Es war DER Renner der vergangenen Spielzeit: ein Barock-Pasticcio, ganz so wie es im 18. Jahrhundert in Mode war, garniert mit einer Handvoll Sängerstars. Die Karten für „The Enchanted Island“ waren so begehrt, dass die Metropolitan Opera das Stück etliche Wochen en suite hätte spielen können. Jetzt kann man dieses herrliche Spektakel mit Musik hauptsächlich von Händel, Vivaldi und Rameau zumindest auf DVD nacherleben. Mit einer Mischung aus Shakespeares „Sommernachtstraum“ und seinem „Sturm“ bietet die Handlung ausreichend Gelegenheit für Augenzwinkerndes, Erheiterndes und Effektvolles. Für Plácido Domingos ersten Auftritt als Neptun würde jede Primadonna töten, meint Deborah Voigt im Pauseninterview mit dem Tenor, doch auch seine Kollegen können sich nicht beklagen, dürfen sich unterhaltsam in Szene setzen. Da gibt es nach vielen Jahren ein Wiedersehen mit David Daniels, Luca Pisaroni steuert schlanke, gelenkige Basstöne bei, und Joyce DiDonato räumt – fast möchte man sagen: natürlich – wieder einmal restlos ab. Dass Danielle de Niese immer noch nicht gelernt hat, saubere Koloraturen zu singen, fällt da nicht weiter ins Gewicht. Zumal William Christie es auch noch schafft, das MET-Orchester zu einem recht ordentlichen Barockensemble zu trimmen.
Nicht gerade amüsant, dafür aber sehr fesselnd und künstlerisch extrem hochwertig präsentiert sich Benjamin Brittens „The Turn Of The screw“ in der Glyndebourne-Produktion aus dem Jahr 2011. Regisseur Jonathan Kent verlegt die Handlung aus der viktorianischen Ära in die 1950er Jahre, also die Entstehungszeit des Werkes. Seine durchdachte Arbeit mit den Sängern – man merkt, dass er vom Schauspiel kommt – sorgt für Intensität und lässt die Akteure auch in Großaufnahme überzeugen. Für dieses konzentrierte psychologische Kammerspiel steuert Paul Brown ein raffiniert einfaches Bühnenbild bei, wichtigstes Requisit ist dabei ein großes Glasfenster, das durch beständiges Drehen vom Wohnzimmer zum Unterrichtsraum, vom Gewächshaus zum See wird. Doch punktet der Abend nicht nur szenisch und interpretatorisch, sondern auch musikalisch. Jakub Hrůša sorgt mit dem guten Dutzend Mitgliedern des London Philharmonic Orchestra für mal feinziselierte, mal substanzreiche, stets aber hochdifferenzierte Klangraffinesse. Und singen kann man diese Oper ohnehin kaum besser, als es Susan Bickley (Mrs Grose), Toby Spence (Peter Quint) und die alle(s) überragende Miah Persson als Gouvernante hier tun.
Wer Dokumentarfilme für sachlich und trocken hält, wird von Michael Wendes „Der Taktstock“ eines Besseren belehrt. Kurzweiliger und launiger lässt sich eine Diplom-Abschlussarbeit – denn genau das ist dieser Film – wohl nicht denken. „Wozu braucht man eigentlich einen Dirigenten?“ fragt der animierte (und von Herbert Feuerstein unnachahmlich gesprochene) Taktstockbauer, der mit seinen ebenso witzigen wie provokanten, manchmal geradezu ketzerischen Äußerungen und Behauptungen den Rahmen des Films bildet. Auf den Grund gegangen wird der Frage beim Gustav-Mahler-Dirigentenwettbewerb 2010 in Bamberg, den Wende über die gesamte Dauer, von der Vorstellung der Kandidaten bis zum Abschlusskonzert des Siegers, backstage verfolgt. Was der junge Regisseur allerdings aus diesem Material macht, zeugt von großer Kreativität und Liebe zur Materie. Unbedingt sehenswert, nicht nur für eingefleischte Klassikfans.
Michael Blümke, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 2 / 2013
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