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Christian Gerhaher in Felix Mendelssohn
Bartholdys „Elias“ mit den Berliner Philharmonikern (c) Lena Laine
Schön chorwarm ums Herz wurde einem, die Silvesterkonzertwalzer waren eben verweht, in Berlin gleich zweimal. Im dritten Anlauf (wegen Corona) konnten Justin Doyle und sein RIAS Kammerchor samt Akademie für Alte Musik endlich Händels heute kaum mehr gespieltes, ziemlich militaristisches Oratorium „Judas Maccabaeus“ herausbringen. Mit englischen Solisten und einem weich federnden Vokalensemble gelang freilich eine zartfühlend heitere, gar nicht martialisch schlachtenpolternde Interpretation.
Der folgten auf den Fuß die Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko mit einem plastisch starken „Elias“ von Felix Mendelssohn Bartholdy. Christian Gerhaher war der polternde Prophet mit jedem Ton und jeder Faser, Elsa Dreisig sang seraphisch klar ihr „Höre, Israel“. Und zusammengehalten wie überkuppelt wurde solches durch den großen Vokalanteil des formidablen Rundfunkchores Berlin.
Und auf ging es nach Zürich. Ein römischer Kindkaiser aus Syrien in einer frühvenezianischen Opera Seria. Francesco Cavalli komponierte „Eliogabalo“ 1667. Das Werk kam damals nie heraus, das Libretto über den queeren Imperator war selbst für die Freizügigkeit der Serenissima zu schlüpfrig. Erst 1999 wurde der Dreiakter in Crema uraufgeführt.
Bunt klingt es jetzt an der Oper Zürich. 34 Musiker sind aufgeboten, wo einst wohl nur fünf waren. Der schon im Präludium tempogewitzt swingende Dmitry Sinkovsky dirigiert nicht nur abwechslungsreich, er spielt auch ein Geigensolo und singt ein Countertenor-Arioso. Der Abend packt vom ersten Moment an, das begeisterte Publikum geht intensiv mit. Weil die Musik stark und auch in ihrer Reduziertheit abwechslungsreich ist, die Story dramaturgisch sinnig erzählt wird. Insgesamt gibt es in Calixto Bieitos bewährt drastischer, aber eben auch kühl-dichter Inszenierung sieben „Liebes“-Konstellation. Wirkliche Sympathie empfindet man freilich mit keiner davon.
Der weibische Herrscher ist ein Countertenor, Jurij Mynenko singt ihn fies, aber mit Würde, Siobhan Staggs Eritea tremoliert im Furor ihrer Wut, ebenso ihr Geliebter Giuliano Gordio (hier ein dunkler, butchiger Mezzo – Beth Taylor). Das nächste Opfer von Heliogabal ist die Patrizierin Flavia Gemmira. Anna El-Khashem gibt hier mal nicht nur süßes Sopranmädchen, sondern eine wilde, störrische Frau, die am Ende als Gefährtin von Alessandro Cesare, Cousin und Rivale des Kaisers (auch ein Counter: der ausdrucksstarke David Hansen), zur neuen Herrscherin Roms aufsteigt.
Wir wechseln gern nach Wien. Ein Elefantentreffen in „Aida“, aber ohne Vierbeiner. Dafür mit drei singenden Aufrechtgängern von eben jener gigantösen Starstatur, wie man sie in der Oper heutzutage gerade eben noch finden kann. Als solche sind sie für vier Repertoirevorstellungen an der Wiener Staatsoper zusammengekommen: Anna Netrebko, Elīna Garanča und Jonas Kaufmann, die noch niemals als Trio gemeinsam auf der Bühne gestanden haben.
„Aida“ ist in Wien natürlich eine mumifizierte, 39 Jahre alte Inszenierung des lange verblichenen Routiniers Nicolas Joël. Im Graben waltet Nicola Luisotti, die dirigierende Schlafhaube ohne jegliche Gestaltungsambition. Die eigentliche Oper beginnt erst nach der Pause.
Da ist der Staub ab, die nicht mehr ganz frischen Stars (46, 51, 53 Jahre alt) kommen auf Drehzahlen. Sogar der optisch wie akustisch inzwischen grau gewordene Jonas Kaufmann. Als erste durchs Egoshooter-Rennen geht die Rollen-Debütantin Elīna Garanča als Amneris. Die, kontrolliert kühl wie immer, singt mit leichter Höhe wie angenehm gepolsterter Tiefe, kann aber ordentlich dezibelaufdrehen.
Anna Netrebko, einst gefeierte Russin mit österreichischem Pass, ist als schlecht beratene Putin-Sympathisantin zumindest umstritten. Aber das Naturgeschenk ihres schönen Timbres ist kaum zu toppen. Selbst von jeder differenzierten Charakterdarstellung unangekränkelt und hilflos chargierend singt sie einfach berückend.
Matthias Siehler, 18.02.2023, RONDO Ausgabe 1 / 2023
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