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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Nikolaj Lund

Xavier de Maistre

Nachdenkliche Töne

Düstere Wolken über der Côte d’Azur: Der Harfenist kämpft mit Engelsklängen um die Zukunft der Live-Konzerte.

„Natürlich hilft es einem, wenn man ein attraktives Packaging hat – schließlich sind wir auf der Bühne und im Entertainment-Business.“ Ein Schmunzeln huscht über den Meeresbrisen-frischen Teint Xavier de Maistres, und für einen Moment wird der berühmteste Harfenist unserer Zeit wieder zum kühl kalkulierenden Wirtschaftsstudenten seiner jungen Jahre. Wohl wissend, dass in unserem medial geprägten und zunehmend vom Bild bestimmten Alltag selbst in der Klassik ein attraktives Äußeres wie im Fall des smarten, schnittigen Beaus nur von Vorteil sein kann. „Doch wenn der Inhalt nicht stimmt, dann bringt einem das auch nichts.“
Vom hübschen Schönling, der modelgleich zart die Saiten zupft, ist der 48-Jährige denn auch weit entfernt. Ja, war es schon immer, denn welche Laufsteg-Schönheit hätte sich wohl in ihrer Jugend sechsmal die Woche im harten Ruder-Training mit Schwielen, Blasen und Hornhaut gequält – „ich hatte Arbeiterhände“ –, um mit der französischen Junioren-Nationalmannschaft an den Europameisterschaften teilzunehmen?! Blessuren, die indes seine parallelen Aktivitäten auf dem großen Musik-Instrument nie beeinträchtigt haben – im Gegenteil: „Der Sport war gut für meine Rückenmuskulatur, denn so habe ich nie die typischen gesundheitlichen Probleme anderer Kollegen gehabt.“ Und da wir nun schon einmal in seine Anfänge eingetaucht sind, nutzt der Franzose gleich die Gelegenheit, um die so wunderschöne (Medien-)Geschichte vom Filius aus adligem Südfranzosengeschlecht zurechtzurücken, der sich als Neunjähriger in (s)eine Harfenlehrerin verliebte und fortan selbst voller Hingabe in die Saiten griff: „Sie war und ist eine wichtige Person in meinem Leben, aber von Verliebtsein zu sprechen, wäre dann doch ein bisschen viel …“

