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Schließlich wird kaum eine Stadt so sehr mit ihrem Opernhaus identifiziert wie diese, bisweilen dröge, strenge Beamtenstadt, die ihre Reize nicht so schnell offenbart wie viele italienische Konkurrentinnen. Manchmal hat man sogar fast das Gefühl, als ob die Oper hier und nicht erst in Florenz und dann 1607 in Mantua mit Monteverdis „Orfeo“ zumindest offiziell geboren worden sei. Doch anders als etwa das gerne als Fotomotiv gebrauchte Sidney Opera House, wird dieses Opernhaus auch innen besucht, und es enttäuscht nicht. Denn das Teatro alla Scala in Mailand, auch kurz Scala, ist nach wie vor eines der bekanntesten und bedeutendsten Opernhäuser der Welt. Es wurde nach der Piazza della Scala, benannt, welche wiederum den Namen von der Kirche Santa Maria della Scala erhalten hatte, die hier einst stand.
Maria Theresia ließ in der Hauptstadt der damals österreichischen Lombardei durch den klassizistischen Architekten Giuseppe Piermarini das eher schlicht und klein wirkende neue Opernhaus errichten. Es wurde am 3. August 1778 eröffnet, zur Premiere gab es Antonio Salieris allegorische Oper „L’Europa riconosciuta“. So wie auch 2004 unter Riccardo Muti, nachdem die Scala eine längere Renovierung hinter sich gebracht hatte, die ihr außer massiven Umbauten und Modernisierungen im Backstage-Bereich vor allem einen neuen Bühnenturm und einen links über der Fassade emporragendes Verwaltungsgebäude von Mario Botta eingetragen hat. Ein paar Monate später war der hier von 1986 bis 2005 autokratisch regierende Riccardo Muti Geschichte, eine Welle der Mitarbeiterempörung hatte ihn davon getragen. Nicht der erste Skandal des freilich stets auch von Beifallswogen erschütterten Hauses.
Das präsentiert sich innen elegant in Marmor, Weiß und Gold im Foyer, traditionell Rot- Golden im 2300 Zuschauer fassenden Auditorium, das freilich größer wirkt. Und akustisch tückisch ist. Deshalb stellen sich alle Sänger für ihre Arien gern auf den „Callas- Punkt“ links vorn an der Rampe, weil von dort aus die Stimme am besten trägt. Inzwischen wurde der Hohlraum unter dem Parkett wieder hergestellt, ebenso der alte Ziegelboden in den Logen, was den Klang des Hauses sehr verbessert hat.
Das Opernhaus hat viel erlebt, man scheint es in jeder Vorhangfalte und jedem Ornament zu spüren. Auch das hübsche, freilich mit wenigen wirklich authentischen Artefakten ausgestattete Museum in den ehemaligen Verlagsräumen der Casa Ricordi im linken Seitenflügel legt davon Zeugnis ab. Hier wurden, nicht selten mit anschließender Saalschlacht, die berühmten Opern Rossinis, Donizettis, Bellinis, Verdis, Puccinis und vieler so genannter Kleinmeister uraufgeführt. Und noch heute wehrt man sich vehement, wenn etwa Riccardo Muti seinem „Troubadour“-Manrico das nicht von Verdi stammende hohe C in der Stretta verweigerte, oder eben der hoffnungsvolle italienische Jungregisseur Damiano Michieletto eine Neuinszenierung von Verdis „Maskenball“ in den amerikanischen Präsidentenwahlkampf verlegt.
„Vergogna“ – „Schande“, damit sind die meinungsfreudigen Loggionisti, die fanatischen Fans aus dem obersten Rang, die nur separat über enge Treppen das Theater betreten dürfen, schnell bei der Hand. Angeblich lassen sie sich aber auch bezahlen, dann sind sie auffällig ruhiger gestimmt. Alexander Pereira freilich, der neue Intendant, der ab 2014 auf den effektiven, aber mit vielen Koproduktionen den Nimbus des Hauses verwässernden Stéphane Lissner folgt, hat bereits angekündigt, es werde noch einige weitere Michieletto-Produktionen geben.
Einst regierte hier der legendäre Impresario Domenico Barbaia, der das Haus angemietet hatte, das meiste Geld aber mit dem Casino im Foyer machte. Oper war nur die akustische Behübschung für die Spielsüchtigen. Im 20. Jahrhundert war die Scala das Haus Arturo Toscaninis, der dann wegen der Faschisten nach Amerika emigrierte.
Nach der schweren Beschädigung im Zweiten Weltkrieg in Rekordzeit wieder aufgebaut, wurde die Scala am 11. Mai 1946 mit einem tränenreichen Konzert unter Toscanini wiedereröffnet. Später lieferte sich hier Maria Callas Kämpfe mit dem Intendanten Antonio Ghiringhelli, Mirella Freni wurde als La traviata ausgebuht, Claudio Abbado setzte Maßstäbe der Verdi-Interpretation, Giorgio Strehler inszenierte traumschönen Mozart.
