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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Francesco Corsellis „Achille in Sciro“ am Teatro Real in Madrid (hier: Aspromonte) (c) Javier del Real/Teatro Real

Fanfare

Proben, Pleiten und Premieren: Höhepunkte in Oper und Konzert

Die arme Infantin Maria Theresia Antonia Rafaela hatte es nicht leicht in ihrem nur 20 Jahre währenden royalen Leben. Geboren, um verheiratet zu werden, starb sie bereits ein Jahr nach der Hochzeit mit dem französischen Thronfolger. Immerhin wurden zwei so unterschiedliche wie interessante Opern anlässlich dieser Vermählung komponiert.
Die berühmtere ist die 1745 in Versailles uraufgeführte Farce „Platée“ von Jean-Philippe Rameau über eine hässliche Sumpfnymphe. Kein sehr gelungener Hochzeitsopernstoff, wenn man weiß, dass die Braut alles andere als hübsch gewesen sein soll. Und auch bei der ein Jahr zuvor in Madrid gegebenen Verlobungsoper „Achille in Sciro“ mutet es für diesen Anlass seltsam an, versteckt sich darin doch Held Achilles in Frauenkleidern auf einer Insel, wird dennoch von Odysseus entlarvt und in den Trojanischen Krieg mitgenommen; wo er sein prophezeites Ende findet. Vorher darf er die Prinzessin Deidamia heiraten.
Komponiert hat den Dreiakter auf ein Libretto Pietro Metastasios der italienische Vorklassiker Francesco Corselli (1705–1778) mit farbenreicher Rhythmik, anspruchsvollen Arien, der Verwendung von Soloinstrumenten. Leider schlägt am Teatro Real Madrid die dröge Regie von Mariame Clément aus dem geschlechtsambivalenten Stück wenig Unterhaltungsfunken. Steht hier doch ein Kriegsheros als Soprankastrat (Counter Gabriel Díaz macht das toll) die meiste Zeit in wenig glamourösen Frauenkleidern auf der Bühne als hässlich verbauter Grottenszenerie.
Ivor Bolton am Pult des Barockorchester Sevilla serviert gekonnt barockgestylt aufgefächerte Musik. Die übrige Solistenriege, darunter die sopranzwitschernde Francesca Aspromonte als Deidamia, die etwas dunkler gefärbte Sabina Puértolas als deren Bräutigam Teagene, der ausgeglichene Tim Mead als ebenfalls countertenorsingender Ulisse, haben viel Vokalfreude.

Von Spanien nach Berlin. Da gab es eine hörenswerte Violintrias bei den Berliner Philharmonikern. Zunächst einmal und erfreulich in Permanenz, sitzt da jetzt in Platinblond als erste Konzertmeisterin überhaupt Vineta Sareika-Völkner am allerersten Geigenpult. Dann ist nach 15 Jahren Absenz der offenbar nicht alternde Golden Boy der Geige, Joshua Bell, angetreten. Mit Alan Gilbert spielte er versonnen süß Samuel Barbers spätromantisch säuselndes Violinkonzert sowie klavierbegleitet George Gershwins „Summertime“ als schwerelose Zugabe. Ähnlich ätherisch, nur im Orchester grummelt es, lässt Toshio Hosokawa sein für den anderen Konzertmeister, Daishin Kashimoto, komponiertes Violinkonzert „Prayer“ ablaufen. Viel zartes Dauervibrato, mit dem die Geige als feine Solostimme die aufgewühlte Erde besänftigen soll. Was auch gelingt, weil Paavo Järvi das Orchester so vollendet dynamisch domestiziert, doch klanglich frei auslaufen lässt.

Es geht weiter nach München. „Krieg und Frieden“ scheint schwierig. Ist doch diese monströse Oper von Sergei Prokofjew so brutal und großmäulig, so verloren und anmaßend, so propagandahohl und beziehungszart, so ambivalent wie das 20. Jahrhundert. Ein nicht nur in Deutschland selten gespieltes, sowjetpopulistisch durchwirktes und trotzdem bei den damaligen Machthabern durchgefallenes Schmerzenskind. 14 Damen- und 45 Herrenrollen sieht dieses viereinhalb Stunden dauernde Liebes- wie Schlachtenepos nach dem ausufernden Zeitpanorama-Roman von Leo Tolstoi vor.
Die Bayerische Staatsoper hat es nun gewagt und gewonnen. Freilich zu einem hohen Preis. Ein russisches Team – der souveräne Vladimir Jurowski am Pult, der intelligente Dmitri Tcherniakov als Regisseur – hat alles Putin­Anbiedernde vermieden. Die schlimmsten Propagandachöre wurden gestrichen, Jurowski dirigiert zart und spannungsvoll. Doch das Spiel im Spiel im geschichtsträchtigen Moskauer Säulensaal im Haus der Gewerkschaften wird nie klar. Wer agiert hier für wen? Und warum? Unbehagen bleibt – trotz der großartigen Sänger. Manchmal ist Kunst ratlos, stellt aber wichtige Fragen.

Manuel Brug, 01.04.2023, RONDO Ausgabe 2 / 2023



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