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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Yuja Wang, Gautier Capuçon, Andreas
Ottensamer (c) Bjørn Woll/Pixelreich

Yuja Wang

Die traut sich was

Allein ist fein, aber als Kammermusikerin ist es noch feiner. Deshalb hat sich die Pianistin zwei Star-Kollegen zum Musizieren eingeladen.

Groß ist sie schon, zumindest auf ihren gefürchteten High Heels. Aber die 35-jährige Chinesin mit der furchteinflößend treffsicheren Technik sucht längst andere Herausforderungen. Ob es Ludwig van Beethovens „Hammerklaviersonate“ war oder Robert Schumanns „Kreisleriana“. Keineswegs möchte sie nur auf die Rolle der Virtuosa festgelegt werden: „Ich will nach Jahren des Ausprobierens, des Spielens mit dem Spielen, der sportlichen Herausforderung endlich erwachsen werden. Zumindest ein wenig mehr. Und da kommen mir diese Stücke gerade recht. Die sind eben auch eine geistige Grenzüberschreitung. Ich hatte viel Spaß mit meinen Russen, Rachmaninow, Prokof­jew, Skrjabin, sie haben mich an bestimmte Limits gepuscht, aber es gibt eben auch noch andere Levels, auf denen ich mich messen muss.“
Clevere Frau. Und dann bleibt ja immer noch Zeit, ihr Publikum anders kirre zu machen. Alles eine Frage der Perspektive. Für manchen Klassik-Fan ist es immer noch verrückt, wenn da eine zierliche, ein wenig hypermotorische Pianistin etwa für 27 Spielminuten mit zwei Kleidern aus dem Stoff für ein halbes auf mörderisch hohen Louboutins und mit blauen Extensionszotteln elfisch graziös zum Steinway stöckelt. Das war letztes Jahr beim Lucerne Festival mit dem Mahler Chamber Orchestra. Da spulte die chinesische Tastenhummel, die im New-Yorker Lockdown Aquarienfische und Blumen gehegt hatte, Johann Sebastian Bachs f-Moll-Konzert schnurrend mechanisch, wenn auch mit kaum Kleid ab.
Dafür hoppelte sie anschließend hinreißend durch Leoš Janáčeks Capriccio für Klavier als hurtige, eigentlich nie zu hörende Zumutung für sieben Bläser und linke Pianistinnenhand. Mit der rechten dirigierte Yuja Wang – sympathisch, unerschrocken, kess. Die traut sich was. Einfach so.
Ebenso mit Kirill Petrenko. Als Tastenwirbelwind haute sie neben ihm mal eben Sergei Prokofjews 3. Klavierkonzert so weg. Petrenko und Wang, die beiden sind ein ungewöhnliches Paar, aber ein vertrautes Duo, das Prokofjew-Showpiece haben sie diverse Male musiziert. Das spielte sie mit lächelnder motorischer Kraft, hammerhart energetisch, aber auch elegant. Toll, wie sie hier filigran klöppelte. Feuerwerk mit ekstatischer Apotheose dann wieder im Finale. Petrenko, der das mit gleichwohl entspannter Akkuratesse und Delikatesse begleitete, das philharmonische Fitzelwerk im Griff hatte, gleichzeitig der Solistin Freiheit ließ und trotzdem souverän die Oberleitung behielt, bekam am Ende dieses denkwürdigen Berliner Konzerts verdutzt von der hauteng korallenrotglitzernden, auf noch gefährlicheren Stöckeln als sonst balancierenden Yuja Wang deren Blümchen in die Hand gedrückt: Du Frau, ich Chef! Er schmunzelte es weg. Bevor sie eine noch viel mehr Noten auf kleinstem Raum knallig bündelnde Zugabe in den Steinway rammte.

