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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Das Vokalensemble Tenebrae (c) Sim Canetty-Clarke

Weihnachtsneuheiten

Chöre aller Länder …

Weihnachten wird diesmal besonders vielstimmig.

Weihnachten: In die hintersten Schränke kriechen und auf Dachböden steigen, leicht muffig riechende Dekorationsartikel ans Tageslicht holen, harzig-klebriges Tannengrün und jede Menge Schmuck in den Wohnräumen verteilen, der – obwohl aus Strass und Stanniol – bei Kerzenschein einen kostbaren Glanz verströmt. Das Fest am Jahresende verlangt den Bewohnern des christlichen Abendlands viel Aufwand für relativ wenige Tage ab. Dabei wollte man es diesmal doch viel, viel kleiner halten!
Ist es nicht tröstlich, dass das nie anders war? Claudio Monteverdi schreibt etwa in einem Brief, dass er zu gar nichts kommt (nicht mal zum Briefe beantworten), weil er den ganzen Dezember an der Komposition und Zusammenstellung der Weihnachtsmusiken für San Marco in Venedig arbeiten musste. Von den Proben ganz zu schweigen. Aber wie auch beim Hausschmücken muss man zugeben, wenn man erschöpft ins Sofa fällt: Hat sich gelohnt! So viel Hall, Zinkenfeuer und chorischer Wohlklang war selten. Andrea Marcon und das La Cetra Barockorchester und Vokalensemble Basel haben sich an die Rekonstruktion einer „Vespro di Natale“, einer Weihnachtsvesper für Venedig, gewagt. Die Überraschung liegt im reizvollen Wechsel der Stile von Orgelintonationen, Psalmen und Motetten der damaligen musikalischen Praxis (DG/Universal).

Monteverdi u. a.

„Vespro di Natale“

Carlos Mena, La Cetra Vokalensemble Basel, La Cetra Barockorchester Basel, Andrea Marcon

DG/Universal

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Doch natürlich geht’s auch einfacher, zumindest in der sozialen Schichtung: Nicht immer sind Dogen, Fürsten und Bischöfe in steifer Seide zugegen. Manchmal müssen ein paar Hirten reichen, bei Christi Geburt zum Beispiel. Dass das ländliche Setting der Weihnachtserzählung eine ungemein inspirierende Wirkung auf Barockkomponisten hatte, zeigen gleich zwei Einspielungen. Der Violinist Bojan Čičić und sein Illyria Consort haben dem rauen, pastoralen Tonfall in der Violinsonate des 17. Jahrhunderts nachgespürt und für „La notte“ auch einige Trouvaillen aus dem Wiener Minoritenkonvent geborgen, die sie geschmackvoll und unaufgeregt zum Besten geben (Delphian/Naxos). Weihnachtsstimmung light.

Tiefer in die Materie ist Dorothee Oberlinger eingetaucht und lässt auf ihrem Album „Pastorale“ auch vertraute barocke Concerti, wie Corellis „Weihnachtskonzert“, durch den Klang der alten Piffari mit Blockflöten, Schalmeien und Dudelsäcken in ungewöhnlichem, aber hellem Licht erstrahlen (Sony). Ein schöner, kathartischer Auftakt.

Wir schauen weiter, was in der Chorabteilung Neues auf uns wartet. Der heimische Chor des MDR unter Philipp Ahmann punktet schon mal mit dem schönsten Chorklang fürs Weihnachtszimmer, so warm und anheimelnd, dass handgreifliche Konflikte gar nicht erst aufkommen. Bereits in dritter Folge liefert man mit „Glòria – Weihnachtslieder aus Deutschland und aller Welt“, das Ersehnte Seite an Seite mit Entdeckungen, unter die sich auch jüngere Kompositionen mischen, ohne die Harmonie störend zu zerreißen. Überraschungen sind etwa das Titelstück und ein „Ave Maria“ von Franz Biebl von 1964, vom Chor mit großer Innigkeit, Balance und Ruhe gesungen (Genuin/Note 1).