Obwohl schon früher gespielt wird, beginnt die Saison alljährlich am 7. Dezember, dem Namenstag des Stadtpatrons von Mailand, dem Bischof und Kirchenvater Hl. Ambrosius (Sant’Ambrogio), mit einer festlichen, in die Kinos, die Galleria Vittoria Emmanuele, aber auch ins Gefängnis übertragenen Premiere. Da kosten die Karten dann schnell 2400 Euro, Prominenz wie Sophia Loren und Giorgio Armani oder der gut aussehende Balletttänzer Roberto Bolle, Staraushangschild des sonst nicht so bedeutenden Scala- Balletts, drängeln sich mit TVStarlets, von hilfreichen Chirurgenhänden bearbeiteten Damen und viel Geldadel in den engen Pausenräumen. Und plötzlich scheint sich wieder ganz Italien für die Oper zu interessieren. Doch das ist nur ein kurzer Sturm im Blätterwald. Einig ist man sich höchstens darin, dass man Daniel Barenboim als Musikchef von Lissners Gnaden nicht sonderlich schätzt – zu viel „musica tedesca“, so stöhnt man über die vielen Wagner- Premieren.
Doch die Musikstadt Mailand, das ist auch das 2002 eröffnete Teatro degli Arcimboldi in der Vorstadt, das während der Umbauspielzeiten bis 2004 die Scala beherbergte und heute Ort für Gastspiele und eine populäre Fernsehshow ist. Und es gibt noch das alte Teatro dal Verme. Es wurde vom Grafen Francesco Dal Verme in Auftrag gegeben und von dem Architekten Giuseppe Pestagalli entworfen. Die Eröffnung fand am 14. September 1872 statt. In der Blütezeit Ende des 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts zählte das Teatro zu den führenden Opernhäusern und war Ort zahlreicher Uraufführungen, darunter 1884 Puccinis „Le Villi“ oder 1892 Leoncavallos „Bajazzo“.
In den Dreißigerjahren wurde das Haus dann nur noch als Kino genutzt und während des Zweiten Weltkriegs größtenteils zerstört. Nach dem teilweisen Wiederaufbau wurde das Gebäude Mitte der Neunziger modernisiert und verfügt heute über zwei moderne Säle. Seit September 2001 wird das Teatro Dal Verme von der Fondazione I Pomeriggi Musicali geführt, deren Orchester es beherbergt. Hier ist etwa regelmäßig der auch in Deutschland bekannte Dirigent Antonello Manacorda zu hören.
Neben dem Scala Orchester, das sich unter Abbado und Muti auch zu einem bedeutenden Konzertklangkörper entwickelte, gibt es auch noch das sehr gute, 1993 gegründete Orchestra Sinfonica di Miliano Giuseppe Verdi, das lange Jahre von Riccardo Chailly geformt wurde, den sich nicht wenige heute als neuen Scala-Musikchef wünschen. Seit 2009 wird das Orchester von dem Chinesen Xian Zhang geführt und bietet im akustisch ordentlichen Auditorio Milano zwischen September und Juni jeweils etwa 35 dreimal wiederholte Programme.
Trotzdem: Auch wenn einem der nach wie vor hier in einem Palazzo lebende Pianist Maurizio Pollini auf der Straße begegnen kann, es hier ein bedeutendes Konservatorium und diverse Kammermusikreihen gibt, Mailand, die gelb-orange, etwas verschlossene Stadt, deren Reichtum ebenso nur zu erahnen ist wie die Schönheit seiner Innenhöfe und Paläste, wird nach wie vor als Musikstadt durch das Teatro alla Scala repräsentiert. Was nicht das Schlechteste ist, auch wenn längst nicht alle Vorstellungen so bedeutend sind, wie man es sich vielleicht wünschen würde.
Hoch her gehen wird es sicherlich am 7. Dezember, wenn in der (von Arte übertragenen) Premiere von „La traviata“ mit der man dem 200-jährigen Giuseppe Verdi huldigt, Daniel Barenboim dirigieren und die deutsche Sopranistin Diana Damrau singen wird. Denn die klingenden Nationalschätze mag man gar nicht so gern Ausländern überlassen. Zumal auch der Russe Dmitri Tcherniakov als Regisseur garantiert jeden Pariser Kurtisanen-Plüsch verweigern wird. Ein weiterer Russe steht mit gleich drei Stücken im Mittelpunkt einer endlich mal wieder bedeutenden Ballettpremiere am 17. Dezember: der Choreograf Alexander Ratmansky. Ansonsten bietet die wegen Finanzproblemen auf nur zehn Opern abgespeckte Saison nur Wiederaufnahmen und Übernahmen von anderswo.
Matthias Siehler, 21.09.2013, RONDO Ausgabe 4 / 2013
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