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N° 1354
20. - 30.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Rudolf Buchbinder und die Bamberger Symphoniker (c) Kissinger Sommer

Musikstadt

Bad Kissingen

Wasser, Klang und Wonne: Das Kurbad präsentiert sich mit dem Musiksommer wie dem „KlavierOlymp“ als zeitgemäßes Regionalziel.

Hier filmt der Intendant. Alexander Steinbeis (48), seit einem Jahr für das seit 1986 bestehende Musikfestival Kissinger Sommer verantwortlich, weiß um die Bedeutung der sozialen Medien als Präsentationsplattformen. So wie viele seiner Künstler auch. Also bestückt er selbst, man ist halt nur ein kleiner, verlängerter Veranstaltungsarm der Stadtverwaltung, nach jeder Versammlung mit gezücktem Handy Instagram, Facebook und Twitter. Nur bei TikTok, da seien seine Besucher eher selten zu finden, meint er.
Nähe zum Menschen, die suchen Künstler und ihr Publikum, behaupten die vielen, vielen Festivals in Deutschland. Die freilich nach zwei Jahren Pandemie, nach Isolation und Entwöhnung, ihre Stammbesucher neu motivieren, die Zaudernden packen und beruhigen, die Neugierigen heiß machen müssen.
Nichts allerdings geht über live schwingende Strauß-Walzer, gegeben von den Wiener Symphonikern (einstmals hier Kurorchester) unter Deutschlands jüngstem Generalmusikdirektor (in Wuppertal), dem Steirer Patrick Hahn. Dazwischen singt Bayreuths Sieglinde Lise Davidsen mit voluminös-dunklem Sopran die „Vier letzten Lieder“ von Richard Strauss. Das alles im herrlich hölzern nachklingenden Regentenbau im sprudelfrischen UNESCO-Kulturerbe der nobel-großzügigen, bestens gepflegten Kissinger Kuranlagen.
Ihr Architekt Max Littmann zeichnete für diverse königlich-bayerische Kurbäder verantwortlich, wie auch für das Münchner Hofbräuhaus, das Prinzregententheater und die Oper Stuttgart, und auch hier sind die Anlagen ein Baudenkmal erster Güte: vielgestaltig, lebendig, harmonisch in den weitläufigen, von der Saale durchflossenen Kurpark samt Rosengarten gebettet.
Damit kann man prunken. Deshalb ist das alte Weltbad, wo einst „Sisi“, König Ludwig I., Fürst Férenc Rákóczi II. und Otto von Bismarck sich die Trinkbecher in die Hand gaben – in den letzten Jahrzehnten mangels Krankenkassenkundschaft und Zonenrandland im Nordostzipfel Bayerns wie Opernfrankens ein wenig abgehängt – bereits wieder im Wellness-Aufwind.
Wozu auch die Bedeutung des Musikfestivals beigetragen hat, das sich auf fünf Wochenenden im Juni und Juli (aber auch den Tagen dazwischen) fokussiert und 30 Jahre lang von der durchaus legendären Prinzipalin Kari Kahl-Wolfsjäger geformt worden war. Die hat, immer mit Hut, viele lokale Bindungen und Sponsoren gefunden, als scharfe Talentnase junge Klassikstars wie Cecilia Bartoli, Lang Lang, Martin Helmchen, Igor Levit erspürt und hier regelmäßig auftreten lassen.
Beziehungen zum Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, zu den Bamberger Symphonikern (die auch unter dem Jahr hier gastieren) wie zum Deutschen Symphonie-Orchester und zum Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks wurden geschmiedet, Kleinode wie etwa die regelmäßig von Wolfgang Rihm, Aribert Reimann oder Jörg Widmann mit Uraufführungen bestückte Werkstatt für zeitgenössisches Lied gepflegt.

