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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Andrej Grilc

Maxim Emelyanychev

Anfang und Ende

Historisch informiert, aber dennoch mit dem Blick des 21. Jahrhunderts – so starten das Ensemble Il Pomo d’Oro und sein Chefdirigent ihre Gesamteinspielung der Mozart-Sinfonien.

„Ein einzigartiges Orchester, das so gut wie alles spielen kann.“ So beschreibt Maxim Emelyanychev gerne sein Ensemble Il Pomo d’Oro, das er seit 2016 als Chefdirigent leitet. Denn auch wenn die Truppe sich in erster Linie mit Werken von Georg Friedrich Händel, Antonio Vivaldi oder Leonardo Vinci einen Namen gemacht hat, wäre es falsch sie nur auf das Barockrepertoire zu reduzieren. „Eines unserer jüngsten Projekte war zum Beispiel ein Programm mit Joyce DiDonato, bei dem wir Musik aus fünf Jahrhunderten aufgenommen haben, von Cavalli über Wagner bis hin zu Charles Ives. Das auf alten Instrumenten zu spielen, finde ich sehr spannend, weil den wenigsten heute bewusst ist, dass man noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts Darmsaiten verwendet hat.“
Aktuell steht für Emelyanychev trotzdem vor allem ein Komponist im Fokus: Wolfgang Amadeus Mozart. Bedeutet das aktuelle Album des Ensembles doch den Startschuss für einen lang geplanten nun über mehrere Jahre angelegten Zyklus, in dessen Rahmen die kompletten Sinfonien des Salzburger Wunderkindes auf Tonträger dokumentiert werden sollen. Das Album markiert dabei Anfang und Ende zugleich. Findet sich hier doch die erste Sinfonie, die der damals achtjährige Mozart 1764 zu Papier brachte, Seite an Seite mit seinem letzten Beitrag zur Gattung, der berühmten „Jupiter“-Sinfonie.
Ein bewusst gewählter Kontrast, der für den Dirigenten deutlich reizvoller erscheint als ein chronologisches Abarbeiten der Nummern aus dem Köchelverzeichnis. „Das wäre wahrscheinlich eher für Musikwissenschaftler interessant. Aber in seiner Jugend hat Mozart viele Sinfonien in D-Dur komponiert und mit ähnlichen Affekten gearbeitet. Und mir ging es vielmehr darum, ein spannendes und abwechslungsreiches Programm für eine CD zu entwerfen.“ Das Album versteht der Dirigent dabei ähnlich wie ein in sich zusammenhängendes Konzertprogramm und hofft, dass es auch von den Fans in dieser Abfolge gehört wird. „Viele Leute nutzen inzwischen Streaming-Plattformen, auf denen man sich auch mal nur einen einzelnen Satz anhört oder verschiedene Aufnahmen kombiniert. Aber ich mag das Albumformat. 80 Minuten sind für mich eine gute Länge.“

Die Mischung macht’s

Für ein breit gefächertes Hörerlebnis sorgt allerdings nicht nur die Kombination von Kompositionen aus unterschiedlichen Lebensabschnitten. Jede Folge des Mozart-Zyklus wird ebenso ein ergänzendes „Bonuswerk“ enthalten. Hier etwa das Klavierkonzert KV 488, für das Maxim Emelyanychev selbst am Hammerklavier Platz nimmt. „Ich möchte bei jedem Album möglichst viele Farben und Eindrücke miteinander kombinieren. Nach der ersten Sinfonie ist man in einer gewissen Stimmung, aber dann bringt das Klavier auf einmal eine ganz andere Facette von Mozart.“
Beim Instrument hat er sich für den Nachbau eines Hammerklaviers von Conrad Graf aus dem Jahr 1823 entschieden. Was streng genommen bereits eine halbe Generation hinter Mozart liegt. „Originalinstrumente helfen uns zu verstehen, wie Musik zur Zeit ihrer Entstehung geklungen haben mag. Aber wir müssen uns auch bewusst sein, dass wir für ein modernes Publikum spielen. Das muss sich auch in unseren Interpretationen spiegeln.“ Und so begrüßt es der russische Dirigent, dass die Grenzlinien heute nicht mehr ganz so streng gezogen werden und auch gemischte Besetzungen akzeptiert werden. „Es gibt viele Orchester, die auf moderne Instrumente vertrauen, aber je nach Repertoire beim Blech auf Naturhörner zurückgreifen, weil hier der klangliche Unterschied zwischen alt und neu eben deutlich größer ist als bei einer Geige oder Oboe.“ Aber auch für Mozart selbst war es bekanntlich kein Problem, Werke zu transponieren oder gar für andere Ins­trumente neu zu arrangieren. „Deshalb habe ich mir die Freiheit genommen ein später gebautes Hammerklavier zu nehmen, weil es diesen ganz speziellen Klang hat, den ich vor allem im zweiten Satz haben wollte.“
Um dies auch auf Tonträger so exakt wie möglich einzufangen, kam mit Nicolas Bartholomée ein Produzent und Toningenieur mit ins Team, dem Emelyanychev sein grenzenloses Vertrauen ausspricht. „Man muss eine genaue Vorstellung davon haben, was man im Studio erreichen will. Ein Live-Konzert ist auch deshalb spannend, weil man die Musikerinnen und Musiker sieht. Bei Aufnahmen ohne diese visuelle Komponente muss man alle Affekte und Kontraste etwas größer machen, damit sie hörbar werden. Und Nicolas ist ein Mensch, der aus jedem von uns das Beste herausholt und diese Farben in unserem Orchester findet. Ich kenne ihn schon seit meiner Zusammenarbeit mit Teodor Currentzis und bin sehr froh, dass wir ihn für dieses Projekt gewonnen haben.“
Die doppelte Belastung als Dirigent und Solist empfindet Emelyanychev dabei überraschenderweise sogar als Vorteil. Schon als er mit 16 Jahren seinen ersten Mozart mit einem Jugendorchester leitete, riet ihm sein Professor zur Vorbereitung nicht nur die Aufnahme eines englischen Originalklang-Ensembles zu hören, sondern ebenfalls vom Hammerklavier aus zu dirigieren. „Ich war damals noch jung, und hätte nie gedacht, dass man das machen kann. Aber es ist tatsächlich eine ganz andere Verbindung mit dem Orchester, als wenn man nur dirigiert. Man fühlt sich als Teil des Ganzen.“ Diese Philosophie will er nun auch mit seinen Aufnahmen vermitteln.

Neu erschienen:

Wolfgang Amadeus Mozart

„The Beginning and The End“ (Sinfonien Nr. 1 und 41, Klavierkonzert Nr. 23 A-Dur)

Il Pomo d’Oro, Maxim Emelyanychev

Aparté/hm-Bertus

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Tobias Hell, 25.02.2023, RONDO Ausgabe 1 / 2023



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