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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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Neujahrskonzert (c) Musikverein/Terry Linke

Kulturpolitik in Österreich

Waches Empfinden für die Gegenwart

Österreich rühmt sich als Kulturnation. Aber fühlen sich Wiens Klassik-Intendanten von der Politik verstanden und unterstützt? Die Chefs von Konzerthaus und Musikverein geben Antwort.

Es ist kein Leichtes, Österreichs Spitzenpolitiker auf einer Premiere zu sichten. Am besten stehen die Chancen noch im Sommer: Mit dem Beginn der Festivalzeit locken die Bühnen von Salzburg, Bregenz und Grafenegg nicht nur das Bildungsbürgertum, sondern mutieren auch zum Sehnsuchtsort für stolze Landeschefs und prominente Bundesvertreter – bis das Gros der Volkstribune wieder für ein Jahr an einer Kultur-Allergie zu leiden scheint.
Ist der politische Stolz auf die „Kulturnation“ Österreich lediglich eine Behauptung? Beschränkt sich Kulturpolitik hierzulande auf ein schläfriges Verwalten des Status quo? RONDO hat den Intendanten des Musikvereins und des Konzerthauses in Wien einen Fragebogen zu ihrem Verhältnis mit der Politik gesandt, die Antworten zeichnen ein durchaus differenziertes Bild.
Beide Chefs würden sich jedenfalls mehr Aufmerksamkeit von den Volksvertretern wünschen. „Die Arbeit kultureller Einrichtungen in Österreich trägt ganz wesentlich zum inneren Zusammenhalt und zur Identität dieses Landes bei“, sagt der Konzerthaus-Intendant Matthias Naske. Das wüssten auch einige Politiker, meint er. Nur: „Ob das von allen politisch tätigen Personen in der tatsächlich wirksamen Dimension erkannt wird, ist zu bezweifeln.“ Stephan Pauly, seit zwei Jahren Intendant des Wiener Musikvereins, antwortet ebenfalls mit einem Ja-aber-Statement: Österreich habe in der Gestalt von Andrea Mayer (Grüne) eine „fantastisch engagierte Staatssekretärin, die die Sache der Kultur versteht und sich mit Nachdruck für sie einsetzt“, lobt er. Allerdings: „Aus der Zeit der Corona-Krise wird man doch feststellen müssen, dass die Kulturbranche oft nur ganz am Rand bei politischen Entscheidungen eine Rolle spielte.“

Lob für die Fachkräfte

Weder Pauly noch Naske würden ihren direkten Ansprechpartnern in der Politik, also den Kulturpolitikern, allerdings mangelndes Interesse unterstellen. Pauly: „Ich maße mir kein Urteil über die gesamte österreichische Kulturpolitik an, sondern kann nur aus den politischen Gesprächen berichten, die ich für den Musikverein führe. Und in diesen verfolgt die Politik sehr genau und sehr interessiert, wie wir im Musikverein auf den sozialen Wandel reagieren und uns verstärkt gesellschaftlich öffnen, um mehr kulturelle Teilhabe für alle zu ermöglichen.“ Auch Naske lobt seine zwei zentralen Partnerinnen in der Politik, nämlich neben der bereits erwähnten Andrea Mayer auch die Wiener Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ): Beide hätten die brennenden Themen der Zeit, darunter Fair Pay und Inklusion, auf ihrer Agenda.
Apropos: Welche Ziele würden die beiden Intendanten selbst anpeilen, wenn sie Kulturminister wären? Pauly nennt da ein klassisches Schlagwort – das Thema Zuschüsse. Er würde den Häusern ausreichend Subventionen wünschen, „um sich zu öffnen und auf die gesellschaftlichen Umwälzungen und Herausforderungen der Gegenwart reagieren zu können“. Pauly: „Das sagt sich leicht, ist der Branche aber oft aufgrund fehlender Ressourcen schwer oder kaum möglich. Subventionen können das möglich machen.“

