home

N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Startseite · Interview · Blind gehört

(c) Christoph Köstlin

Blind gehört – Rafał Blechacz

„Was, Rubinstein?! Ich bin von den Socken …!“

Rafał Blechacz, geboren 1985 in Nakel, gehört zu den wohl fünf wichtigsten, ebenso kommerziell wie künstlerisch erfolgreichsten Pianisten der Gegenwart. 2005 gewann er als erster Pole seit Krystian Zimerman (der ihn fördert) den Warschauer Chopin-Wettbewerb. Immer wieder hat er vor allem Chopin-Alben aufgenommen. Im Folgenden hört er sich blind durch die polnische Klavierkunst. Blechacz ist unverheiratet und lebt „mit drei Klavieren“, wie er sagt, in Polen, abseits der Metropolen.

Ich will nicht zu kritisch sein, aber für mich ist das Legato hier nicht unbedingt das Beste. Der Sound des Ganzen: irgendwie nicht gut. Vielleicht liegt es an den Lautsprechern? Die Atmosphäre, zweifellos, ist sehr freundlich. Nicht zu Kontroversen einladend. Das ist sozusagen Chopin-Chopin. Großer Auftritt, aber nicht so furchtbar aufregend. Aha, hier ist das Legato ja wesentlich besser. (überlegt) Naja, Rubinstein ist das jedenfalls nicht ... – Was, doch? Rubinstein?! Das ist Ar-thur Ru-bin-stein …? Er war doch nun wirklich in der Lage, ein ganz tolles Legato zu spielen. Vielleicht hat er es hier einfach nicht gewollt. Ich bin völlig von den Socken …!

Frédéric Chopin

Nocturne b-Moll op. 9/I

Arthur Rubinstein

1965, RCA/Sony

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Das klingt tatsächlich irgendwie polnisch für mich. Ist das vielleicht Piotr Anderszewski? Ich habe ihn nie getroffen, aber ich weiß, dass er sich sehr für Leoš Janáček interessiert, auch für Szymanowski. Letzteren kenne ich besser, da gefällt er mir ausgezeichnet. Hier allerdings auch. (hört) Großartig! Man merkt, wie die technische Qualität einer Darbietung den Weg zum Gefühl frei macht. Damit meine ich: wie man durch die sogar virtuose Beherrschung Emotionen weckt und ausdrückt. Anderszewski, wie man hier sieht, hat eine super Technik. Und einen großartigen Klang. Ihn würde ich gern mal kennenlernen.

Leoš Janáček

V mlhách (Im Nebel)

Piotr Anderszewski

2008, Virgin/Warner

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Nett, sehr nett. Mir gefällt das. Das könnte Adam Harasiewicz sein, aber sogar Josef Hofmann. Auch Myra Hess würde ich nicht ausschließen. Tatiana Nikolayeva ebenfalls nicht. Das ist alles sehr flexibel gespielt, mit tollen Rubati. Und es tanzt doch. Es hält den Rhythmus, so dass man mitgehen kann. Charmant! Ich kann leider nicht tanzen. Oder höchstens eine Polonaise. Aber bei Chopin, das macht die Sache noch komplizierter, sind es ja auch ‚Kunst-Walzer‘, ‚Kunst-Mazurkas‘ und ‚Kunst-Polonaisen‘. Also, vielleicht ist es doch eher Halina Czerny-Stefánska, eine heute zu Unrecht in Vergessenheit geratene, ganz große Pianistin. Sie konnte ihre Karriere nicht international so ausleben, wie sie es verdient hätte. Was ich da höre, finde ich doch eigentlich exorbitant. Ich habe sie übrigens noch kennengelernt, ich glaube 1997. Ein kleiner Wettbewerb, den ich sogar gewonnen habe, in der polnischen Sektion. Sie war in der Jury. Ich bin ganz stolz darauf.