Im Zeichen des Schnitzels

Das soll auch so weiterlaufen, aber natürlich muss auch ein Festival mit der Zeit gehen. Dafür bürgt die rustikal-umtriebige Ex-Digitalministerin Dorothee Bär im Kuratorium, doch in Bad Kissingen kann schon allein ein Schnitzel für Diskussion sorgen. Das auf Klaviertasten gebettete panierte Kalbfleischstück samt Zitrone und Petersilie – Alexander Steinbeis setzt statt auf bunten Delikatessgemischtwarenladen jetzt verstärkt auf kulinarisch-kulturelle Motti – sollte „Wien-Budapest-Prag-Bad Kissingen“ visualisieren. Und wurde zur kleinen Kontroverse, nicht nur beim Festivalschaufenster-Wettbewerb in der Ludwigstraße.
Dabei soll es nur darauf hinweisen, dass die kurz nach der Wahl von Steinbeis von der UNESCO-Kommission wegen ihrer Spa-Anlagen zum Welterbe gekürten elf Bäder in Deutschland, Tschechien, Österreich, Italien, Frankreich, Belgien und England künftig gemeinsam Großes vorhaben, auch in der Kultur. Doch diese Bande müssen gerade erst geschmiedet werden.
Vorhanden ist in Bad Kissingen freilich eine einmalige Infrastruktur, die in Laufweite zu den meisten Hotels musikalische Begegnungen möglich macht. Neben dem klassizistischen Regentenbau mit seinen zwei Nebenfoyers, darin der schrill aftereight-grüne Säulensaal, gibt es den freskenverzierten Schmuckhof für lässiges Lounge-Abhängen in lauen Sommernächten, wofür sich freilich auch die Grünanlage vor der Spielbank eignet. Es findet sich der intim verspielte Rossini-Saal (der Komponist weilte, wie diverse andere, auch einst hier), das ebenfalls grüne Neorokoko-Kurtheater, die Stadtkirche und verschiedene Außenspielstätten. Etwa im hübsch kleinen Staatsbad Bad Brückenau, wohin einst König Ludwig I. von der in Kissingen verbleidenden Gattin hin zu Lola Montez entfleuchte.
2,5 Millionen Euro Etat hat Alexander Steinbeis inklusive Einnahmen zur Verfügung. Diesen Sommer hatte er wegen der Pandemie-Unabwägbarkeiten konservativ geplant, aber durchaus geklotzt. Vor allem an den Wochenenden, eingeleitet von einer Einführung ging es rund. Da gab es Präludien von Orchestermusikern umsonst und draußen, beispielsweise am nur durch einen strammen Spaziergang zu erreichenden Sisi-Denkmal. Am Morgen danach lud der Intendant „… auf einen Kaffee“ mit Künstlern. Samstags sind zwei plus ein Kinderevent, sonntags drei thematisch aufeinander abgestimmte Konzerte angesetzt.
Da erzählte dann Simon-Rattle-Gattin Magdalena Kožená schon mal, dass sie es angesichts des am Klavier dilettierenden Ehemanns genießt, auf der Bühne der Boss zu sein. Zum Symphonic Mob fanden sich 300 Bad Kissinger zusammen. Bürgermeister wie Rosenkönigin waren im Dauereinsatz. Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin (wo Steinbeis lange als Orchesterdirektor wirkte) kam sogar mit seinem hier sehr beliebten Ehrendirigenten Kent Nagano.
Nach den k. u. k. Klangschmankerln lasen als Nachtstudio die Sisi/Franz Joseph-Stars Dominique Devenport und Janik Schümann aus der jüngsten RTL-Soap, die extra die Dreharbeiten in Lettland zur zweiten Staffel unterbrochen hatten, zu Klaviermusik aus deren Briefen und Gedichten. Und die holländischen Jussen-Klavierbrüder machten am nächsten Morgen vor, was heute nicht nur juvenile Musizierexzellenz, sondern auch beste Kommunikationsfähigkeit bedeutet. Bei deren Applaus wackelt sogar die Rollatorbrigade in der Ecke.
Klar, im Augenblick muss auch Steinbeis weiterhin sehen, dass sein sich spontaner entscheidendes Publikum kommt. Aber der Trend zum Regionalen, die unsichere Weltlage, der neue Bedeutungsgehalt seines Arbeitsplatzes, die vive Gastronomie vor Ort und eine jüngere, zuschauerzugewandte Künstlergeneration arbeiten für ihn. Es muss also im Sommer nicht immer nur Salzburg sein …

www.kissingersommer.de

KlavierOlymp

Publikumsbeteiligung erwünscht! Nicht Masse, sondern Klasse präsentiert der kleine, feine Kissinger KlavierOlymp. Dieses Jahr als ganz besonderes Talentpodium zum 19. Mal vom 6. bis 9. Oktober. Sechs bereits anderswo ausgezeichnete Pianisten werden eingeladen, um nach bestimmten Vorgaben im Rossini-Saal vor Jury und Zuschauern jeweils ein komplettes Solo-Klavierrezital zu gestalten. Man startet Donnerstag, und Sonntag gibt es das Abschlusskonzert aller im Regentenbau. Drei Preise und ein Publikumspreis werden verliehen, Einladungen zu verschiedenen Festivals, auch dem Kissinger Sommer, sind die Folge. Teilnehmer aus Österreich, Israel, Amerika, Russland, Südkorea und Kanada sind diesmal dabei.

Matthias Siehler, 17.09.2022, RONDO Ausgabe 4 / 2022



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