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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Robert Schumann zum 200. Geburtstag

Der Dichter spricht

Schumanns kürzlich wiederentdecktes Albumblatt »Ahnung« liegt nun in einer ersten Einspielung vor: ein poetisches Charakterstück, das vermutlich aus dem Umkreis von Schumanns »Kinderszenen« stammt. Ohne Zweifel war Schumann eine literarisch/ musikalische Doppelbegabung. Was aber hat es mit seiner »Poesie der Tonkunst« auf sich? Eine Annäherung von Markus Kettner.

Robert Schumann fand für die Poesie Töne und übersetzte Musik in Poesie. Manchmal aber konnte der Introvertierte richtig böse werden. »Ungeschickteres und Bornierteres« sei ihm nicht leicht untergekommen, als das, was der Kritiker Ludwig Rellstab über seine »Kinderszenen« schrieb. »Der meint wohl, ich stelle mir ein schreiendes Kind hin und suche die Töne danach. Umgekehrt ist es.« Rellstab wird nicht der einzige bleiben, der Schumanns »Poesie der Tonkunst« missverstand. Denn Schumann ging es beileibe nicht darum, eine lebendige Anschauung mit Tönen zu beschreiben, wie es ihm auch in den »Kreiserliana « nicht darum zu tun war, Dichtung in Musik zu verwandeln. Er suchte vielmehr nach einer gemeinsamen Substanz, die sowohl der Dichtung als auch der Musik zugrunde lag. »Der Dichter spricht«, so lautet die Überschrift zum bedeutungsvollen letzten Stück der »Kinderszenen«. Im wirklichen Leben aber sprach er nicht viel. Der Kritiker Eduard Hanslick hatte bei einem Besuch den Eindruck, Schumann wolle ihn »fortschweigen«, und seine Frau Clara musste oft dreimal »Was?« fragen, bevor sie den Murmelnden verstand. Nur in der Musik und in seinen Kritiken war er ein brillanter Redner.
Der Sohn eines Verlagsbuchhändlers hatte sie alle gelesen, seine Hoffmanns und Novalis’, seine Tiecks und Schlegels. Ihre Idee, dass Musik, gerade weil sie ohne Begriffe spricht, viel mehr ausdrücken kann, als es Worte je vermögen, fiel bei Schumann auf fruchtbaren Boden. »Jeder Tonkünstler ist ein Dichter, nur ein höherer«, so vertraut Schumann seinem Tagebuch an – und »Musik ist höhere Potenz der Poesie«. Schumanns frühe fantastische Klavierstücke sind nicht Programm-Musik im eigentlichen Sinne, sie schildern keinen außermusikalischen Inhalt, sie sprechen musikalischdichterisch auf ihre Weise. Ist dies nicht etwas spitzfindig? Durchaus nicht, denn im Gegensatz beispielsweise zu Berlioz’ »Symphonie fantastique« oder Liszts Sinfonischen Dichtungen bleiben Schumanns Werke stets aus sich selbst heraus verständlich und bedürfen keines erklärenden Programms. Friedrich Nietzsche sah in Schumann einen, der »halb Wertherisch, halb Jean-Paulisch geartet« in die »›Sächsische Schweiz‹ seiner Seele« flüchtete und attestierte ihm einen gefährlichen »Hang zur stillen Lyrik und Trunkenboldigkeit des Gefühls«. Der Philosoph fühlte den inneren Widerspruch, dass der »kleinliche« Gefühlsinhalt, den Schumann musikalisch eben doch zum Ausdruck bringen wollte, nicht zu dessen Ambitionen nach großer, absoluter Musik passte.
Als Musikschriftsteller hegte Schumann eine ängstliche Scheu, die Musik verstandesmäßig zu analysieren, weil eben gerade das begriffliche Zergliedern genau das nicht traf, was er als den Kern der Kunst ansah: ihre Poesie. Und so machte er es, wie es der genialische Romantiker Friedrich Schlegel empfahl: »Poesie kann nur durch Poesie kritisiert werden.« Schumanns Musikkritiken, die er in der von ihm gegründeten »Neuen Zeitschrift für Musik « veröffentlichte, überführen die Musik ins Medium der Sprache und sind selbst poetische Kunstwerke par exellence. Ab 1844 jedoch wollte Schumann von der Musikschriftstellerei nichts mehr wissen. Seine Tragik war, dass die zeitgleich stattfindende Abkehr vom poetischen Stil seiner früheren Werke hin zu einer formaleren und objektiveren Musiksprache sich zwar als ästhetisch konsequent erwies, beim Publikum aber letztlich erfolglos blieb. »War der Mensch genial«, konstatierte der Dirigent Hans von Bülow, »bevor er bei Felix in die Schule ging« – und meinte damit, Schumanns Versuch, »absolute Musik« nach Mendelssohn’schem Vorbild zu schreiben, sei gründlich misslungen. Als Düsseldorfer Musikdirektor scheiterte Schumann nicht zuletzt durch seine schroffe, schweigsame Art. In der Endenicher Heilanstalt aber brachte er musikalisch bis zum Ende das Schweigen zum Tönen. Er fantasierte nicht selten am Klavier und komponierte noch zwei Choralbearbeitungen zu den vielsagenden Versen »Wenn mein Stündlein vorhanden ist« und »Stärk uns, Mittler, dein sind wir« – letztere freilich ohne unterlegten Text. Und noch eine Woche vor seinem Tod vermerkt die Krankenakte über den nur mehr Dahindämmernden: »sang gestern mit Taktschlagen [...] summt heute wieder.«