Frédéric Chopin

Walzer Es-Dur op. 18 „Grande valse brillante“

Halina Czerny-Stefánska

50er Jahre, Profil/Edition Günter Hänssler

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Eine alte Aufnahme. Vielleicht Swjatoslaw Richter, den ich sehr mag? Besonders sein „Carnaval“ von Robert Schumann ist für mich unerreicht. Also, die Atmosphäre ist ganz da, trotz der schlechten Aufnahmequalität. Sehr angenehm und schön im Klang, sehr „cantabile“. Vielleicht eine Frau. Dann würde es Myra Hess sein. Ich kenne diese Aufnahme von ihr nicht. Sondern hauptsächlich ihre Appassionata und natürlich die berühmte Bearbeitung des Bach-Chorals „Jesus bleibet meine Freude“. Ich verehre sie wirklich. Diese Künstlerin muss außerdem eine sehr unterhaltsame Dame gewesen sein, mit der ich gern einmal einen Abend verbracht hätte. Dabei sehr ernst im musikalischen Ansatz. Ich finde, dass man die eigenen Emotionen nicht unbedingt zurückhalten muss. Derlei hört man hier. Wir sind ein Medium von Gefühlen, aber wir dürfen doch selbst auch welche haben.

Franz Schubert

Sonate B-Dur D 960

Myra Hess

1949, Appian/Note 1

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Was wird denn da für eine Sprache gesungen? So ähnlich wie Polnisch. Ich verstehe kein Wort. Das könnte genauso gut Tschechisch sein. Ich schätze, das ist ein Werk von Henryk Górecki. Welches, weiß ich allerdings nicht. Auch ihn habe ich sogar einmal getroffen. Und zwar am selben Tag, an dem ich Krystian Zimerman begegnete, im Jahr 2005. Noch vor dem Warschauer Wettbewerb war das. Zimerman gab eine Meisterklasse in Katowice, und Górecki war der Direktor dort. Unvergesslich ist mir, wie ich die Polonaise op. 53 vorgespielt habe. Górecki mochte es. Er sagte mir: „Mach dir doch keine Sorgen!“ Sowas hört man gern in so einer Situation. In Polen ist Górecki immer noch sehr berühmt. Allerdings kein Vergleich mit Penderecki. Von dem würde ich gern das Klavierkonzert spielen. Auch Lutosławski interessiert mich stark.

Henryk Górecki

Sinfonie Nr. 3 (Symphony Of Sorrowful Songs)

Zofia Kilanowicz, Nationales Sinfonieorchester des Polnischen Rundfunks, Antoni Wit

1993, Naxos

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Das ist das Prelude b-Moll op. 1, Nr. 1 von Karol Szymanowki. Es klingt nach einem polnischen Pianisten. Es ist Krystian Zimerman. Woran ich das erkenne, kann ich auch nicht so genau sagen. Es geht irgendwie um den Umgang mit Zeit. Ein bestimmtes Timing. Ein Verhältnis zwischen Rubato und dem Grundtempo. Um Ritenuto und Accelerando. Man braucht ja immer ein besonderes, spezielles, passendes Ritenuto. Und Raum für die Emotion. An dieser Aufnahme stört mich gar nichts, muss ich zugeben. Ich würde es nicht einmal selbst spielen wollen, denn es ist perfekt. Ich bin direkt glücklich für Krystian, wenn ich das höre. Er war der Erste dabei, er kriegt den Vortritt.

Karol Szymanowski

Préludes op. 1

Krystian Zimerman

2022, DG/Universal

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Und das muss natürlich Ignacy Paderewski sein. Warum? Weil die linke und die rechte Hand nicht richtig zusammenpassen. Das war eine zeittypische Tendenz. Sehr oft wird bei Akkorden beinahe ein Arpeggio angebracht. Ich weiß nicht recht, ob ich das heute noch schön finde. Aber hier passt es doch. Sehr langsam gespielt. Und hat trotzdem Charme. Man hört den Salon. Paderewski, für mich, hat heute noch den Rang eines Helden, ähnlich wie Rubinstein, legendär. Für jüngere Studenten hat er ihn aber nicht mehr. Sie denken zu sehr über die Technik nach. Paderewski war seinerzeit technisch durchaus souverän, hat sich aber überhaupt nicht dafür interessiert. Das eben können wir von ihm lernen. Er hat übrigens sehr viel geübt. Außerhalb Polens, glaube ich, wird er nicht mehr so verehrt, im großen Unterschied zu Alfred Cortot, der mehr Schallplatten gemacht und mehr Konzerte gegeben hat. In Wirklichkeit sind sie einander recht nahe.

