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Janáčeks „Kát’a Kabanová“ bei den Salzburger Festspielen (hier Winters) (c) Monika Rittershaus
Das Volk sieht und fühlt nichts. Weil es sich abgewandt hat, auf die geschlossenen Arkadenreihen der Felsenreitschule blickt. Und weil es zusätzlich die Köpfe verhüllt hat, gesichtslos steif dasteht. Eine soziale Skulptur, eine scheinbar atmende Mauer. Bestimmt 450 Puppen-Personen stark und gestaffelt über die Breitwandbühne, mal eng zum U zusammengerückt, nur wenig Spielfläche lassend, mal wie Kulissengänge für die Auftritte der Solisten gereiht.
Eine einsame Frau steht vor dieser Masse. Sie kauert auf dem Boden, sie läuft wie ein Vogel im zum Käfig geschlossenen Raum. Sie singt von unerfüllten Träumen, vergeblicher Verheißung. Sie wendet sich gegen die spießbürgerliche Moral ihrer Familie und der Menschen in der kleinen Stadt an der Wolga. Sie beschwört die Utopie einer unmöglichen Zweisamkeit mit einem anderen Mann als ihrem jämmerlichen Gatten.
Starregisseur Barrie Kosky stellt sich mit radikaler Leere Salzburgs ikonischem Opernraum, wo er „Kát’a Kabanová“ zeigt, Leos Janáčeks so unspektakulär folgerichtiges, packendes Musiktheater über eine unausgefüllte Frau, die sich nach dem wahren Leben sehnt, sich öffentlich schuldig spricht und ertränkt.
Barrie Kosky nimmt diesen Raum an, obwohl er ungeeignet ist für diesen intimen, gerade mal 105 Minuten langen Dreiakter. Aus diesem Kontrast bezieht seine schnörkellos folgerichtige Inszenierung ihre Spannkraft. Und ist mit Abstand der Höhepunkt dieses eher mauen Salzburger Opernsommers.
Kát’a ist, an der Spitze eines tollen Ensembles, die anrührende Corinne Winters. Ihr Sopran, wenig individuell, strahlkräftig, kommt in der Weite des Raumes an Grenzen. Trotzdem triumphiert sie beim Publikum, dank ihrer glühend gegen die Trostlosigkeit ansingenden Intensität. Mitreißend schön, schwebend wie die Wolgawogen – die Wiener Philharmoniker. An deren Pult steht der gegenwärtig beste tschechische Dirigent – Jakub Hrůša. Zärtlich wiegt sich diese feingewirkte, motivisch variantenreiche Partitur. Sie ballt sich ebenso massiv und hat doch einen utopischen Ton.
Matthias Siehler, 10.09.2022, RONDO Ausgabe 4 / 2022
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