home

N° 1297
18. - 24.03.2023

nächste Aktualisierung
am 25.03.2023



Startseite · Oper & Konzert · Da Capo

(c) Monika Rittershaus

Abgeklärter Mythos im Hörsaal: George Enescus "Oedipe"

Frankfurt, Oper

„Es gibt keine Erkenntnis außer der Hoffnung“, verkündet als bitteres Fazit die Schrift an der Schieferwand. Die liest ein Reisender ins Ich, den Regisseur Hans Neuenfels an der Oper Frankfurt staunend und zunehmend erschrocken losschickt. Es ist Ödipus, der Vatermörder, der Mutterschänder. Freilich in der seltenen Variante der eigentlich vieraktigen, 1936 in Paris uraufgeführten einzigen Oper des als Geigenvirtuose bekannten rumänischen Komponisten George Enescu.
Der alte Bühnenwolf Neuenfels liebt die Antike, in Frankfurt konzentriert er sich auf das Wesentliche, modernisiert und moderiert abgeklärt den Mythos im modernen, sanft ironisierenden Hörsaal-Gewand. Natürlich gibt es neuerlich die stummen Mitspieler, diesmal eine Hilfskrafthorde stylish-räudiger Punks, zudem erscheinen die üblichen, mal würzigen, mal witzelnden Neuenfels-Kommentare als subjektive Sicht aus der Ödipus-Perspektive auf Rifail Ajdarpasics nüchternem Einheitsraum.
Sein rechtmäßiger, aber fataler Thebanerkönig, den der famose Simon Neal mit baritonaler Durchschlagskraft, aber auch sensiblen Tönen des Zweifels und Leids sehr menschlich singt, steigt willig als Protagonist in die Handlung ein, die er zunehmend als seinen eigenen, grausamen Lebensweg erkennt. Wo Enescu mehrere Sophokles-Tragödien ausschlachtet, da konzentrieren sich Neuenfels und sein deutscher Übersetzer Henry Arnold in 100 pausenlos verdichteten Minuten. Am Schluss eliminieren sie Enescus, als vierten Akt aus dem „Oedipus in Kolonos“ gesogenes, statischoratorienhaftes Weiterleben und erlösungsbereites Sterben. Er irrt in die Ferne. Alles ist gesagt, das Weitere scheint folgerichtig.
Es ist trotz aller Ungeheuerlichkeiten ein heller, fast heiterer, sanft didaktischer Opernabend. Alexander Liebreich am Pult modelliert und knetet plastisch die kantigen Schönheiten der kraftvollen Partitur heraus. Der klangprächtige Chor gibt den neutralen Kommentator. Und das hervorragende Frankfurter Opernensemble hat wie auf dem Catwalk lauter schöne, vignettenhafte Einzelauftritte.

Roland Mackes, 01.02.2014, RONDO Ausgabe 1 / 2014



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Da Capo

Berlin, Staatsoper im Schillertheater

Ob auch diese „Tosca“ 38 Jahre lang im Repertoire bleiben wird wie die Vorgängerproduktion an […]
zum Artikel

Pasticcio

Sängergewerkschaft

Meldungen und Meinungen aus der Musikwelt

Bis vor kurzem war auch Star-Bariton Michael Volle ständig unterwegs und weltweit an den […]
zum Artikel

Gefragt

Jeanine de Bique

Segen der Karibik

Sie ist die erste Sopranistin aus der tropischen Karibik, die in Europa für Aufsehen sorgt – und […]
zum Artikel


CD zum Sonntag

Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Der spätbarocke Dichter Barthold Heinrich Brockes (1680–1747) begründete seinen Ruhm durch die 1712 entstandene Passionsdichtung „Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesus“. Mit dieser hochemotionalen Schrift war er so erfolgreich, dass gleich 13 zeitgenössische Komponisten diese vertonten, darunter Händel, Keiser, Mattheson und Stölzel. Auch Georg Philipp Telemann lernte den Text 1716 kennen und schrieb in seiner Autobiographie, dass „dessen Poesie von allen […] mehr


Abo

Top