Frédéric Chopin

Étude E-Dur op. 10/III

Ignacy Paderewski

1927, Appian/Note 1

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Darf ich noch ein bisschen mehr hören? Ich bin noch nicht sicher. Keine alte Aufnahme jedenfalls. Die Ähnlichkeit zu meiner Interpretation ist groß. Ich höre da irgendwie ein Bestreben nach Klarheit. Es sind dieselben Triller, so wie ich sie auch machen würde. Das bin ich, oder? Es ist dasselbe Tempo. Ja, ich bin zu 95% sicher. Nein, zu 99%. – Zuerst, nach acht Takten, dachte ich, das ist Glenn Gould. Stellen Sie sich vor! Danach fiel mir auf, dass ich die Aufnahme von mir schon lange nicht mehr gehört habe. Ich würde das heute auch etwas schneller spielen. Gould habe ich sehr verehrt, als ich noch zur Schule ging. Dann kam András Schiff. Goulds Artikulation, meine ich, ist zu scharf für mich. Sein Mozart ist seltsam. Sein Chopin auch nichts für mich. Aber man hört die Größe, das ist doch ja ganz klar.

J.S.Bach

Italienisches Konzert F-Dur BWV 971

Rafał Blechacz

2015, DG/Universal

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Zuletzt erschienen:

Frédéric Chopin

Klaviersonate Nr. 2 b-Moll, Klaviersonate Nr. 3 h-Moll, Nocturne op. 48/II, Barcarolle Fis-Dur

Rafał Blechacz

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Kai Luehrs-Kaiser, 03.06.2023, RONDO Ausgabe 3 / 2023



Kommentare

Kommentar posten

Pianofan
Berührend finde ich, was Rafal Blechaz über Halina Cerny-Stefánska schreibt. Diese, bei uns leider relativ unbekannte, große Chopin - Interpretin hätte es verdient, dass ihr Name öfter genannt und ihre, leider nicht sehr zahlreichen, Aufnahmen öfter gespielt würden. Sie stand noch in der direkten Chopin - Tradition berühmter polnischer Klavierspieler und Alfred Cortots und das hörte man ihrem Spiel auch an. Ich habe sie 1968 oder 1969 als junger Mensch in einem Konzert in Karlsruhe mit Chopins e-moll Klavierkonzert gehört und bis heute den riesigen Eindruck nicht vergessen, den diese Grande Dame des Pianos damals auf mich gemacht hat.


Das könnte Sie auch interessieren

Festival

Cremona Musica 2023

Fiedeln, Quaken, Dröhnen, Zirpen

Zu dieser Messe in der berühmten Stadt des Geigenbaus reisten 360 Musikinstrumenten-Aussteller aus […]
zum Artikel

Bücher

Bücher

Callas – Gesichter eines Mediums

Attila […]
zum Artikel

Testgelände

Eric Dolphy

„Out“ – Zum 50. Todestag

Am 29. Juni 1964, neun Tage nach seinem 36. Geburtstag, trat Eric Dolphy in Berlin überraschend […]
zum Artikel


CD zum Sonntag

Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Der Komponist Giacomo Orefice (1865–1922) wuchs in einer jüdischen Familie im norditalienischen Vicenza auf und ist vor allem für sein Opernschaffen bekannt. Auch als Pädagoge macht er sich einen Namen, sein berühmtester Schüler war der Filmkomponist Nino Rota. Orefices bekanntestes Musiktheaterwerk ist „Chopin“, für das er die Klavierwerke des polnischen Komponisten orchestrierte. Seine eigene Klaviermusik umfasst überwiegend romantische Charakterstücke, die von Gedichten, […] mehr


Abo

Top