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Einmal machte Dallas auch als Musikmetropole Schlagzeilen. 1957 wurde die neue Civic Opera von Maria Callas mit einem Konzert eingeweiht. Die Griechin war mit dem damaligen Chefmanager und Dirigenten Nicola Rescigno gut befreundet. Der blieb hier bis 1990 und verhalf Montserrat Caballé, Plácido Domingo, Joan Sutherland, Teresa Berganza, Jon Vickers, Alfredo Kraus und dem Regisseur Franco Zeffirelli zu ihren ersten Auftritten vor amerikanischem Publikum. Auch die Callas kam 1958 zurück: für »La traviata« und eine berühmt gewordene Cherubini-»Medea«, die noch heute als CD von einem feurigen Opernabend erzählt.
So existierte die heute Dallas Opera genannte Kompanie vor sich hin, nicht wirklich wichtig, aber gut geführt, wo man unter angenehmen Bedingungen und vor allem stressfrei in Amerika debütieren kann. Man gibt fünf meist ausgeliehene Produktionen etwa sechs Mal – so ist die Musiktheater- Grundversorgung in Nordtexas gesichert. Man spielte bisher in der riesigen Music Hall auf dem Art-Deco-Gelände Fair Park, das 1936 als Ausstellungsgrund zur 100-Jahr-Feier von Texas angelegt worden war. Seit einer Spielzeit aber hat man endlich ein eigenes Domizil: das von Norman Fosters Büro für 354 – größtenteils privat aufgetriebene – Millionen Dollar erbaute Winspear Opera House. Das liegt mitten im Arts District am nordwestlichen Ende des Stadtzentrums. Noch wird das knallrote Metall- Oval mit den weit vorragenden Gitterdächern über den spiegelnden Teichen von einem Highway begrenzt, doch das Autobetonband wird gegenwärtig eingesargt und mit einem Park zugedeckelt. Man hat Großes vor in Dallas, will nicht nur als Stadt der »dummen Kisten« und »untätigen Gebäude« dastehen, wie der Architekt Rem Koolhaas die im Ölboom der Siebziger und Achtziger entstandene Skyline abgewertet hat.
Kurioserweise ist nur die Dealey Plaza ein schäbiger Ort. Hier, wo die USA einen ihrer traumatischsten Geschichtsmomente erlebte und wo die meisten Dallas-Touristen stoppen, findet man wenig würdevolle Erinnerungskultur. Zwei weiße Kreuze auf der dreispurigen Straße, die in einer Unterführung verschwindet, markieren die Punkte, wo John F. Kennedy von zwei Schüssen getroffen wurde. Ob die nun aus dem Eckfenster im sechsten Stock des ehemaligen Schulbuchlagers stammten, wo Lee Harvey Oswald gestanden haben soll und wo heute ein privates Museum marktschreierisch Geschichte ausbreitet, oder ob weitere Projektile hinter dem Zaun über dem traurigen Grasabhang neben der Straße abgefeuert wurden, darüber informieren selbsternannte Verschwörungstheorie-«Experten« an Tapetentischen. Einen Block weiter, in der Nähe der nachgebauten Blockhütte von John Neely Bryan, dem ersten Siedler, der 1841 hier Land absteckte, hat die Kennedy-Familie ein steinern kühles Monument von Philip Johnson bauen lassen.
»Live Large, Think Big«, lautet das Motto in Dallas. Eindrucksvoll sind hier nicht nur die gepflegten Wolkenkratzer in der überschaubaren Downtown, die wie eine Freiluftausstellung berühmter Architektenentwürfe wirken, und die Tex-Mex-Essensportionen in den schönen Lokalen, die dafür sorgen, dass auch abends noch Leben herrscht. Groß hat man schließlich auch für die Kunst gedacht, hat Initiativen gebündelt und zusammengeführt. So entstand in den letzten 20 Jahren ein Kunstareal, das 19 Blocks umfasst und noch nicht ganz vollendet ist. Vier Pritzker-Preisträger haben hier gebaut, großzügig liegen die Museen und Theater zwischen Grünflächen. Bei über 40 Grad im Sommer sieht man freilich niemanden, da kommen alle direkt aus den Rolltreppen und Aufzugschächten der darunterliegenden Parkhäuser in die klimatisierten Hallen.
Als schräg abgeschnittene, monumental graugranitene Scheibe präsentiert sich das Morton H. Meyerson Symphony Center von 1989, wo gegenwärtig der Holländer Jaap van Zweden beim Dallas Symphony Orchestra den Chefdirigentenstab führt. Daneben liegt das offenere, mit seinen ausladenden Glasflächen das Publikum förmlich einsaugende Opernhaus. Es verfügt über ein schönes Treppenhaus mit tollen Ausblicken, aber auch über einen elegant dunkelgetäfelten Saal mit futuristischer Lichtdecke und guter Akustik für 2.300 mit reichlich Sitzfreiheit bedachte Zuschauer.
Gegenüber erhebt sich als jüngster Bau das von Rem Koolhaas, vor allem aber von seinem amerikanischen Partner Joshua Prince-Ramus entworfene Wyly Theatre, eine 12-stöckige Kiste, die mit schlanken Aluminiumröhren verkleidet ist. Hier wurde alles übereinandergestapelt, was bei gewöhnlichen Theaterbauten in die Breite geht. Der multifunktional verwandelbare Zuschauerraum liegt beispielsweise im dritten Stock und kann dank verschließbarer Scheiben auch komplett natürlich beleuchtet werden. Die noblen Museumsbauten für das überreich ausgestattete Dallas Museum of Art, Renzo Pianos luftiges Nasher Sculpture Center und die asiatische Crow Collection wechseln sich ab mit Appartementblocks, die durch die Nähe zur Kunst teurer sind als anderswo in Dallas.
Die im neuen Haus ambitioniertere Oper hat kürzlich ihre vierte Uraufführung gestemmt. Und weil in Texas alles groß sein muss, griff man nach einer besonders schweren Vorlage: Herman Melvilles »Moby-Dick«. Der dicke Brocken testete die Möglichkeiten der Bühne voll aus. Dabei war der weiße Wal, der in diesem mit philosophischen und biblischen Anspielungen gespickten Roman als Gegenspieler und Nemesis des manischen, vielleicht verrückten Kapitän Ahab (Ben Heppner) fungiert, dem er einst das linke Bein raubte, gar nicht zu sehen. Der finale Kampf mit dem Meeresgiganten wurde nur indirekt gezeigt: Virtuelle Boote zerbarsten, Seeleute fuhren ertrinkend aus dem Bild, der negative Schattenriss des Walfängers Pequod kippte weg. Schließlich verschwand Ahab zwischen weißem Videorauschen. Nur der Matrose Ishmael (Stephen Costello), den man als Greenhorn kannte, rettete sich auf einem Sarg. In seiner sechsten Oper hielt sich Jake Heggie (»Dead Man Walking«) eng an die Vorlage und konzentrierte sich strikt auf die äußere Handlung. Sentiment und Action wechselten sich vorhersehbar ab. Heggie gab sich für den Mittelwesten klanglich ziemlich konservativ. Dieser zweiaktige, weitgehend tonale »Moby-Dick« klingt unverstellt schön, zielt mehr auf den Bauch als den Kopf, wirkt aber in seiner oft filmmusikalischen Anmutung authentisch. Seine Botschaft wurde verstanden, das Publikum applaudierte begeistert. Ein verkopft europäischer Avantgardezugang hätte in Dallas auch sicher keine Chance.
Matthias Siehler, 11.01.2014, RONDO Ausgabe 4 / 2010
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