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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Pauce/naïve

Christian-Pierre La Marca 

Kostbare Vermächtnisse

Wie italienisch sind Haydns Cello-Konzerte? Dieser Frage spürt der französische Cellist auf seinem neuen Album nach.

Haydns Cello-Konzerte, vor allem das zweite in D-Dur, sind für Cellisten so etwas wie Heiligtümer: Man nähert sich ihnen mit Anbetung, Respekt und Hingabe. Mit Ausnahme von Bach und seinen Solo-Suiten ist es keinem anderen Komponisten je gelungen, ein ähnlich ikonisches Werk für das sonore Streichinstrument zu schreiben. Mozart wäre freilich ein heißer Kandidat gewesen, doch aus unbekannten Gründen hat er das Cello in seinem Werkverzeichnis links liegen gelassen. Den Versuch, es solistisch hervorzuheben, machte er nur einmal, Ende der 1770er-Jahre in einer Sinfonia concertante für ein orchesterbegleitetes Trio aus Violine, Viola und Cello, die er aber nach wenigen Takten abbrach und niemals fertig komponierte. Dass der Cellist Christian-Pierre La Marca das in der Tonart A-Dur stehende Werk dennoch ins Programm seines neuen Albums aufnehmen konnte, das er gemeinsam mit Julien Chauvin und dessen Orchester Le Concert de la Loge eingespielt hat, verdankt er dem amerikanischen Pianisten und Musikwissenschaftler Robert D. Levin. Dieser hat, neben weiteren Fragmenten Mozarts, den ersten Satz aus dem vorhandenen Material rekonstruiert. So steht Mozart, ausnahmsweise als Rarität, in einem cellozentrierten Programm zeitgenössischer Komponisten: Mit Haydns Konzerten an den Flanken und zwei zentralen Kompositionen von Nicola Porpora in der Mitte zeigt La Marca darin auf, was er als „italienischen Einfluss auf die Wiener Klassik“ bezeichnet. Die Linien sind in der Tat unverkennbar.

Porporas Geist aus Haydns Händen

„Ich fand es faszinierend, dass Nicola Porpora nicht nur der wichtigste Lehrer von Haydn, sondern auch von Farinelli war“, sagt der junge Franzose mit den italienischen Wurzeln. In der Tat hatte der neapolitanische Opernkomponist diese beiden so unterschiedlichen Musikerpersönlichkeiten unter seine Fittiche genommen, den jungen Haydn zusätzlich als Kammerdiener – und als Prellbock seiner oft wenig erquicklichen Laune. Bei der Beschäftigung mit dieser Kon­stellation entdeckte La Marca eine Art natürliche Verbindung zwischen der durch und durch vokal empfundenen Musik des italienischen Meisters und seines für die Entwicklung der Instrumentalmusik so bedeutsamen Schülers. „Ich war geflasht, als ich feststellte, wie genau sich Porpora mit dem Cello auskannte und dass er sogar ein Cello-Konzert geschrieben hat.“ Eine echte Entdeckung, wenn auch mit Einschränkungen, vergleicht man sie mit den Meisterwerken, die Haydn zu dieser Gattung beigetragen hat. „Ich habe auch nur den zweiten Satz ausgewählt“, sagt La Marca. In ihm habe er jene Perfektion gefunden, die sich später – gewissermaßen als Erbe – in den Haydn-Konzerten wiederfände. So erklärt sich auch der Name des Albums „Legacy“, zu Deutsch „Vermächtnis“. Welchen Anteil Mozart an diesem Vermächtnis erhielt, erklärt sich durch die Gegenüberstellung von selbst; den Rest erklärt die Musikgeschichte.
Wie eine Mittlerin zwischen den rein instrumentalen Werken des Albums umfasst die Abfolge auch eine Gesangsarie: „Giusto amor tu che m’accendi“ als Teil der Serenata „Gli orti esperidi“ („Die Hesperiden-Gärten“), die Porpora einst für den in Hochblüte stehenden Farinelli geschrieben hatte. Als besonders glücklicher Einfall tritt darin ein obligates Cello an die Seite des Kastraten, in einem innigen Duett synthetisieren sich beide Stimmen, die des Menschen und die des Instruments. La Marca hatte das Glück, für seine Aufnahme den Countertenor Philippe Jaroussky zu gewinnen, der hier mit warmer Glut das gefühlvolle Spiel des Cellisten unterstützt. Die beiden kennen sich schon seit längerem und haben auch bereits miteinander musiziert. Noch länger jedoch kennt Christian-Pierre La Marca seinen Bruder Adrien, der als Bratschist das Ensemble in Mozarts fragmentarischer Sinfonia concertante unterstützt. Komplettiert wird es durch den Dirigenten Julien Chauvin, der gleichzeitig den Geigenpart übernimmt. Auch mit ihm und seinem 2015 gegründeten Le Concert de la Loge verbindet Christian-Pierre La Marca eine kontinuierliche Zusammenarbeit. Dass es so kommen würde, war schon bei der ersten Begegnung klar.
„Gerade wenn man so bedeutende Konzerte wie die von Haydn aufnimmt, braucht man den richtigen Partner“, sagt La Marca. Zudem sei der Zeitpunkt entscheidend, an dem man meint, den richtigen interpretatorischen Ansatz gefunden zu haben. „Das hat sich bei mir im Laufe meines Lebens natürlich sehr gewandelt. Am Anfang hatte ich den großen romantischen Ton von Rostropowitsch im Ohr“, sagt La Marca, der den legendären russischen Kollegen noch immer als Idol ansieht, mittlerweile allerdings gerade in Bezug auf klassisches Repertoire doch eher vom Spiel mit viel Vibrato und Bogen abgekommen ist. „Dieser Verzicht auf solche Ausdrucksformen, die vollkommene Konzentration auf Transparenz, wie sie heute vielfach gepredigt wird, ist aber auch nichts für mich.“ Umso mehr freut es ihn, dass er mit Chauvin und seinem Ensemble musikalische Partner gefunden hat, die sowohl Wert auf Klang als auch auf Expression legen. Nicht zuletzt die große Erfahrung mit Haydn, die Le Concert de la Loge durch ihre Aufnahmen der Sinfonien gesammelt hat, haben den Ausschlag für diese Zusammenarbeit gegeben.

Erscheint am 20. Januar:

Haydn, Gluck, Porpora, Mozart

„Legacy“

Christian-Pierre La Marca, Le Concert de la Loge, Julien Chauvin

Naïve-Indigo/375 Media

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Stephan Schwarz-Peters, 10.12.2022, RONDO Ausgabe 6 / 2022



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