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(c) The New York Public Library Digital Collections
Wer hat’s erfunden? Natürlich Franz Liszt! So würde garantiert zu 99 Prozent die Antwort ausfallen, wenn sich zwei Musikbegeisterte darüber unterhalten, wer denn nun die erste „Sinfonische Dichtung“ komponiert hat. Überall, nahezu in jedem Musiklexikon, wird schließlich Liszt als Vater dieser romantischen Gattung geführt. Dabei wurde bereits vor genau einem Jahrhundert, also 1922, das Manuskript eines Orchesterwerks entdeckt, das eindeutig belegt: es war César Auguste Jean Guillaume Hubert Franck, der sich 1846 von Victor Hugos Gedicht „Ce qu’on entend sur la montagne” nicht nur zum allerersten Poème symphonique der Musikgeschichte inspirieren ließ. Franck sollte damit zugleich Freund Liszt die ideale Steilvorlage für dessen erste Sinfonische Dichtung liefern – die denselben Hugo-Titel trägt!
Was den damals erst 24-jährigen Franck zu dieser musikhistorischen Pioniertat hingelenkt hat, steht weiterhin in den Sternen. Jedenfalls bewegt sich das fast halbstündige, urromantisch auch mit Klarinettengesängen gespickte Werk bereits in jenen mystischen, von Ferne tristansüchtigen Klangwelten, in die Franck knapp ein halbes Jahrhundert später auch mit seiner berühmten d-Moll-Sinfonie vorstoßen sollte.
Dieser Geniestreich des schon bald in Paris als Komponist, Organist und Lehrer verehrten und vor genau 200 Jahren geborenen Jubilars findet sich jetzt in der 4 CD-Box „Complete Orchestral Works“, mit der das Königlich Philharmonische Orchester Lüttich den großen Sohn der Stadt mehr als nur feiert. Neben Francks bekannteren Werken für Klavier und Orchester wie die „Variations symphoniques“ erzählen vielmehr gerade die Frühwerke vom heute wenig bekannten Klaviervirtuosen Franck, der schon mal mit den Heroen Liszt, Pixis und Alkan in einem Konzert auftrat! Zwölf, dreizehn Jahre alt war er bei der Komposition von brillanten Variationenstücken für Klavier und Orchester, die ganz der damaligen Mode entsprachen. Großen Unterhaltungswert besitzen sie weiterhin – auch jetzt dank Pianist Florian Noack!
Dass Franck an seiner Lust am pianistischen Funkeln und manuell brutal Schweren später festhalten sollte, spiegeln auch zwei Einzel-Veröffentlichungen wider. Denn Tanguy de Williencourt und Fabio Banegas haben mit dem Sinfonieorchester Flandern bzw. dem Akademischen Sinfonieorchester der Nationalphilharmonie Lwiw Francks dramatisch aufgeladenes und zugleich effektvolles Opus „Les Djinns“ aufgenommen, das als erste Sinfonische Dichtung für ein Soloinstrument und Orchester gilt und wiederum auf einem Hugo-Gedicht basiert. Doch schien hierfür diesmal ein wenig der KlavierkonzertKomponist Liszt Pate gestanden zu haben. Während Tanguy de Williencourt sich zudem mit den „Variations symphoniques“ sowie dem Triptychon „Prélude, Choral et Fugue“ zwei Franck-Klassikern farbenreich widmet, stehen bei der „ukrainischen“, klangprächtigen Aufnahme weitere Sinfonische Dichtungen wie „Les Éolides“ und „Le chasseur maudit“ auf dem Programm.
All diese Werke finden sich ebenfalls in der bis hin zum Booklettext großartigen Box aus dem Hause Warner, der „César Franck-Edition“. Zu den weiteren Highlights zählt etwa das Oratorium „Les Béatitudes“ mit dem von Armin Jordan geleiteten Neuen Französischen Nationalorchester und u. a. Altistin Nathalie Stutzmann, Liedaufnahmen mit Dietrich Fischer-Dieskau sowie eine von dem Philharmonia Orchestra unter Carlo Maria Giulini fein gewebte Sinfonie. Einen Schwerpunkt bei dieser Zusammenstellung nehmen aber die Archivschätze ein. Marcel Dupré spielte 1926 Francks „Pièce héroïque“ für Orgel. Dem unwiderstehlichen „Panis angelicus“ aus Francks Messe verlieh 1936 Beniamino Gigli entsprechenden Tenorschmelz. Und ein Jahr später trafen sich ebenfalls in London Jascha Heifetz und Arthur Rubinstein für eine hochpoetisch-magische Einspielung von Francks allseits beliebter Violinsonate.
