home

N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Startseite · Oper & Konzert · Hausbesuch

(c) Valentin Behringer

Freiburger Barockorchester 

Sprung zu etwas Neuem

Gottfried von der Goltz gibt an der Spitze dieses Orchesters Mozarts Violinkonzerten eine improvisierende Spontaneität.

Das Freiburger Barockorchester ist auf Tour, abends spielt es in der Kölner Philharmonie Mozart, ein gemischtes Programm mit dem „Jenamy“-Konzert, am Hammerflügel sitzt einer der beiden künstlerischen Leiter Kristian Bezuidenhout. Kurz vor der Anspielprobe treffen wir uns im Künstlerfoyer mit dem anderen, Gottfried von der Goltz, der heute nur als Primarius, nicht als Solist auftritt. Er ist schon da, Bezuidenhout stößt im Verlauf des Gesprächs dazu.

RONDO: Wir sprechen über Ihre neue Aufnahme mit Mozarts Violinkonzerten, die bei Aparté erscheint, wo Sie schon mehrfach aufgenommen haben. Welche Dramaturgie verfolgen Sie mit dem Label?
Gottfried von der Goltz: Die Mozart-Konzerte sind nun das fünfte Projekt mit Aparté. Besonders wichtig war mir das Album „Seliges Erwägen“ von Telemann, ein ganz großes Werk, es sind sieben Betrachtungen zum Tod Jesu, eine sehr eigenwillige Komposition. Auch die „Concerti all’arrabbiata“ waren etwas ganz Besonderes. Und dann die Corelli Concerti grossi mit einer große Bläsergruppe, Trompeten und Posaunen, das hört man ja sonst kaum.

Es geht also um Raritäten?
Der Masterplan mit dem Label ist eher pragmatisch gedacht: Es gibt einen losen Vertrag mit harmonia mundi, aber dort gibt es noch ein weiteres großes Barockorchester und daher muss man sich gut absprechen. Deshalb bringen wir einiges lieber bei Aparté unter.

Gibt es einen bestimmten Rhythmus, in dem neue Aufnahmen erscheinen?
Nein, das ist eher improvisiert. Ich bin immer noch ein analoger Mensch und finde es toll, wenn CDs mit Liebe gemacht werden. Da steckt viel Herzblut drin, mit dem Downloaden kann ich mich nicht abfinden. Wir geben uns auch Mühe, die Alben dramaturgisch interessant zu gestalten und einen ordentlichen Text beizulegen.

Wie kam es nun zu den Mozart-Violinkonzerten?
Wir spielen ja immer viel Mozart in den Konzerten, auch häufig Haydn Sinfonien und das kommt immer wieder. Als Sohn eines Geigers beschäftige ich mich mein Leben lang mit diesen Werken und dachte mir: Jetzt würde ich das gerne machen. Ich habe jetzt so viel Erfahrung mit dem Orchester gesammelt, und dann habe ich Kris gefragt, ob er das mit uns zusammen machen will.

Weil Ihr Euch gut kennt?
Ja, durch die parallel entstehenden Aufnahmen der Klavierkonzerte sind wir ein eingespieltes Team. Er war begeistert und hat sofort zugesagt. Wir haben bei den Violinkonzerten jetzt eine Doppel-Leitung, von mir und vom Klavier aus. Das ermöglich uns ein kammermusikalisches Musizieren.

Mozarts Violinkonzerte sind Basis-Repertoire, jeder kennt sie. Ist man für eine frische Interpretation nicht verstellt durch die vielen alten Interpretationen?
Ja, die kennen wir alle, und die Konzerte gehören ja noch dazu auch zum Probespielrepertoire für die Sinfonieorchester. Also, man ist umzingelt davon. Aber über diese Praxis mit den Klavierkonzerten und mit Kris am Continuo ist der Sprung zu etwas Neuem glaube ich gelungen. Und ich spiele meine eigenen Kadenzen, die ganze Interpretation lässt viel Raum für Improvisation.

Und für abweichende Formulierungen, wie man mit Erstaunen hören kann. Aber geht das so einfach, das Freimachen von den Hörgewohnheiten?
In der Barockmusik spielt die Improvisation, das Verzieren ja eine elementare Rolle und durch meine reichen Erfahrungen mit der Barockmusik bin ich es gewöhnt, nicht so sehr mit den Augen zu spielen, also, was in den Noten steht, sondern ich lasse den Blick durch die Partitur durchgehen.