„Glòria – Weihnachtslieder aus Deutschland und aller Welt“

MDR Rundfunkchor Leipzig, Philipp Ahmann

Genuin/Note 1

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Oh, Wunder: Der ehrwürdige Choir of King’s College Cambridge hat seine Carols nochmal neu mit Orchesterbegleitung aufgenommen?! Aber nein: Hinter dem Album „Christmas Carols at King’s“ verbirgt sich ein Taschenspieler-, pardon: Tontechnikertrick. Zu den längst aufgenommenen Chorsätzen wurde neue Streicherseide arrangiert und vom Royal Philharmonic nachträglich eingespielt. Schmeckt, als würde man Süßstoff in den Glühwein rühren (Decca/Universal).

Deutlich mehr musikalische Fallhöhe, ebenfalls im britischen Repertoire, erweist das inzwischen dritte Weihnachtsalbum von Tenebrae unter Nigel Short, ohnehin einer der besten Chöre weltweit. Diesmal ist man mit den romantischen Chorheroen wie Ralph Vaughan Williams oder Herbert Howells und zeitgenössischen Köpfen wie Bob Chilcott, Joanna Forbes L’Estrange oder Owain Park unter ein Dach gezogen „In Winter’s House“. Auf der Spiegelachse, auch stilistisch zwischen alt und neu changierend, Benjamin Brittens „Ceremony of Carols“ (Signum/Note 1). Ein fantastisches Choralbum!

Chilcott, Vaughan Williams, Britten u. a.

„In Winter’s House“

Camilla Pay, Tenebrae, Nigel Short, Ben Parry

Signum/Note 1

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Ausschließlich zeitgenössisch ist der Chapel Choir of Pembroke College Cambridge unter Anna Lapwood unterwegs. Die „Pembroke Christmas“ ist dabei im Stil der neuen britischen Chortradition nie verstörend, eher esoterisch schwebend im Klang und wartet mit vielen Entdeckungen auf (Signum/Note 1).

Ein Schwergewicht unter den britischen Komponisten der Neuzeit ist der Schotte James MacMillan. Er hat das Unaussprechliche gewagt und dem Dauerbrenner von Johann Sebastian Bach ein eigenes „Christmas Oratorio“ zur Seite gestellt. Das tönt im Orchester sehr nach Britten, hat aber in den Chorsätzen auch originellere Momente. Die Uraufführung von 2019 mit dem London Philharmonic Orchestra und Mark Elder, Lucy Crowe und Roderick Williams als namhaften Solisten ist jetzt auf Doppel-CD erschienen (LPO/hm-Bertus).

Auf ähnlich hohem Niveau und durchsichtiger Besetzung wie Tenebrae, aber mit deutlich skandinavischem Einschlag und viel Pepp sind Grete Pedersen und der Norwegian Soloists’ Choir unter dem einladenden Titel „Veni“ unterwegs. Der schöne, blitzsaubere Chorklang wird von drei begleitenden Streichern mal mit Bordunen erweitert, mal ordentlich befeuert, wobei die traditionelle norwegische Fidel, die Nyckelharpa, dem eröffnenden „Adeste fideles“ sofort den Schmiss einer Taverne mitgibt (BIS/Klassik Center Kassel). Unser Geheimtipp für Entdecker!

„Veni“ – Songs of Christmas II

Gjermund Larsen, Marco Ambrosini, Sondre Meisfjord, Norwegian Soloists’ Choir, Grete Pedersen

BIS/Klassik Center Kassel

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Und noch eine Überraschung mit lokalpatriotischem Einschlag: Das Schweizer Vokalconsort unter Marco Amherd hat sich auf die Suche nach Weihnachtsmusik von oder gesetzt durch Schweizer Komponisten gemacht und reiche Ernte eingefahren. Sternenklar wie die Bergnacht ist der Chorklang, die kurzen Stücke des fünfsprachigen Albums „Dormi bel bambin“ überraschen und erfreuen, nicht zuletzt auch aufgrund der hervorragenden musikalischen Interpretation (Prospero/Note 1).

Die Stunde ist fortgerückt, wir haben schon einen im Tee und wollen uns entspannen. Das gelingt prima mit German Brass, die auf ihrem Album „It’s Christmas Time“ dem fetten Festtagsblech einen elegant-swingenden Hüftschwung und den Arrangements viel amerikanische Kalorien hinzufügen (Sony). Herrlich!