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»Erinnerte Zukunft«: Schumanns Klavierstück »Ahnung« ist eine kleine Kostbarkeit. Birgt es auch ein kleines Geheimnis?

Würden wir das Stückchen schon 150 Jahre kennen, wir hätten nicht viel Aufhebens darum gemacht. Ein Charakterbildchen für Klavier, gerade mal 24 Takte lang. Gespielt dauert es keine zwei Minuten. So aber ist es schon eine kleine Sensation, was sich auf dem mit »Ahnung « überschriebenen und bis dato völling unbekannten Notenblatt vor uns ausbreitet. Clara Schumann hatte es dem befreundeten Julius Allgeyer geschenkt, als sie 1856 mit Johannes Brahms und ihren Kindern auf der Durchreise in die Schweiz am Bodensee Station machte. Mit dem Nachlass der Allgeyers verschwand das Autograf in der Leopold-Sophien-Bibliothek in Überlingen, wo es erst 2006 von der Bibliothekarin Roswitha Lambertz entdeckt wurde. In D-Dur steht es, eine typische Schumann-Melodie im 2/4-Takt ruhig zuerst das obere Tetrachord, dann das untere durchschreitend und zum Beginn zurückkehrend, von Achteltriolen in der Begleitung belebt – so simpel, so schön.
Wahrscheinlich entstand die Miniatur im Zusammenhang mit den »30 kleinen putzigen Dingern«, die Schumann 1838 komponierte und aus denen er 13 für seine »Kinderszenen« auswählte, die anderen aber offensichtlich verwarf. Verwarf? Nicht ganz, denn die musikalische Substanz der »Ahnung« ging in einer anderen, zeitgleich entstandenen Komposition auf, einer Art Polonaise aus den Novelletten für Klavier, ein Werk voller literarisch-musikalischer, aber auch biografi scher Anspielungen. »Ballmäßig« und »Rauschend festlich« lauten hier die Vortragsbezeichnungen, »Egmontsgeschichten, Familienscenen mit Vätern« und eine »Hochzeit« habe er darin verborgen, so der verliebte Robert an seine Braut, und zweimal wird Beethovens »An die ferne Geliebte« zitiert. Träumt sich Schumann hier sein eigenes, bisher von Claras Vater hintertriebenes Hochzeitsfest herbei? Und warum verschenkte Clara das Autograf mit der »Urmelodie« nur wenige Monate nach Schumanns Tod? Belassen wir es bei den Andeutungen und Ahnungen, die dem Romantiker Schumann mehr lagen als alles Erklären und Zergliedern …

Markus Kettner, 18.01.2014, RONDO Ausgabe 3 / 2010



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