Welche Rolle spielt der Dirigent am Klavier?
Kris gibt schon entscheidende Impulse – besonders in den Rondos! Die erzählen immer eine Geschichte, die Couplets erschließen dann andere musikalische Welten, die auch verrückt sein dürfen, aber immer wieder zurückkommen zum Ausgangspunkt. Kris ist ein Chamäleon, manchmal nur sehr unterschwellig zu hören, dann sehr präsent.
Kristian Bezuidenhout (ist dazugestoßen): Genau, so ist es. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die meinen, dass man den Continuospieler die ganze Zeit hören muss. Manchmal ist die linke Hand sehr wichtig und attraktiv für das Orchester, manchmal setze ich Akzente durch die Einführung einer Idee, oder um zu antworten auf etwas anderes, manchmal kommentiere ich, was Gottfried macht. Aber ich bin kein großer Fan der dauernden Interventionen durch das Continuo … viele machen das in diesem Repertoire, und das ist so geschmacklos!

Ist denn alles fix abgesprochen? Oder bleibt viel Luft für Improvisation?
KB: Die dramatischen Dinge sind fixiert, aber was ich mit der linken Hand mache, ändert sich oft, wechselt von Take zu Take und von Tag zu Tag.

Mozart gilt als besonders schwierig, empfindet Ihr das auch so?
GvdG: Mein Lehrer Rainer Kussmaul hat immer zu mir gesagt: Mozart ist für Erwachsene zu schwer und für Kinder zu leicht. Er ist leicht auf eine Art, aber das wirklich toll zu spielen ist unglaublich schwer.

Was ist der Schlüssel für die Soloparts?
GvdG: Mozarts Geschmack war immer geprägt von der Oper, die Geige ist eine Imitation der Singstimme, oben ist es die Kopfstimme, zart und engelshaft, und in der tiefen Lage sehr maskulin. Er denkt immer im Dialog der Register. Mir hat diese Idee sehr geholfen bei der Interpretation der Violinkonzerte. Und sie hilft auch dabei, wie man mit dem Vibrato umgeht. Nämlich als gezielt eingesetztes Stilmittel.

Wie lange hatten Sie Zeit für die Aufnahme?
GvdG: Viel zu kurz, wie immer. Ich bin ein Fan davon, bei der Aufnahme Material zu sammeln. ich setze lieber ein paar Takes richtig in den Sand und riskiere viel, um dann die Wahl zu haben, was am besten gelungen ist …

Wird man mit Mozart jemals fertig?
KB: Überhaupt nicht, nie!

Wenn Sie Ihre Aufnahme der Violinkonzerte beschreiben sollten, was unterscheidet sie von anderen?
KB: Der Spirit ist sehr frisch, es klingt so, als wäre die Tinte noch nicht trocken, sehr lebendig, sehr engagiert, manchmal mag es vielleicht sogar ein bisschen chaotisch wirken? Da ist eine Art von Elektrizität mit sehr alerten Tempi. Ich finde, es ist auch eine Hommage an das Landleben und die bäuerliche, volkstümliche Musik. Mozart ist ja eigentlich ein urbaner Komponist, aber da ist so viel erdige Country-Musik dabei, Tanzmusik! Aber auch Musik mit Impulsen aus Osteuropa, türkische Musik – denken Sie nur an das Rondo aus dem A-Dur-Konzert. Die Konzerte sind wahnsinnig vielfältig, sie brauchen Engagement. Das Freiburger Barockorchester ist dafür der perfekte Partner, sie spielen um ihr Leben.
GvdG: Die Musik kommt bei uns aus der Mitte des Orchesters, das war immer mein Ideal.
KB: Die Konzerte sind auch sehr experimentell, besonders in den Rondo-Sätzen. Also, er hat sich da schon Mühe gegeben!

Neu erschienen:

Wolfgang Amadeus Mozart

Violinkonzerte Nr. 3–5

Gottfried von der Goltz, Freiburger Barockorchester, Kristian Bezuidenhout

Aparté/hm-Bertus

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Externer Inhalt - Spotify

An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.

Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.

Regine Müller, 11.02.2023, RONDO Ausgabe 1 / 2023



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Gefragt

Kulturpolitik in Österreich

Waches Empfinden für die Gegenwart

Österreich rühmt sich als Kulturnation. Aber fühlen sich Wiens Klassik-Intendanten von der […]
zum Artikel

Gefragt

Voyager Quartet

Lieder ohne Worte

Franz Schuberts „Winterreise“ präsentiert das Quartett in einer Version, welche die Musik für […]
zum Artikel

Pasticcio

Tief in den Schlund gelauscht

„Mensch, das darf doch nicht wahr sein! Wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen!“ So oder so […]
zum Artikel


Abo

Top