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N° 1298
25. - 31.03.2023

nächste Aktualisierung
am 01.04.2023



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Jens Meisert

Frieder Bernius 

Jenseits der Liturgie

Mit seinen Ensembles findet der Dirigent in Franz Schuberts mittlerer „Missa Solemnis“ in As-Dur liedhafte Transparenz.

Das Schaffen von Frieder Bernius ist schwer überschaubar: Der 75-jährige Chor- und Orchesterdirigent gilt als penibler Chorklang-Tüftler, grub Raritäten aus und sammelte wichtige Preise für seine Einspielungen. In seiner riesigen Diskografie spielten Werke von Schubert bislang keine große Rolle. Nun aber hat er Schuberts As-Dur-Messe eingespielt. Am Telefon klingt er aufgeräumt.

RONDO: Was hat Sie an Schubert besonders gereizt?
Frieder Bernius: Besonders interessant sind für mich die Komponisten, die noch im 18. Jahrhundert geboren und geprägt wurden, aber im 19. ihren Zenit erreichten. Das gilt besonders für Schubert.

Wie ordnen Sie Schubert ein?
Die Sicht auf Schubert hat sich sehr verändert, zur Zeit meines Studiums war er vor allem der Liedkomponist. Schubert hat einen starken Personalstil entwickelt wie nur wenige andere. Ich halte ihn für einen der wichtigsten Komponisten überhaupt.

Und warum die As-Dur-Messe?
Die Schubert-Sinfonien ein weiteres Mal aufzunehmen, schien mir wenig sinnvoll, aber die As-Dur-Messe ist mir wichtig, generell gibt es bei den vokalen Werken noch etwas beizutragen meinerseits.

Schuberts Messen haben einen unverwechselbaren Sound, wie würden Sie ihn beschreiben?
Schubert war in dieser Schaffensphase stark von Händel beeinflusst. Unter diesem Eindruck fing er an, bei Simon Sechter Kontrapunkt zu studieren. Er wollte das nachholen und ist spät noch zum Kontrapunktiker geworden. Aber das sind eher Stilkopien geworden, wie in dieser Messe.

Wie äußert sich der Schubert’sche Personalstil hier?
Es gibt die lyrischen Stücke wie „Kyrie“ und „Benedictus“ – das ist reinster Schubert’scher Personalstil. Das hängt auch mit seiner unverkennbaren Melodik zusammen und sehr besonderen Ideen bei der Zusammenfügung von Streichern, Bläsern, Chor und Solisten.

Schubert gilt als Schnellschreiber, der in einer Nacht drei Lieder zu Papier brachte. An dieser Messe hat er dagegen sehr lange gearbeitet. Wie erklären Sie das?
Man darf annehmen, dass er ein leicht gestörtes Verhältnis zum Messtext oder sogar zur Institution Kirche hatte, einige Zeilen hat er ja gar nicht vertont. Ich denke, er hat die Messe letztendlich eher für die Schublade komponiert, trotz Widmung und Uraufführung.

Aber woher dann das Zögern, die künstlerischen Zweifel?
Schubert war bewusst, dass erst im Dienst der Messvertonung die Musik überhaupt zur Kunstform wurde. Seitdem ist die Vertonung des Messordinariums für jeden Komponisten etwas Besonderes, auch für Schubert. Ihm war in seiner Reifephase klar: Jetzt muss ich mal zur Sache kommen. Er war auf der Suche nach einer Form zwischen Kirche und Konzertsaal, ähnlich wie Beethoven mit seiner „Missa“, er wollte etwas Vokalsinfonisches entwickeln jenseits der liturgischen Verwendung.

Worin liegen die Tücken des Werks?
Da geht’s ans Eingemachte! Das Wichtigste ist die Phrasierung, man muss sehr auf Linie gehen, damit der gesangliche Bogen gelingt. Für den Chor liegt es oft unangenehm, beim Klang ist die dynamische Abstimmung untereinander schwierig, denn der Alt liegt immer tief, der Tenor hoch. Mir sind auch die Vokalfärbungen sehr wichtig. Wie viele Möglichkeiten gibt es, ein „a“ oder ein „e“ auszusprechen? Nur durch Angleichung erreiche ich einen homogenen Klang.

Neu erschienen:

Franz Schubert

Messe As-Dur D 678

Stuttgarter Kammerchor, Hofkapelle Stuttgart, Frieder Bernius u.a.

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Regine Müller, 11.02.2023, RONDO Ausgabe 1 / 2023



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