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Stupsnase. Leise Stimme. Weiches Gesicht, von dünnem Bartflaum kräuselig bedeckt. Mit dem treuen Blick, mit dem uns Jukka-Pekka Saraste im südfinnischen Lahti empfängt, wirkt er nicht unbedingt furchterregend. Der Mann gilt als phantomhaft scheu. Interviews hat er bisher kaum gegeben. Dieses hier dauert so lange, bis die Mutter des Dirigenten ins Zimmer kommt. Das Konzert beim Sibelius-Festival, das er gleich dirigieren soll, fängt an. Der heute 54-Jährige wirkt immer noch wie ein trolliges und knuddeliges Naturkind. Fünf lange Jahre wartete der (neben Studienkollege Esa-Pekka Salonen) höchstgehandelte finnische Dirigent auf einen neuen Job, bevor er nach Querelen beim Toronto Symphony Orchestra 2004 zum Oslo Philharmonic Orchestra ging. So viel Langmut haben nur wenige Dirigenten. Doch die Finnen – die können. Jetzt checkt Saraste beim WDR-Symphonieorchester als neuer Chef (und Nachfolger von Semyon Bychkov) ein. Ein ziemlicher Temperamentswechsel. Saraste steht für unmaestrohafte Sensitivität. »Meine Erfahrungen in Toronto waren so, dass ich mich auf überhaupt kein Orchester mehr einlassen wollte. Nicht Geduld, sondern Empfindlichkeit war der Grund für meine lange Pause.« Mit dem WDR Sinfonieorchester hat Saraste einen finanziell als besonders sicher geltenden öffentlichen Subventionsempfänger als Zukunftsbasis gewählt. Kein Einzelfall. Deutsche Sinfonieorchester haben oft, aufgrund solider finanzieller Planbarkeit, Chancen sogar bei Chefs, die eigentlich eine Nummer größer sind als sie selbst. Und das WDR-Orchester war – trotz schöner Aufnahmen etwa mit Günter Wand – niemals der prestigereichste Radio-Klangkörper. Dafür aber ein hochgradig kooperativer und repertoireflexibler. Saraste, Schüler des legendären Jorma Panula (und von Arvid Jansons, dem Vater von Mariss Jansons), kam von der Geige zum Dirigierberuf. Als Chef des Finnischen Radio-Sinfonieorchesters (1987–1994), als Gründungsmitglied des Avanti! Chamber Orchestra (1983) und als Artistic Advisor des Lahti Symphony Orchestra zeigte er durchaus Sinn für Karriere. Kein Spätentwickler. Wir haben ihn nur spät entdeckt. Saraste ist ein superber Sibelius-Dirigent, der die grazilen Züge des finnischen Nationalkomponisten tänzerisch leicht betont. Magnus Lindberg und Einojuhani Rautavaara sind weitere Favoriten. Indem er sein Dirigieren auf 30 Wochen pro Jahr beschränkt, um den Rest der Zeit wandern und fischen gehen zu können, bezieht Saraste seine Eigenart aus der Ruhe und aus der Besonnenheit – und steht zugleich für mehr Moderne. Bloße »Faire-plaisir«-Musik, so Saraste, dirigiere er nicht. Schon mit Strauss’ »Tod und Verklärung« habe er so seine Probleme. Erst recht mit Elgar. Sibelius dagegen sei derjenige, »der uns Finnen vorgemacht hat, was Erfolg ist«. Mit Jukka-Pekka Saraste ist dem WDR nach dem apparatschikhaft selbstherrlichen Semyon Bychkov eine sympathische Kehrtwende gelungen. Der erste nordische Troll bei einem deutschen Orchester.
Robert Fraunholzer, 11.01.2014, RONDO Ausgabe 4 / 2010
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