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N° 1354
20. - 28.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Stradivari Quartett

Stradivari Quartett

Musik auf entrückten Gipfeln

Im traditionsreichen Hotel Waldhaus in Sils Maria nimmt das Stradivari Quartett sein Publikum mit auf eine Zeitreise.

Schon die Anreise zum Stradivari-Fest im ostschweizerischen Engadin wird zum unvergesslichen Erlebnis. Auf der als UNESCO-Welterbe geschützten Albulalinie der Rhätischen Bahn geht es durch Kehrtunnel und über Viadukte immer höher hinauf in die verschneite Bergwelt Graubündens. Mehrmals kreuzt die in schwindelerregenden Kurven angelegte Strecke sich selbst. Man kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus und weiß bald nicht mehr, wo links und rechts ist. Als der Endbahnhof St. Moritz erreicht ist, hat der rote Zug mehr als 1000 Höhenmeter überwunden.
Per Bus oder Hotelshuttle gelangt man von dort aus rasch nach Sils Maria, wo einst schon der Philosoph Friedrich Nietzsche nach Erleuchtung suchte. Wie eine große Burg thront auf einer Anhöhe über dem Dorf das legendäre Hotel Waldhaus, das in fünfter Generation von ein und derselben Familie geführt wird. Vom obersten Stockwerk aus hat man einen spektakulären Blick auf die winterliche Berg- und Seenlandschaft, die sich von Stunde zu Stunde zu verändern scheint.
„Das wechselnde Licht in diesem Hochtal ist ganz speziell“, sagt die Cellistin Maja Weber, die seit über 30 Jahren Kammermusik im Waldhaus spielt. Seit sieben Jahren gastiert sie hier regelmäßig mit ihrem Stradivari Quartett, das diesmal wieder zum Sextett erweitert wird.
In der holzgetäfelten Hotelbar, wo sonst auch ein hauseigenes Trio musiziert, erklingt am Eröffnungsabend des kleinen Festivals Arnold Schönbergs spätromantisches Stück „Verklärte Nacht“. Durch die großen Fensterscheiben kann man währenddessen beobachten, wie draußen der Lärchenwald langsam in einem bläulichen Licht versinkt.
Neben der Gründerin Maja Weber spielen in dem Quartett Xiaoming Wang, im Hauptberuf Konzertmeister im Orchester der Oper Zürich, sowie der Geiger Stefan Tarara und der Bratschist Lech Antonio Uszynski, beide international gefragte Solisten. In Sils ist auch der Cellist David Pia dabei, ein Enkel des bekannten Bach-Dirigenten Karl Richter, außerdem der Bratschist Volker Jacobsen, der einst mit Lübecker Studienkollegen das Artemis Quartett ins Leben rief.

