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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Astrid Ackermann

BR-Klassik

Wer, wenn nicht wir?

Der Sender und sein Label feiern den 100. Geburtstag des deutschen Rundfunks mit einem Programmschwerpunkt und CD-Sondereditionen.

Vor genau 100 Jahren, 1923, begann mit der ersten „Funkstunde“ aus Berlin das Zeitalter des deutschen Rundfunks. BR-Klassik begeht dieses Jubiläum mit einer Fülle von Aktionen. Meret Forster leitet bei BR-Klassik die Redaktion „Musik und Konzerte“, das kapitale Jubiläumsprojekt ist in ihrer Redaktion angesiedelt, die ein großes Team zu koordinieren hat. Die Strukturen in den Rundfunkanstalten sind bekanntlich komplex. Am Telefon sprudelt Forster über vor Begeisterung für das Projekt: „Der Anlass für den Programmschwerpunkt ist die Erkenntnis, dass auf verblüffende Art und Weise das Jahr 1923 ja sehr viel mit uns heute zu tun hat. Mit der ersten ‚Funkstunde‘ wurde ein irrwitziger Wandel der Medienlandschaft angeregt.“
Der Programmschwerpunkt verteilt sich über das Jahr, vier Kapitel wollen das Fenster zu dieser Zeit öffnen, im Februar und März bildet das Thema „Krise & Aufbruch“ den Auftakt. Die CD-Sondereditionen sind schon jetzt zu haben: Unter dem Titel „1923 – Der wilde Sound der 20er“ eine Einspielung mit Werken von Toch, Weill, Krenek und Bartók mit dem Chor des BR und dem Symphonieorchester des BR unter der Leitung von Cristian Măcelaru, sowie auf dem zweiten Album von André Caplet „Le miroir de Jésus. Mystères du Rosaire“ in einem Live-Mitschnitt mit Anke Vondung, dem Chor des BR und dem Münchner Rundfunkorchester unter Howard Arman. Für Meret Forster ist dies eine exemplarische Auswahl dieser an Widersprüchen und Verwerfungen reichen Zeit: „Die Musik von 1923 ist Spiegel ihrer Zeit, denn damals stehen neue Medien alten Traditionen gegenüber. Es gibt eine Revolution auf der einen, Beharrung und Rückblick auf der anderen Seite.“
Mit der Jubiläums-Dramaturgie will Forster sich abgrenzen von jeder Form der Nostalgie. „Wir wollen Brücken schlagen zum Heute, nicht einfach nur zurückblicken in die Mottenkiste der 1920er Jahre. Gerade sind eine Reihe historischer Sachbücher erschienen über diese Zeit, aber den damaligen Musikbetrieb mit seinen Widersprüchen und Gegensätzen haben sie gar nicht im Blick. Und das ist unser ureigenstes Thema.“
Komponisten wie Weill, Toch, Bartók und Krenek reagierten auf das neue Medium, das innerhalb kürzester Zeit zum Massenmedium geworden war. „Es sind musikalisch und ästhetisch sehr unterschiedliche Stücke, sie offenbaren die jeweils individuelle Suche nach neuen Ausdrucksformen und neuer Anmutung. Was auch Unterhaltungsmusik oder bei Bartók Referenzen zur Volksmusik einschließt.“

Auf allen Kanälen

Das Rundfunk-Jubiläum ist auch ein Anlass der Selbstverortung im Dschungel des medialen Angebots der Gegenwart und der Frage danach, was der Rundfunk heute leisten will und kann. „Unser Mediennutzungsverhalten hat sich elementar verändert. Wenn wir heute über Rundfunk reden, denken wir nicht mehr nur an Audio, sondern an ein Medienangebot weit darüber hinaus. Das beginnt damit, dass man mit der Radio-App zeitunabhängig hören kann. Es wird auch erwartet, dass in der Mediathek zu einem Konzert auch ein Video zu finden ist oder ein weiterführender Artikel oder eine Bilderleiste mit den Ausführenden.“
„Crossmedial“ lautet das Zauberwort, das inzwischen auch längst die Print-Medien erreicht hat. Ein Konzept, das mit dem alten Radio-Kerngeschäft, live gesendet, in Echtzeit und ohne Augenfutter wenig zu tun hat und auf den Internet-Konsumenten setzt. Ohne den aber nichts mehr geht: „Es wäre verschenkt, die Inhalte nicht crossmedial anzubieten, sondern lediglich Audios ohne begleitende Informationen“, weiß Forster. Sie sieht im grundlegend veränderten Nutzungsverhalten die wichtigste Aufgabe gerade für die öffentlich-rechtlichen Sender: „Wir können nicht darauf beharren zu sagen: Wir machen TV und Radio, und alles darüber hinaus machen die anderen. Das wäre falsch, denn wir sind es dem Gebührenzahler schuldig, ein wunderbares mediales Angebot zu präsentieren, das selbstverständlich ein Online-Angebot inkludiert, unabhängig vom linearen Sendetermin.“
Auf der anderen Seite des Rundfunk-Kosmos stehen die Klangkörper, die sich die Sender leisten: „Wir haben drei Klangkörper, den BR-Chor, das Münchner Rundfunkorchester und das BR-Symphonieorchester, das ist ein großartiges Privileg. Wir können für das Jubiläumsprogramm in Kooperation in die Planung der Klangkörper eingreifen.“ Will sagen: Die Programme folgen der Dramaturgie. So singt etwa der Chor Stücke aus dem Jahr 1923 und das Münchner Rundfunkorchester bietet ein Konzert zu den Themen Tempo und Technik. Der Impuls kam von Forsters Team: „… angestoßen durch den BR-KLASSIK-Programmschwerpunkt. Darin liegt eine Chance aber auch ein Auftrag, denn wer macht das sonst, wenn nicht wir? Ein profitorientiertes Orchester kann sich solche experimentierfreudigen Programme selten leisten.“
Die Klasse der Klangkörper des Bayerischen Rundfunks lässt sich am Rang seiner Chefdirigenten ablesen, auf den verstorbenen Mariss Jansons folgt mit der Spielzeit 2023/24 kein Geringerer als Sir Simon Rattle als Chef des Symphonieorchesters und Chors des Bayerischen Rundfunks. Schon jetzt begleitet Rattle das Projekt „1923“ als Schirmherr.
Zum guten Ton jeder Kultureinrichtung gehören in diesen Zeiten auch Education-Initiativen. Auch hier setzt man beim BR auf angesagte Formate, so Forster: „Mit dem Symphonieorchester des BR starten wir ein Edutainment-Projekt im digitalen Videoformat. Es wird unter anderem um die ‚Rhapsody In Blue‘ von George Gershwin gehen. Sie ist ein Paradebeispiel dafür, was damals passierte, es gibt sie in verschiedenen Fassungen, etwa in großer Orchesterbesetzung oder nur mit Jazzband. Immer entstanden für das jeweilige Setting und im medialen Kontext.“

Alle Infos zum Programmschwerpunkt:
www.br-klassik.de/themen/der-wilde-sound-der-20er

Neu erschienen:

André Caplet

„Le miroir de Jésus. Mystères du Rosaire“

Anke Vondung, Chor des Bayerischen Rundfunks, Münchner Rundfunkorchester, Howard Arman

BR-Klassik/Naxos

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Ernst Toch, Kurt Weill, Ernst Krenek, Bela Bartok

Chor des BR, Symphonieorchester des BR, Cristian Măcelaru

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Regine Müller, 25.02.2023, RONDO Ausgabe 1 / 2023



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