mit dem uralten Klarinettenkönig Rolf Kühn und war in einem früheren Schlagerleben sogar als leibeigene Ralf-Siegel- Trälleramsel Cassy erfolgreich. Gegenwärtig steht sie in den Schuhen zweier Legenden, die sie grandios individuell ausfüllt. Am Berli ner Schl ossparkth eat er ist sie Judy Garland in ihren letzten Lebenswochen am End Of The Rainbow. Sie singt und schreit gegen den Verfall und das Vergessen. Am Theat er Dort mund spielt Katharine Mehrling die urzeitliche Comedy-Legende Fanny Price, so wie der Broadway sie in Funny Girl sah - und wie damit Anfang der Sechziger Barbra Streisand berühmt wurde. 18 Kostümwechsel, freche Fee und eleganter Star, die Mehrling trägt den bunten Abend mit Chuzpe und Charisma.
Roland Mackes, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 1 / 2013
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