Heiratsbörse Verbier

Yuja und die Musikmänner, eine sehr ungewöhnliche Geschichte. Schon Claudio Abbado, der manchmal gar nicht so recht zu wissen schien, was er da aufgetan hatte, konzertierte gern und oft mit ihr. Mit dem gestrengen, aber pianistenhungrigen Matthias Goerne hat sie sich sogar in Salzburg nebst Sprecher Ulrich Matthes am Liedzyklus „Die Schöne Magelone“ von Brahms/Tieck versucht. „Ja, ich bin gewarnt“, hatte sie davor gegiggelt. „Er hat schon viele gefressen. Mal sehen, ich bin zuversichtlich, vielleicht findet auch er in meinem Zugang zu dieser Musik etwas, das ihm gefällt, das ihm fremd ist, das ihn neu fordert. Ich suche stets eine wirkliche Partnerschaft und das ist immer Geben und Nehmen.“ Recht hatte sie. Wer nicht wagt, der gewinnt nichts. Bei diesem Gipfeltreffen in Brahms’ Namen freilich kam nicht sonderlich viel rüber.
Anders etwa als mit dem im Temperament von ihr so unterschiedlichen Leonidas Kavakos. Der griechische Geigenphilosoph war diverse Male Yuja Wangs Kammermusikpartner. Getroffen hatte sie ihn erstmals beim Schweizer Verbier Festival, „das ist wirklich ein guter Heiratsmarkt für musikalische Partnerschaften. Er ist zwanzig Jahre älter, das ist sehr gut für mich. Wir Chinesen sind einerseits jugendverrückt, aber wir schätzen auch Erfahrung und Wissen. Leonidas kann zum Glück auch sehr jung im Gemüt sein. Er weiß selbst noch genau, wie er vor zwanzig Jahren war, was für ein weißes Handtuch – wie er immer sagt. Und jetzt ist er so vergeistigt! Dahin werde ich mich sicher nie entwickeln, aber trotzdem gebe ich es nicht auf. Er inspiriert mich sehr, obwohl es manchmal fast zu viel ist …“
Stichwort Verbier. Dort ist Yuja Wang auch, schon 2013, einem anderen musikalischen Heiratskandidaten begegnet: dem französischen Cellisten Gautier Capuçon. Mit ihm verbinden sie das lockere Laissez-faire, der Klanginstinkt, die Spontaneität. Der ist viel mit seinem geigenden Bruder Renaud als Kammermusiker aufgetreten, auch mit Martha Argerich und Jean-Yves Thibaudet. Andreas Ottensamer, der Dritte im Bunde bei der neuen Aufnahme, ist etwas zurückhaltendender, aber auch wirkungsbewusst.
Das Ergebnis dieses ersten Kennenlernens, Herantastens auf den Berggipfeln im Wallis ist nun auch als Album zu hören, aufgenommen freilich ganz nüchtern acht Jahre später im Konzerthaus Dortmund. Wang und Capuçon haben dafür übrigens das Stück ihres Kennenlernens – die Sonate von Sergei Rachmaninow – an den Anfang gestellt. „In den letzten Jahren unserer Zusammenarbeit haben Gautier und ich eine Art und Weise entwickelt, die musikalischen Sätze des jeweils anderen zu beenden“, so erklärt Yuja Wang ihr gegenseitiges aufeinander Hören und einander blind Vertrauen.
Neben der ersten Cellosonate von Johannes Brahms erklingt zudem sein Klarinettentrio, und mit Andreas Ottensamer, dem österreichischen Solo-Klarinettisten der Berliner Philharmoniker, übernimmt ein ebenfalls langjähriger Freund und Kammermusikpartner der beiden den instrumentalen Gesangspart in diesem romantischen Klangkunstjuwel. Mit Ottensamer, der sich inzwischen auch als Dirigent versucht und rastlos als Solist durch die Welt jettet, hat Yuja Wang vorher schon Felix Mendelssohn Bartholdy ausprobiert. „Wir waren auf einer Wellenlänge“, grinst sie vielsagend.
Superstar-Cellist Yo-Yo Ma ist übrigens total neidisch auf Yuja Wang – weil sie ihre Konzertkleidung hinterher immer gleich ins Handtäschchen stecken könnte. „Der war gut“, lacht sie. „Ach Yo-Yo Ma! Den habe ich bei einem Dinner nach einem Konzert in der Hollywood Bowl als Tischherren gehabt. Ein wunderbarer Mensch, eine inspirierende Persönlichkeit. Ich möchte so werden wie er! Er macht so viel mehr als nur Musik. Mit ihm mal aufzutreten ist unbedingt auf meiner To-do-Liste …“
Erstaunlich, dass so eine Künstlerin, sehr besonders, eigenwillig, extrovertiert und introvertiert zugleich, in Salzburg bislang noch keinen Soloabend hatte spielen dürfen. Aber 2022 war es so weit: Da rockte Yuja Wang die Festspiele mit ihrer stupenden Musikalität, wie mit ihrer Treffsicherheit. Momente, wie sie auch auf diesem Kammermusik-Gipfeltreffen zu erleben sind.

Neu erschienen:

Brahms, Rachmaninow

Kammermusik

Wang, Capuçon, Ottensamer

DG/Universal

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Tastenlöwin

Yuja Wang wurde 1987 in Peking als Tochter einer Tänzerin und eines Perkussionisten geboren. Ersten Klavierunterricht erhielt sie mit sechs Jahren. Mit Vierzehn setzte sie ihr Studium am Mount Royal College im kanadischen Calgary fort und wechselte 15-jährig ans Curtis Institute of Music in Philadelphia, um bei Gary Graffman weiter zu studieren. Heute lebt sie in New York. Nach ersten Preisen 2001 fand 2003 ihr Debüt in Europa statt. Im Januar 2009 unterzeichnete sie ihren Plattenvertrag bei einem Major-Label. Wang sorgt nicht allein durch ihr virtuoses Spiel für Aufmerksamkeit, auch ihre figurbetonten Minikleider und High Heels sorgen für Schlagzeilen.

Matthias Siehler, 03.09.2022, RONDO Ausgabe 4 / 2022



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