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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Marco Borggreve

Benjamin Grosvenor

Von der Queen empfohlen

Auf seinem neuen Album präsentiert sich der englische Pianist als ausdrucksstarker Interpret der deutschen Romantik.

Unter den englischen Pianisten gibt es einige exzellente Künstler: Stephen Hough beispielsweise oder Imogen Cooper. Kommt in musikalischen Fachkreisen die Sprache jedoch auf jüngere Pianisten von der britischen Insel, dann fällt ein Name besonders häufig: Benjamin Grosvenor. Seit einigen Jahren macht der 30-jährige Künstler durch seine ebenso durchdachten wie brillanten Einspielungen auf sich aufmerksam.
Als jüngster von fünf Brüdern wächst er in Westcliff-on-Sea auf, einem 50 Kilometer von London entfernten Städtchen an der Themsemündung. Sein Vater ist Lehrer für Englisch und Schauspiel, seine Mutter ist von Beruf Klavierlehrerin. Von ihr erhält er im Alter von fünf Jahren den ersten Klavierunterricht, später nimmt er Stunden bei der Klavierpädagogin Hilary Coates und ihrem Ehemann Christopher Elton, dem langjährigen Leiter der Klavierabteilung an der Royal Academy of Music in London. „Er war mein wichtigster Lehrer“, betont Benjamin Grosvenor.
Dieser fundierte Unterricht trägt bald Früchte. „Mein erstes eigenes Konzert habe ich mit zehn Jahren gegeben“, erinnert sich Grosvenor, „und zwar zur Hälfte am Klavier und zur Hälfte am Cello, denn damals habe ich auch noch Cello gespielt. Anschließend nahm ich an dem BBC-Wettbewerb für junge Musiker teil und kam ins Konzertfinale. Das war also mein erstes Mal, dass ich mit einem Profi-Orchester gespielt habe. Da war ich elf.“ Seinen Bachelor-Abschluss macht Grosvenor 2012 als Jahresbester, er erhielt dafür die „Queen’s Commendation for Excellence“. Bei den berühmten „Proms“ im Jahr 2012 trat er als bis dato jüngster Solist an einem Eröffnungsabend auf und interpretierte das zweite Klavierkonzert von Franz Liszt. Im Folgejahr spielte er beim Klavier-Festival Ruhr, und in der Saison 2015/16 und 2017/18 war er als Solist in der Reihe „Junge Wilde“ im Konzerthaus Dortmund zu erleben. Seit jener Zeit ist der englische Pianist jedoch nur selten auf deutschen Podien zu hören. Ein Ort, an dem er regelmäßiger auftritt, ist das Berliner Klavierfestival, das von seinem Landsmann Barnaby Weiler gegründet wurde. Dort war er 2012 erstmals zu Gast, und dort wird er auch dieses Jahr im Mai wieder zu erleben sein.

Variationen im Dreisprung

Auf seinem aktuellen Album kombiniert Benjamin Grosvenor Werke von Robert Schumann mit Kompositionen von dessen Frau Clara und Werken von Johannes Brahms. Auf die Frage, nach welchen Kriterien er die Stücke ausgewählt habe, erklärt er, dass er schon immer mal die „Kreisleriana“ aufnehmen wollte. „Ich habe sie oft im Konzert gespielt, sie sind emotional sehr turbulent und enthalten so viele verschiedene Elemente. Deshalb dachte ich, dass ich als Kontrast dazu einige Werke dazunehmen sollte, die atmosphärisch etwas statischer sind. Da kamen mir die späten Brahms-Klavierstücke op. 117 in den Sinn. Ich denke, dass diese gut mit den „Kreisleriana“ kontrastieren. Dann gefiel mir die Idee, beide Stücke mit einem Werk von Clara Schumann zu verbinden, da sie die inoffizielle Widmungsträgerin der „Kreisleriana“ war.“
Auch die weiteren Werke des Albums haben eine besondere Bedeutung für Clara, wie Grosvenor weiter ausführt. „Clara bat Robert, ihr die ‚Romanze‘ op. 28 Nr. 2 zu widmen, sie gehörte zu ihren Lieblingsstücken. Und er wünschte sich, dass es an ihrem Sterbebett gespielt wird. Und dann gibt es noch dieses wunderschöne ‚Blumenstück‘. Robert schrieb es, nachdem Clara ihn darum gebeten hatte, kürzere Stücke für ein breiteres Publikum zu komponieren. Des Weiteren enthält das Album auch noch zwei Sätze mit Variationen. Zum einen den dritten Satz der dritten Sonate von Robert Schumann, der einen Satz von Variationen über ein Thema von Clara darstellt, zum anderen die Variationen von Clara über ein Thema von Robert. Es sind beides wunderbare Stücke, und mir gefällt die Idee, sie nebeneinander zu stellen, weil sie im selben Jahr veröffentlicht wurden. Das ist übrigens das Jahr, in dem Brahms in das Leben der Schumanns eintrat, außerdem hat Brahms das Thema von Robert Jahre später in seinen ‚Schumann-Variationen‘ ebenfalls verwendet.“ Schließlich hat Benjamin Grosvenor noch eine eigene Bearbeitung von Robert Schumanns „Abendlied“ aus der Sammlung „12 Klavierstücke für kleine und große Kinder“ beigesteuert: „Es ist ein Stück für vier Hände, das ich für zwei Hände transkribiert habe“, erklärt er, „ich finde, es ist eine seiner schönsten Miniaturen, wie ein Gebet“.
Bis auf das Eröffnungsstück, das ein wenig an manierierter Agogik krankt und nicht recht in Fluss kommt, interpretiert er die „Kreisleriana“ mit natürlicher Frische, klanglich feinsinnig und pianistisch hochsouverän – in den neobarocken Passagen der Nr. 7 erreicht er in seiner brillanten Motorik nahezu Gould-Qualitäten. Wunderbar innig gelingt das Stück Nr. 4, quicklebendig und mit juveniler Kraft die Nr. 5. Klangschön und poetisch spielt er das „Blumenstück“, zärtlich und kantabel erklingt seine gut geglückte Bearbeitung des vierhändigen „Abendlieds“. Auch die späten Brahms-Klavierstücke passen in seine musikalische Welt. Innig und mit samtigem Ton gestaltet er das „Wiegenlied“-Intermezzo, deutlich fließender als viele seiner Pianisten-Kollegen interpretiert er das Intermezzo Nr. 2, bei dem er den Begleitfiguren einen melodischen Eigenwert zugesteht. Den Höhepunkt des Albums jedoch bilden die Variationen von Clara Schumann. Hier wirkt alles wie aus einem Guss, ohne dass die Profilierung der vielfältigen Charaktere dabei zu kurz kommt. Nach seinen herausragenden Einspielungen von Chopin, Ravel und Liszt ist Benjamin Grosvenor hier wieder einmal ein famoses Album gelungen. Es bleibt zu hoffen, dass die exzellenten pianistischen Fähigkeiten und sein starkes künstlerisches Profil hierzulande zukünftig auf mehr Aufmerksamkeit stoßen.

Neu erschienen:

„Schumann & Brahms“, Klavierstücke und -variationen

Benjamin Grosvenor

Decca/Universal

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Mario-Felix Vogt, 25.03.2023, RONDO Ausgabe 2 / 2023



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