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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Barnabás Kelemen (c) Stefano Bottesi

Festival Trame Sonore

Kammermusik als Gesamtkunstwerk

Erlesene Kammermusik in Kirchen und Renaissancepalästen bietet das Festival Trame Sonore in der Weltkulturerbe-Stadt Mantua.

Solche Konzertsäle erlebt man nicht alle Tage. Vor prächtigen Renaissancefresken im Palazzo Ducale in Mantua spielt ein Ensemble mit Mitgliedern der Berliner Philharmoniker Franz Schuberts Oktett in F-Dur. Musik, Malerei und Architektur verbinden sich zu einem eindrucksvollen Gesamtkunstwerk. Die Sala di Manto, deren Bilder vom Gründungsmythos der norditalienischen Stadt erzählen, ist nur eine von vielen spektakulären Aufführungsstätten des Kammermusikfestivals Trame Sonore.
Bereits zum zehnten Mal hat sich die als UNESCO-Weltkulturerbe geschützte Altstadt in eine einzige große Bühne verwandelt. An fünf Tagen Anfang Juni hatten Besucher die Qual der Wahl zwischen rund 150 Konzerten, Meisterklassen, Diskussionen und Workshops in historischen Palazzi, Kirchen, Innenhöfen und auf Plätzen. Der Name Trame Sonore steht für ein imaginäres Geflecht aus „Klangfäden“, die alle Festivalorte miteinander vernetzen. Jeder Faden ist mit einem thematischen Schwerpunkt verknüpft, in diesem Jahr beispielsweise „Esprit de France“ mit französischem Repertoire quer durch die Jahrhunderte oder „Incompiute“, unvollendet gebliebene Werke wie Schuberts Sinfonie D. 759. Eine Konzertreihe in der Basilica di Santa Barbara erinnerte an Claudio Monteverdi, dessen richtungsweisende Oper „Orfeo“ 1607 in Mantua uraufgeführt wurde.
Organisiert wird das Festival vom Orchestra da Camera di Mantova in Zusammenarbeit mit der Stadt und der Museumsverwaltung des Palazzo Ducale. Am Eröffnungsabend erklang unter freiem Himmel auf der Piazza Santa Barbara Georg Friedrich Händels „kleine“ Cäcilienode in der Bearbeitung von Wolfgang Amadeus Mozart. Selbst in den Pandemiejahren 2020 und 2021, als das öffentliche Leben in Italien durch harte Lockdowns ausgebremst wurde, konnte Trame Sonore stattfinden. Vor zwei Jahren wurde das Festival kurzfristig auf den Spätsommer verschoben, nachdem einschneidende Maßnahmen gelockert worden waren.

Unter den Augen Apollos

Auch in „normalen“ Jahren erscheint es als logistische Herausforderung, eine solche Zahl meist 30 bis 40 Minuten langer Konzerte von vormittags bis Mitternacht über den Tag zu verteilen. Mit einem Museumsticket kann man durch den weitläufigen Komplex des Palazzo Ducale spazieren, Kunstwerke und Gärten aus der Renaissance bestaunen und zugleich Musik vom Feinsten hören. Für andere Veranstaltungen müssen gesondert Karten gekauft werden, bei manchen ist der Eintritt frei. In Mantua kehrt die Kammermusik in Räume zurück, deren Dimensionen für sie ideal sind. In der Spiegelgalerie, wo „Artist-in-Residence“ Alexander Lonquich das auch als „Reliquie“ bekannte Fragment von Schuberts Klaviersonate D. 840 spielte, blicken Apoll, seine Musen und Dichter wie Dante und Petrarca auf das Publikum herunter. Im ebenfalls reich ausgeschmückten Saal der Flüsse präsentierte die Sopranistin Laura Catrani mit dem Cembalisten Claudio Astronio eine eigenwillige Auswahl an „Wassermusiken“, von Barbara Strozzis tränenreicher Arie „Udite amanti“ aus „L’Eraclito amoroso“ bis zu „What the Water Gave Me“, einem Song der englischen Indie-Rock-Band Florence + the Machine aus den 1980er Jahren.
Zu dem Museumskomplex gehört auch das Castello di San Giorgio. Die Camera degli Sposi mit den Fresken von Andrea Mantegna, dem einstigen Hofmaler der Herzogsfamilie Gonzaga, sollte man sich keinesfalls entgehen lassen. Atemberaubend ist vor allem das illusionistische Deckengemälde, auf dem Frauengestalten und Engel über eine Balustrade vor einem leuchtend blauen Himmel nach unten schauen. Dann kommt man wieder auf die mittelalterliche Piazza Sordello mit ihren zinnenbewehrten Palazzi. An einer Ecke liegt auch das Haus von Rigoletto, das im originalen Bühnenbild zu Giuseppe Verdis Oper zu sehen war. Eine Statue im Garten erinnert an den Hofnarren.
Über alte Straßen erreicht man zu Fuß die Sommerresidenz der Gonzaga, den Palazzo Te. In der Sala dei Cavalli, auf deren Wänden riesige Pferde gemalt sind, führte die Sopranistin Judith van Wanroij mit dem Quatuor Cambini-Paris Arien wiederentdeckter französischer Komponisten aus dem 18. und 19. Jahrhundert auf. Eindrucksvoll ist auch die Sala dei Giganti, in der der Maler Giulio Romano den Kampf von Riesen gegen griechische Götter verewigte. In einer Grotte des „geheimen Gartens“ des Palastes musizierte jeweils eine Solistin oder ein Solist für einen einzigen Festivalbesucher, der diese exklusive Konzertkarte ersteigern konnte.
Der Cellist Nicolas Altstaedt war bei mehreren Konzerten im historischen Teatro Bibiena zu erleben. 1770 hatte dort schon der junge Wolfgang Amadeus Mozart auf seiner ersten Italienreise konzertiert. Während seines Aufenthalts in Mantua wohnte er im Palazzo d’Arco, wo jetzt beim Festival etliche seiner Werke gespielt wurden. In dem Theater führte Altstaedt mit Partnern wie Alexander Lonquich, den Geigern Ilya Gringolts und Barnabás Kelemen sowie dem Klarinettisten Reto Bieri Werke von Nadia Boulanger, dem in Kiew geborenen Komponisten Constantin Regamey, Sándor Veress und Arnold Schönberg auf. Zum Ausklang der langen Festivaltage gab es Mitternachtskonzerte in der romanischen Rotonda di San Lorenzo, gefolgt von einem Aperitif, bei dem Künstler und Publikum locker miteinander ins Gespräch kamen.

Weitere Infos:
www.oficinaocm.com/trame-sonore/

Corina Kolbe, 03.09.2022, Online-Artikel



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