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(c) Jörg Steinmetz
Keine Frage: Michael Wollny ist eine der größten Ausnahme-Erscheinungen im europäischen Jazz der vergangenen Dekade. Von der „Süddeutschen Zeitung“ als „Jahrhunderttalent“ gefeiert, sorgt der 35-jährige Pianist regelmäßig für Erstaunen: Sei es mit dem viel gefeierten Trio [em], sei es im nicht minder preisgekrönten Duo mit dem Saxofonisten Heinz Sauer, sei es in der Zusammenarbeit mit der israelischen Cembalistin Tamar Halperin.
Da kann sich mitunter ein ganz schön großer Erwartungsdruck bei jeder neuen Einspielung aufbauen. Kein Wunder, dass sich Wollny ausnahmsweise nach ein bisschen Ruhe sehnte. „Ich wollte mal weg von all diesen Projekten mit Manifest-Charakter“, umschreibt er die Ursprungsidee des ersten Albums seines neuen Trios, das aus dem langjährigen Weggefährten Eric Schaefer an den Drums und dem USKontrabassisten Tim Lefebvre besteht.
Dummer- oder vielmehr glücklicherweise hat das mit dem vorsätzlichen Verzicht auf ein Manifest überhaupt nicht funktioniert: Auf „Weltentraum“ verhandeln Wollny und die Seinen auf denkbar entspannteste und melodietrunkenste Weise das Thema „Avantgarde“, indem sie sich ritualhaft pulsierend Stücke von lauter Vor- und Querdenkern verschiedenster Kunst-Disziplinen zu eigen machen – von modernen und mittelalterlichen Neutönern wie Edgar Varèse oder Guillaume de Machaucht über Film-Eigenbrötler wie David Lynch und Charlie Kaufman bis hin zu Gottestöter und Gelegenheits-Tonsetzer Friedrich Nietzsche.
Der persönliche Bezug zu den Komponisten habe bei ihm eine starke Rolle gespielt, sagt Wollny. Etwa zu Alban Berg, den er schon immer verehrte, aber erst jetzt zu lieben gelernt habe. Oder zu Paul Hindemith, dessen „Rufe in der horchenden Nacht“ der Pianist als Jahrgangs-Pflichtstück in der neunten Klasse am Musikgymnasium zugeteilt bekam. Das Ergebnis dieser ungewöhnlichen Repertoire-Auswahl, die von allen Band- Mitgliedern peu à peu während einer dreiwöchigen gemeinsamen Tour zusammengetragen wurde, ist verblüffend homogen: Schaefers ungewöhnliches Schlagzeugspiel, Lefebvres kernige Bassgrundierungen und Wollnys hoch emotionale Klavierlinien verbinden sich zu einer einheitlichen Aussage, die den Popjazz-Einschlag der von Esbjörn Svensson begründeten Klavier-Trio-Tradition gehörig transzendiert.
Trotzdem verbirgt sich keine Kampfansage dahinter, kein Beweisenwollen, wie Wollny unterstreicht. „Der eigentliche Ansatz war für mich, Songs zu finden, die zu mir sprechen – und vor allem singen“, erklärt der Pianist. „Plötzlich tauchten da immer wieder die gleichen Themen auf: Nacht, Jenseits, Utopie.“ Und der ursprüngliche CD-Titel „My Standards“ wich dem von Gustav Mahler geprägten Begriff „Weltentraum“, dem das Trio leichtfüßig Leben einhaucht. Es zeigt sich mal wieder, dass das Ungeplante der beste Nährboden für den Jazz ist.
Dazu passt, dass auch das Trio ursprünglich ein Zufallsprodukt war. Eigentlich sollte Bassist Lefebvre nur die befreundete Kollegin und [em]-Gründerin Eva Kruse während ihrer Babypause ersetzen. Dass daraus jetzt mehr wurde, ist für Wollny – die Fans von [em] dürfte es freuen – keineswegs gleichbedeutend mit dem Ende der alten Erfolgsformation: „Bislang wurden nur Türen geöffnet und keine zugemacht.“
Josef Engels, 01.03.2014, RONDO Ausgabe 1 / 2014
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