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N° 1297
18. - 24.03.2023

nächste Aktualisierung
am 25.03.2023



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Die Retro-Diskothek

»Das Neue ist selten das Gute«, meinte Schopenhauer, »weil das Gute nur kurze Zeit das Neue ist.« Aus der Fülle der Wiederveröffentlichungen auf CD stellt Michael Wersin in seiner »Retro-Diskothek« die besten der guten alten Scheiben vor.

Sein Stimmmaterial war einzigartig. Was er damit alles so machte, mag nicht immer über jeden Zweifel erhaben gewesen sein. Jeder, der ihn kennt, weiß, dass Hermann Prey oft ein wenig zu tief sang, und auch die ästhetischen Vorbehalte, die man gelegentlich gegen seine Interpretationsansätze vorbringen kann, sind nicht unbegründet. Und dennoch: Er war eine Sängerpersönlichkeit allererster Güte. Keine zwei Takte kann man von ihm hören, ohne ihn eindeutig zu identifizieren. Und immer wieder – diese Stimme. Man muss nicht erst auf das Schock-Erlebnis des viril-baritonalen hohen A in Schumanns »Ich grolle nicht« warten, das die dritte CD dieser Box bereithält. Man kann sich auch schon an seinen frühen Schubert-Einspielungen mit Gerald Moore (1960) nachhaltig erfreuen, denn sie bieten pures Gold des Wohlklanges bei unmittelbarer Textnähe. Kaum zu übertreffen sind seine Loewe-Balladen, und als Opernsänger erfreut er zumeist mit kavaliersbaritonalen Nummern – bei einem Material von solch fülliger Kernigkeit, das wohl so mancher Bariton unserer Tage längst in heldischen Partien geschändet hätte.

Hermann Prey – A Life In Song

EMI

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Der Gesang von Fritz Wunderlich trifft bis heute noch immer zielsicher ins Herz, weil der Tenor es mit seinem rückhaltlos hingebungsvollen Interpretationsansatz stets schaffte, im Hörer den Bereich des existentiell Relevanten anzusprechen. Gustav Mahlers »Lied von der Erde« mit seinen schwerblütigen, zwischen melancholischer Liebe zur Welt, Kummer und Tod ausgespannten Texten bot Wunderlich einzigartige Möglichkeiten zur expressiven Entfaltung seines Könnens. Es ist daher schön, dass neben der bekannten Studioaufnahme unter Klemperer und einer kurzzeitig als Raubpressung erhältlichen Live-Version unter Schmidt- Isserstedt (1961) nun der ganz seriös edierte Mitschnitt des Werkes vom 14. Juni 1964 verfügbar ist. Es dirigierte im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins Josef Krips, es spielten die Wiener Symphoniker, und es sang an Wunderlichs Seite Dietrich Fischer-Dieskau, der dieses Konzert als sein schönstes Erlebnis mit dem »Lied von der Erde« in Erinnerung behalten hat.

Gustav Mahler

Das Lied von der Erde

Fritz Wunderlich, Dietrich Fischer-Dieskau, Wiener Symphoniker, Josef Krips

DG/Universal

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Die Gesangskunst der Sopranistin Elisabeth Schumann, die 1888 in Merseburg am Bodensee geboren wurde, 1937 nach Amerika emigrieren musste und 1952 in New York starb, hat ohne Zweifel ihre Eigenheiten – entsprechend zwiespältig wurde sie auch stets rezipiert. Ein überaus herzliches Bekenntnis zu ihren Liedinterpretationen findet sich in Gerald Moores Memoiren, der sie oft begleitet hat. Mit ihm ist sie in dieser Box oft zu hören, und in der Tat: Schuberts »Ständchen« etwa in der Version dieses phänomenalen Duos (1936) ist wirklich äußerst charmant. Hörenswert auch das Schubertsche »Ave Maria« mit Orchesterbegleitung (1934). Als Sophie im »Rosenkavalier« muss sie eine Wucht gewesen sein, wie die Ausschnitte der Robert-Heger-Einspielung (1933) belegen. Und die Freude an einem famos vorgetragenen Wiener Lied wie Ralph Benatzkys »Ich muss wieder einmal in Grinzing sein« bleibt einem im Halse stecken, wenn man feststellt, dass sie diese Nummer 1938 in London eingespielt hat – als ehemaliges Mitglied des Ensembles der Wiener Staatsoper, ein Jahr nach ihrer u.a. durch ein Berufsverbot erzwungenen Emigration.

Elisabeth Schumann – Silver Thread Of Song

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Ein Emigrantinnenschicksal hatte auch die polnisch-jüdische Cembalistin Wanda Landowska (1879– 1959), eine der frühen Größen in der Alte- Musik-Bewegung. Ihr Schicksal ist verbunden mit einer faszinierenden Örtlichkeit im Nordwesten von Paris: 1927 weihte Landowska in Saint-Leu-la-Forêt ein architektonisch spektakuläres Gebäude ein, das einen Konzertsaal und Unterrichtsräume enthielt. Diesen Temple de la Musique Ancienne musste sie 1940 auf der Flucht vor den Deutschen verlassen. Die vorliegende Box enthält nicht nur eine CD mit gestochen scharfen Bach- Interpretationen Landowskas (remastered im Jahre 2010), die 1935/36 in jenem Temple produziert worden sind, sondern auch eine Dokumenten- DVD, in der man sich verlieren kann wie in einer Schatztruhe: Pläne des Musentempels, Fotografien von der Arbeit und den Konzerten an diesem Ort und von der vorhandenen Instrumentensammlung, Briefe und Porträtaufnahmen Landowskas, alles in hervorragender Qualität aufgespielt.

Wanda Landowska – Le temple de la musique ancienne

Paradizo/harmonia mundi

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Michael Wersin, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 3 / 2011



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