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Sex ist alles: Magdalena Kožená gibt’s zu. »Sexappeal in der Stimme ist immer wichtig«, meint sie und präzisiert: »In meinen Rollen geht es meist um unerfüllte Liebe. Um Erotik als Abgrund. Es ist eine sehr körperliche Musik. Da muss man schon verführen können.« Fragt sich: nur mit der Stimme? Wer vor sechs Jahren beim Auftritt von Magdalena Kožená in Mozarts »Idomeneo« bei den Berliner Philharmonikern dabei war, erlebte mehr als nur die Kunst vokaler Verführung. Viel Fleisch, der Rest eng von ganz leichtem Stoff umhüllt. Man nahm ihr die Hosenrolle des Idamante, die sie verkörpern sollte, kaum ab. Kurz darauf wurde die Liaison zwischen ihr und dem Dirigenten der Aufführung, Sir Simon Rattle, bekannt. Inzwischen besteht kein Zweifel daran, dass Magdalena Kožená zu den weltbesten Mezzosopranen zählt. Ein phänomenales Händelalbum und ihre zuletzt erschienene Vivaldi-CD bestätigen sie als Königin der barocken Vollblut- Verzierung, als Virtuosin erotischer Rouladen und Ornamente, die bei ihr nie technisch erkalten oder virtuos exekutiert wirken, sondern stets glutvoll, gefühlsgetränkt und in dunklen Farben. Die tschechische Sirene, geboren 1973 in Brünn, wollte zunächst Pianistin werden, bis sie sich bei einem Unfall die Hand brach. Einen emotionalen Überdruck merkt man ihr bis heute an, auch wenn Kožená, die inzwischen mit Simon Rattle zwei Söhne hat, mittels Yoga etwas ruhiger geworden ist.
»Ich habe lange gebraucht, um aus der Barockecke herauszukommen«, sagt sie mit Blick auf ein leichtes Repertoireproblem, das zu den eher wenigen Bühnenauftritten dieser Künstlerin geführt hat. Für Wunschrollen wie Octavian (im »Rosenkavalier«, demnächst in Amsterdam) oder Carmen (geplant für Salzburg 2012) ist ihr Mezzo beinahe zu klein. Zunächst hat sie sich einen anderen Härtetest vorgenommen. In Paris wird sie bald Donna Elvira singen, die verschmähte Liebhaberin des Don Giovanni. Wenn der ruchlose Verführer dabei nicht zu ihr zurückkehren sollte, mag er wirklich zur Hölle fahren. Nicht leicht zu sagen, was passiert wäre, wenn Koženás Karriere drei Jahrzehnte früher (vor dem großen Barockboom) begonnen hätte. »Ich hätte mehr Rossini gesungen«, sagt sie. Doch den ausgerechnet möge sie nicht. Über die dummen und jungen Dinger (Cenerentola, Rosina und andere von Rossinis Einfaltsmezzos) ist sie inzwischen ohnehin hinaus.
Auf ihrer neuen, hinreißenden CD »Lettere amorose« dagegen befindet sich diese große Sängerin überraschenderweise auf dem Rückweg zu ihren Ursprüngen. »Vieles von dem, was hier zu hören ist, habe ich vor fast 20 Jahren schon einmal gesungen.« Mit einem kleinen Alte-Musik- Quartett trat sie damals in Tschechien mit frühbarocken Liebesliedern von Monteverdi, Caccini, Kapsberger und Barbara Strozzi im Konzert auf. »Es sind leichte Stücke, die niemals nach Anstrengung oder Leistung klingen dürfen. Immer so einfach und bequem wie möglich. « Barockes Easy Listening könnte man meinen? Doch nein, dafür haben die Verlust- und Klagegesänge, die Kožená stilsicher mit sattem Vibrato singt, zu viel Tragisches in sich. Genau das kann sie. Das Chiaroscuro, also das vokale Helldunkel, beherrscht Kožená wie kaum eine andere Sängerin der Gegenwart. Hier als Ausdruck existenzieller Gefühlsfallhöhe. Wer am tiefsten fällt, fühlt am meisten.
Robert Fraunholzer, 04.01.2014, RONDO Ausgabe 5 / 2010
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