Bach, Morricone, Anderson, Händel u. a.

„It’s Christmas Time“

German Brass

Sony

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Daneben nimmt sich das „Christmas Album“ von Oboist Vilém Veverka und der Ultimate W Band unheimlich bieder aus. Die Best-of-Classics-Auswahl ist ohne Reiz und dann ist da noch ein Einheitsrhythmus im Hintergrund, so leise, als traue sich der Perkussionist selbst nicht so recht, sich einzumischen (Supraphon/Note 1).

Ernüchtert suchen wir Trost bei unverwüstlichen Stil-Ikonen: Satchmo, erhöre uns! „Louis Wishes You a Cool Yule“ verheißt Erlösung, und tatsächlich kann man sich an dem Swing des hier vereinten „Great American Christmas Songbook“ von Louis Armstrong und Band nicht satthören (Verve/Universal). Ella Fitzgerald und Velma Middleton schauen auf einen Drink rein, der Weihnachtsabend kann so unbeschwert und schwungvoll sein! Als Bonus liest Onkel Louis sogar noch ein Weihnachtsmärchen, eine private Aufnahme aus seinem letzten Jahr.

„Louis Wishes You a Cool Yule“

Louis Armstrong u. a.

Verve/Universal

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Dagegen kommt kaum einer an, vielleicht nur schräger Humor: „Mehr oder weniger Lametta“ gibt es bei GoldMund, das sind Anna Veit und 6 Blechbläser der Münchner Philharmoniker, klingt erstmal vielversprechend. Die Blech-Arrangements sind ganz ansprechend, der Gesamteindruck aber etwas zu gepflegt, um mitzureißen (SoloMusica/Naxos).

Und klassische Sänger-Weihnachtsalben gibt es keine? Oh, doch! Dieses Jahr möchte Diana Damrau sich erinnern, und zwar an das Weihnachten ihrer Kindheit. Die zweite Hälfte des Doppelalbums zeigt die Sopranistin als Virtuosa in weitgehend liturgiefreier Folge der Glanznummern von Mozart, Bach und Händel. Die erste Hälfte aber verspricht Persönlicheres: „My Christmas“ will ein wärmendes Licht in kalten Zeiten sein, klassische Weihnachtslieder, leichte Muse von Robert Stolz, Paul Burkhard und René Kollo (!). Geht das auf? Bedingt, denn die schön-timbrierte Stimme der Damrau fährt über die NDR Radiophilharmonie in diesen etwas süßlichen, aber doch abwechslungsreichen Arrangements wie ein Schlitten auf Kufen. Das fast durchgehende Vibrato verleiht ihr dabei eine so damenhafte Aura, dass man emotional unwillkürlich auf Distanz bleibt (Erato/Warner).

Dass man Erinnerungen auch anders sammeln kann, den Hörer engagierend, lernen wir bei der Pianistin Marina Branova. Sie macht auf „White Letters“ all das Ungeschriebene, Berührende, das Parfum der Weihnachtszeit zum Thema – als ein Kind jüdischer Eltern, das selbst Weihnachten nie gefeiert hat (Berlin Classics/Edel). Mit Musik von Ernest Bloch, Claude Debussy, Maurice Ravel und eigenen Kompositionen – ein stimmungsvolles Klavieralbum.

Marina Baranova u. a.

„White Letters“

Berlin Classics/Edel

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Dass Startenor Jonas Kaufmann sein Album „It’s Christmas“ aufgrund des großen Erfolgs bereits im dritten Jahr neuauflegt – diesmal mit gelesenen Weihnachtstexten? Geschenkt! Wer nun mit dem Gedanken an Mord unterm Baum spielt, dem sei RONDO-Stardetektiv Dr. Stradivari empfohlen. Der geht in 24 neuen Krimis dem Verbrechen auf die Spur, für jeden Tag des Advents einer, immer mit scharfsinniger musikalischer Lösung (Benno Verlag). Und garantiert ohne böses Erwachen am Weihnachtsmorgen.

Carsten Hinrichs, 26.11.2022, RONDO Ausgabe 6 / 2022



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