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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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1981 wurde bei den Salzburger Festspielen seine Oper „Baal“ uraufgeführt: Der Violinist und Komponist Friedrich Cerha († 96) © SF/Helmut Schaffler

Pasticcio

Eine Extra-Portion Schnitzel, Gurkensalat und Bier!

Da kann man noch so sehr die Zukunft im Blick haben – früher oder später holt einen das Echo der Tradition doch wieder ein. Diesem Phänomen konnten sich auch die namhaftesten Vertreter der musikalischen Nachkriegsavantgarde irgendwann nicht mehr entziehen. So geschehen, als die Vorreiter wie Pierre Boulez und Luigi Nono nach auch ideologisch unterfütterten Materialschlachten in den 1950er und 1960er Jahren sich wahlweise zu Gabrieli, Wagner und Debussy bekannten.
Dieses umfangreiche Musikgeschichtsbewusstsein musste hingegen der fast gleichaltrige Kollege Friedrich Cerha nicht erst reaktivieren – es steckte von Beginn an in ihm. Denn der 1926 in Wien geborene Komponist besaß schon früh – trotz seiner intimen Kenntnis des komplexen Serialismus – ein selbstverständliches Verhältnis etwa zu dem an Strawinski orientierten Neo-Klassizismus. Und auch als ausübender Musiker fuhr Cerha schnell zweigleisig. Während er mit seinem Kollegen Kurt Schwertsik 1958 das Ensemble „die reihe“ gründete, um das Aktuellste vom Neue Musik-Markt zu dirigieren, widmete er sich zeitgleich als Violinist und mit seiner „Camerata Frescobaldiana“ eben der Alten Musik. Und dieses synthetische Musikdenken sollte bei Cerha enorme Früchte tragen – bis hin zu der 1979 vielbeachteten Komplettierung des dritten Akts von Alban Bergs Oper „Lulu“.
Mit seiner Offenheit selbst für die österreichische Folklore war Cerha somit zum Geburtshelfer einer, vielleicht als „Dritte Wiener Schule“ zu bezeichnenden Bewegung geworden, aus der auch ein Stilpluralist wie der Komponist und Chansonnier HK Gruber stammt. Wie wunderbar HK Grubers herrlich knarzige Stimme mit der Musik Cerhas harmonierte, ist in einer Aufnahme seines Liederreigens „Eine letzte Art Chansons“ von 1989 dokumentiert. Sinnsprüche, Reime und Lebensweisheiten etwa von Ernst Jandl und Gerhard Rühm hatte Cerha dafür vertont – im Stile solcher Zeilen wie: „geh nach vorne, tu schön bitten, na geh na geh schon nach vorne, oder ist dir eine Ohrfeige lieber“.
Bis ins ganz hohe Alter war Friedrich Cerha produktiv. Wobei er sich immer wieder neuen Herausforderungen stellte. So schrieb er 2008 für Martin Grubinger ein Schlagzeugkonzert, bei dem dieser fast an seinen konditionellen Grenzen kam. So gibt es da eine Stelle, in der Grubinger nonstop 160 Takte lang zwischen Xylophon und verschiedenen Holzblöcken einen orgiastischen Hochgeschwindigkeitsparcours zu bewältigen hat. Dass er aber überhaupt Cerha für solch eine Komposition begeistern konnte, empfindet Grubinger heute noch als Ritterschlag. Denn „für uns Österreicher ist Cerha der bedeutendste lebende Komponist. Und ich freue mich schon jetzt, wenn ich in 50 Jahren meinen Kindern stolz berichten kann, dass ich nicht nur Cerha gekannt habe, sondern dass er sogar ein Konzert für mich geschrieben hat.“
Nun ist Friedrich Cerha am 14. Februar und damit drei Tage vor seinem 97. Geburtstag in Wien gestorben. Und wer weiß: vielleicht kommt er ja jetzt in den Genuss jenes Paradieses, das er in seiner „1.Keintate“ auf einen Text von Ernst Kein gefeiert hat: „Der Himmel für uns Wiener müsste ein großer Gasthausgarten sein, an einem warmen Sommertag und die Kellner müssten Schnitzel und Gurkensalat bringen und Bier soviel man will und alles gratis.“

Guido Fischer



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