Was das behutsam-beseelte Ausloten dieser verführerisch nostalgischen Kammermusik angeht, muss sich aber jetzt Lisa Batiashvili zusammen mit ihrem Klavierpartner Giorgi Gigashvili nicht vor dem damaligen Jahrhundert-Duo verstecken. Mit einem bisweilen überirdisch schönen Dolce-Ton verleiht Batiashvili dieser Erlesenheit de luxe Gestalt. Und auch das wild Aufschäumende verwandelt dieses Duo in bewegende Seelenmusik. Zu finden ist diese Aufnahme auf dem Album „Secret Love Letters“, auf dem weitere Violinwerke von Szymanowski, Chausson und Debussy mit Drei-Sterne-Niveau zu genießen sind.
Natürlich ist die Violinsonate auch Teil der 4 CD-Box „Complete Chamber Music“, bei der sich analog zur Orchestermusikbox belgische mit internationalen Musikern abwechseln. Unter dem beachtlichen Output des Kammermusik-Komponisten Franck finden sich nicht nur das bekannte Streichquartett sowie ein Klavierquintett, sondern auch seine vier Klaviertrios opp. 1 & 2, mit denen sich der 19-Jährige selbstbewusst einer Gattung widmete, mit der schon sein Idol Ludwig van Beethoven seinen Werkkatalog eingeläutet hatte.
Ein Franck-Jahr ohne die entsprechende Würdigung des Organisten wäre aber nicht denkbar. „Mon orgue, c’est un orchestre“ („Meine Orgel, sie ist ein Orchester“) – mit diesen Worten hat Franck einmal seinen revolutionären Umgang mit dem Instrument bezeichnet. Wobei er seine Vorstellungen wohl ohne den epochalen Orgelbauer Aristide Cavaillé-Coll nur schwerlich hätte umsetzen können. So aber sorgte Franck als Virtuose auf den Cavaillé-Coll-Orgeln nicht nur in Paris schnell für Furore. Von 1853 bis 1858 war er Organist in der Kirche Saint-Jean-Saint-François. Bevor er zum Hauptorganisten von Sainte-Clotilde ernannt wurde. Für seine Neuaufnahme sämtlicher Werke für Orgel und das Harmonium hat sich Joris Verdin nun für Cavaillé-Coll-Instrumente entschieden, die in den Kirchen und Kathedralen in Saint-Omer, Rouen sowie in den baskischen Städten und Ortschaften San Sebastian und Azkoitia zu finden sind. Mit packendem Feuer und mitreißender Spannkraft würdigt der Belgier Verdin in den zum Teil aus dem Jahr 1998 stammenden Aufnahmen einen Musiker, dessen Schaffen auch für die Orgel mit seinem Äußeren nur wenig in Übereinstimmung zu bringen ist. Laut Romain Rolland soll der späte Franck mit seinem weißen und buschigen Backenbart nämlich gewirkt haben wie ein „Verwaltungsbeamter“.
DG/Universal
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César Franck wurde am
10. Dezember 1822 im belgischen Lüttich geboren und hatte deutsche Wurzeln (seine Mutter stammte aus Aachen). 1835 zog man nach Paris, wo Franck Schüler beim Beethoven-Freund Antonín Reicha wurde. Später war Franck selbst ein hochgeschätzter Lehrer, darunter von Henri Duparc, Vincent d’Indy und Ernest Chausson. Er starb am 8. November 1890 in Paris an den Folgen eines Unfalls mit einem Pferdeomnibus.
Guido Fischer, 10.12.2022, RONDO Ausgabe 6 / 2022
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