Magie des Ortes

Eindringlich interpretieren sie das aufwühlende Werk, das sich hier mit der Magie des Ortes verbindet. Uraufgeführt wurde es 1902 im Wiener Musikverein, wenige Jahre vor dem Bau des Silser Waldhauses. Davor gibt es Johannes Brahms’ Streichsextett op. 18 zu hören. Wie Schönbergs Stück deutete es in seiner Entstehungszeit in Richtung Zukunft.
In der großen Halle des Hotels fühlt man sich derweil fast ein bisschen auf den Zauberberg zurückversetzt. Thomas Mann stieg bekanntlich nicht nur auf der Davoser Schatzalp, sondern auch im Waldhaus ab. Heute lassen sich viele Hotelgäste in den weichen Sesseln nieder, um in Ruhe ein Buch zu lesen und dazu Tee zu trinken. An einem Konzertabend konzentrieren sich hier alle auf die Musiker, die zunächst das Streichsextett aus Richard Strauss’ Oper „Capriccio“ spielen. Auch Strauss hatte im Haus logiert. Temperamentvoll geht das Sextett dann Peter Tschaikowskis „Souvenir de Florence“ an – die Erinnerung an das mediterrane Italien lässt für einen Moment den bitterkalten Schweizer Winter vergessen.
In der Offenen Kirche unten in Sils, die 1597 gebaut wurde, ist die Atmosphäre intimer als in den meisten Konzertsälen. In Viererformation spielen Weber und ihre Kollegen Hugo Wolfs humorvoll-spritzige „Italienische Serenade“. Nach Anton Weberns „Langsamem Satz für Streichquartett“ erinnert Wolfgang Amadeus Mozarts „Dissonanzenquartett“ daran, welcher Schalk ihm im Nacken saß.
Weber organisiert nicht nur die musikalischen Programme, sondern auch Residenzen, Tourneen sowie Musikreisen für Konzertbesucher. Durch zahlreiche Partnerschaften sichert sie ihrem Quartett auch in finanzieller Hinsicht Planungssicherheit. In Zürich wuchs sie in einer Musikerfamilie auf, ihr Berufswunsch stand für sie schon als Kind fest. Mit 13 Jahren gründete sie mit der älteren Schwester ihr erstes Quartett, das später – in Anlehnung an Paul Hindemith – unter dem Namen Amar Quartett auftrat.
1999 erhielten alle Mitglieder Instrumente von der Stradivari-Stiftung Habisreutinger in St. Gallen. Eine besondere Auszeichnung für die jungen Musiker, denn die wertvollen Violinen, Violen und Celli wurden sonst immer einzeln vergeben. Als Weber 2007 das Stradivari Quartett aus der Taufe hob, durfte sie die Instrumente mitnehmen. Vor einigen Jahren verlangte die Stiftung die Leihgaben zurück. „Vor diesem Moment hatten wir großen Respekt“, bekennt Weber. „Unser erstes Konzert mit anderen Instrumenten hatten wir in der Berliner Philharmonie. Glücklicherweise wurde der Wechsel weder für uns noch für das Publikum zum Problem. Die lange gemeinsame Erfahrung hat uns sehr dabei geholfen, unseren Klang gut weiterzuentwickeln“. Der zweite Geiger Stefan Tarara, der im letzten Sommer als Nachfolger von Sebastian Bohren zu dem Quartett stieß, spielt momentan als einziges Mitglied auf einer „Ex-Kreisler“-Stradivari.
Das Stradivari Quartett hat von Anfang an weit über die Grenzen der Schweiz hinausgeblickt. Schon die Debüt-Tournee ging von München und Berlin nach Prag, Budapest, Eisenstadt, Salzburg und Wien. Weitere Konzertreisen führten unter anderem in die Hamburger Elbphilharmonie, die Londoner Wigmore Hall, in das Metropolitan Museum in New York und das National Center for Performing Arts in Peking sowie zu renommierten Festivals. Im April organisiert das Quartett im Rahmen der Stradivari-Feste eine Kulturreise nach Leipzig auf den Spuren von Robert und Clara Schumann.

Weitere Infos:

www.majaweber.com/stradivarifest/stradivarifeste-2022

www.waldhaus-sils.ch

Straffes Programm

Seit seiner Gründung 2007 ist das Stradivari Quartett in Europa, Asien und Nordamerika zu erleben. Es gastierte bereits in der Berliner Philharmonie, der Hamburger Elbphilharmonie, im Konzerthaus Wien, in der Wigmore Hall in London, im Metropolitan Museum in New York und im National Center for Performing Arts in Peking sowie beim Lucerne Festival, Kissinger Sommer, Schleswig-Holstein Musikfestival u.a. Aktuelle Mitglieder: Maja Weber (Cello), Xiaoming Wang (Violine), Stefan Tarara (Violine) und Lech Antonio Uszynski (Viola). Die Konzertsaison des Quartetts ist auf Komponistenzyklen fokussiert, wobei die Stradivari-Feste weitere Programme und Reisearrangements umfassen.

Corina Kolbe, 28.01.2023, Online-Artikel



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