„Unterdurchschnittlich“ gefördert

Paulys Haus, weitgehend klassisch programmiert und für seine Vielzahl an Gastorchestern renommiert, wird mit Zuschüssen nicht gerade überhäuft: Das Budget des Musikvereins speist sich nur zu einem bis zwei Prozent aus Subventionen, der Rest rekrutiert sich aus geschäftlichen Einnahmen, aus Sponsoring und Mäzenatentum. „Riskante Produktionen müssen wir also fast ganz allein finanzieren“, sagt Pauly. Über die Höhe der privaten Zuwendungen (in der Ära von Vorgänger Thomas Angyan waren sie nicht unbeträchtlich) macht er keine Angaben.
Das Wiener Konzerthaus, der betont nahbare Veranstalter von Klassik-, Jazz- und weltmusikalischen Events, schwimmt ebenfalls nicht im Steuergeld: Das Haus erwirtschaftet 60 Prozent seiner Einkünfte aus Karteneinnahmen; die Zuschüsse von Stadt und Bund machten in der letzten normalen Saison vor Corona rund elf Prozent der Gesamterlöse aus. Damit sei die Subventionsquote „unterdurchschnittlich gering“, meint Naske. Mit dem Ausbrechen der Pandemie verschärfte sich die Lage natürlich drastisch: Der Strom der Karteneinnahmen dünnte aus. Allein der bisher letzte Lockdown, verhängt im Dezember 2021, hat das Konzerthaus eine Million Euro gekostet. Dabei hatte er nur einen Monat gedauert – der vorhergehende Stillstand dagegen ganze 196 Tagen.
Wurden diese Ausfälle entsprechend abgefedert? Wie beurteilen die Intendanten das Corona-Management der Regierung? Naske zieht eine verhalten positive Bilanz: Die hohe Abhängigkeit des Konzerthauses vom Kartenabsatz habe dazu geführt, dass „manche Förderinstrumente zum Ausgleich der betriebswirtschaftlichen Schäden weniger schlagkräftig für uns gewesen sind.“ Aber: „Alles in allem haben uns Instru­mente wie die Kurzarbeit eindeutig vor allzu großem Schaden bewahrt.“ Pauly streut der Politik Rosen mit Dornen: „Die Hilfen waren gut und notwendig – aber nicht ausreichend, um die massiven wirtschaftlichen Schäden zu decken.“ Zudem seien die Schließungen über das Ziel hinausgeschossen, stimmt er in einen vertrauten Klagechor ein. „Die Behörden hatten laufend Zahlen darüber veröffentlicht, in welchen Bereichen sich die Menschen angesteckt haben: Die Kultur landete regelmäßig auf dem letzten Platz. Wäre es da nicht früher und öfter möglich gewesen, die Kultur zu öffnen oder offen zu halten – mit den hervorragenden Sicherheitskonzepten, die wir haben?“
Die Lockdowns sind dabei nicht das einzige Ärgernis, das Corona dem Musikverein beschert. Die Pandemie lässt auch die ausländischen Gäste schwinden. Pauly: „Die Touristen sind wichtig für uns, und sie fehlen momentan enorm, vor allem in den Sommermonaten.“ Der Musikverein hält zwar in der Zeit keine Eigenveranstaltungen ab, beherbergt im Juli und August aber jene Sorte Orchester, die mit Mozartperücke für Touristen fiedeln. Ohne Fremdenverkehr keine Amadeus-Konzerte, ohne diese keine Mieteinnahmen. Pauly kann den Anteil ausländischer Gäste nicht genau quantifizieren, aber: „Es ist für uns wirtschaftlich sehr wichtig, dass die Corona-Pandemie schnellstmöglich zu einem Ende kommt und der internationale Reiseverkehr sich wieder normalisiert.“

„Diversität massiv ausbauen“

Bleibt also zu hoffen, dass sich die Ziele der Intendanten in diesem Herbst wieder unter Normalbedingungen anpeilen lassen. Apropos: Worin bestehen eigentlich diese Visionen – einmal abgesehen von vollen Sälen und tollen Künstlern? Naske macht sich vor allem für einen umfassenden Pluralismus stark. „Das Wiener Konzerthaus steht seit jeher dafür, möglichst vielen Menschen Zugang zu exzellentem kulturellem Geschehen zu ermöglichen“, und das führe automatisch zu einer vielgestaltigen Ausrichtung: Im Konzerthaus sei der Kanon unterschiedlicher Stile ebenso daheim wie die „anspruchsvolle, innovative Produktion zeitgenössischen Schaffens“, genauso wie offene soziale Räume für Menschen mit Behinderungen.
Pauly wiederum betont die althergebrachten Qualitäten des Musikvereins und will sie mit heutigen Facetten anreichern: „Meine Strategie ist: Die große, mehr als 200-jährige Tradition unseres Hauses durch Konzerte mit den weltbesten Künstlerinnen und Künstlern lebendig in die Zukunft zu führen, zugleich aber auch innovative Programminhalte zu entwickeln, zeitgenössische Musik ins Zentrum zu stellen, Diversität und kulturelle Teilhabe massiv auszubauen.“ Kurz: „Die Tradition und die Innovation in Balance zu halten und alle mitzunehmen: Künstlerinnen und Künstler, Publikum und uns als Institution.“
Ein Fehler wäre es jedenfalls, die Klassikbranche als „Selbstläufer“ zu betrachten und schlicht auf den Magnetismus verbriefter Meisterwerke zu setzen. Zwar meint Pauly: „Große Stücke der Klassik haben eine Schwerkraft und Aura, die die Menschen immer faszinieren werden.“ Aber: „Es braucht genauso die Arbeit der Konzertveranstalter, beispielsweise von uns als Haus, um diese Kunstwerke in aktuelle gesellschaftliche Kontexte zu stellen.“ Nicht zuletzt Schwerpunkt-Festivals sollen im Musikverein dafür sorgen, solche Zusammenhänge zu erhellen. Auch Naske ist von der Notwendigkeit eines Aktualitätsbezugs überzeugt: „Relevant wird ein Angebot nur, wenn es gelingt, Sehnsüchte und Erwartungen mit einem künstlerischen Exzellenzversprechen zu verbinden. Ein künstlerisches Angebot sollte mit einem wachen Empfinden für die Gegenwart entwickelt werden.“

Der Autor Christoph Irrgeher ist Redakteur der „Wiener Zeitung“.

Christoph Irrgeher, 03.09.2022, RONDO Ausgabe 4 / 2022



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