Training im Gerade-Rücken

Schade um die so schwer romantische Anekdote – und doch am Ende nur stimmig mit dem Bild eines in der Musik aufgehenden, die Welt indes sehr rational betrachtenden Menschen. Dem es im Laufe seiner inzwischen zwölfjährigen Solistenkarriere gelungen ist, die Harfe zu befreien vom Image des Höhere-Töchter-Instruments, das in Salons von schönen Frauen in langen Kleidern gezupft ward. „Das Bild stammt vom Ende des 18. Jahrhunderts, als die Damen der guten Gesellschaft Harfe spielten – nicht zuletzt, um der Königin Marie Antoinette nachzueifern“, schlägt de Maistre den historischen Bogen. „Doch mittlerweile haben die Konzertveranstalter akzeptiert, dass die Harfe auch ein Soloinstrument sein kann.“ Noch so eine schöne (Bilder-)Geschichte, von der wir uns dann wohl verabschieden müssen …
Wobei der nüchterne Pragmatiker in ihm gleich einschränkend anfügt, dass sich die Auftrittsmöglichkeiten für Solo-Harfenisten zwar im vergangenen Jahrzehnt verbessert hätten, indes noch längst nicht genug seien: „Es gibt einfach diesen Mangel im Repertoire.“ Die seinerzeit immer wieder aufgeführten Konzerte von Händel und Mozart wären wohl auch ihm zu wenig gewesen, und so hatte der vielfach preisgekrönte Virtuose bereits während seiner Jahre als Solo-Harfenist beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und vor allem später bei den Wiener Philharmonikern begonnen, Werke anderer Instrumente für die Harfe zu arrangieren. Nicht auf Saiten-Teufel komm’ raus – „es gab viele Ideen, die ich nicht zu Ende gebracht habe“ – sondern nur, sofern es ihm „musikalisch vertretbar“ schien: „Es ging und geht mir immer darum, neue Klangwelten zu eröffnen.“
Selbst im Zusammenspiel mit prominenten Kollegen wie Sopranistin Diana Damrau oder für sein vorletztes Alben-Projekt „Serenata Latina“ mit Rolando Villazón. „Er war zwar erst ein wenig verdutzt von meiner Idee, aber dann haben wir einfach mal mit der Repertoire-Suche angefangen“, erinnert sich der Saiten-Zauberer. „Und schon bald schickte er mir selbst Werk-Vorschläge und schrieb ‚Schau mal, das funktioniert bestimmt‘.“ Fortsetzung folgt zweifellos – zumindest auf CD, denn der Corona-Wahnsinn der letzten zweieinhalb Jahre hat auch de Maistres weltweite Live-Auftritte drastisch reduziert, ja über Monate hinweg gänzlich zum Verstummen gebracht. Und zumindest auf zwei seiner drei Instrumente Staub ansammeln lassen: Um nicht überall auf Leih-Harfen spielen zu müssen – wie etwa bei Touren in Asien oder Amerika – hat der Musiker neben seiner heimischen Harfe noch zwei weitere in Deutschland und Paris gelagert, von wo aus diese dann per Spedition zu seinen jeweiligen Auftrittsorten transportiert werden.
Oder vielmehr wurden, denn so wirklich überzeugt von einer vollständigen Rückkehr ins Konzertleben des Jahres 2019 ist der Musik-Jetsetter nicht: „Die Gewohnheiten der Menschen haben sich verändert.“ Einige würden nach wie vor Ansammlungen wie in Konzerthäusern meiden, andere hätten sich vom traditionellen Abonnement verabschiedet und entschieden nur noch spontan über einen Besuch, was die Veranstalter vor ganz neue Herausforderungen stelle; hinzu käme die einsetzende, weltweite Rezession, durch die weniger Geld beim potenziellen Konzertpublikum zur Verfügung stünde, sowie die gestiegenen Energiepreise, die viele in ihrer Unternehmungsfreude bremsten. Ganz abgesehen vom asiatischen Markt, der durch die No-Covid-Politik der dortigen Regierungen praktisch zum Erliegen gekommen sei …
Düstere Perspektiven. Und gerade mit Blick auf Deutschland wird de Maistres Stimmung auch keineswegs besser: „Es ist erschreckend zu sehen, welche geringe Rolle die Kultur in dieser Zeit hierzulande gespielt hat“, konstatiert er messerscharf. „Dabei war ich stets derjenige, der im Ausland davon erzählt hat, wie wichtig die klassische Musik in Deutschland ist.“ Stattdessen jetzt immer neue Nacken- und Tiefschläge für Künstler und Veranstalter – „und ich fürchte, dass sich dies in den kommenden Monaten wiederholt und es heißt, dass Konzerte überflüssig seien, wenn es um Energieeinsparungen geht“. Den „Quatsch“ von digitalen Konzertformaten oder Streaming-Alternativen kann er schon lange nicht mehr hören – und in einem Saal zu spielen, wo aufgrund der Vorschriften nur jeder vierte oder fünfte Platz besetzt sein dürfe, sei schlicht „deprimierend: Ein Saal muss gefüllt sein, denn nur dann spüren wir wie auch das Publikum diese Energie, die ein Konzert zu solch einem unglaublich bereichernden Erlebnis macht.“
Was de Maistre am meisten vermisst hat in den vergangenen zwei Jahren – mag die ungewollt gewonnene Zeit mit Gattin und Tochter in seiner Wahlheimat Monaco („Ich bin an der See aufgewachsen und wollte nach meinen Jahren in Wien unbedingt wieder ans Mittelmeer.“) auch noch so schön, das Leben in seiner „kleinen Bubble“ nahe der italienischen Grenze eigentlich ideal gewesen sein: „Ich kann dort alles binnen kurzer Zeit erledigen, und es gibt super Schulen, Restaurants oder auch Fitness-Clubs.“ Doch irgendwann wird einem selbst dort das fehlende Glück dieser „unglaublichen Konzert-Energie“ bewusst – das Packaging muss eben nicht allein auf der Bühne, sondern auch im Leben stimmen.

Neu erschienen:

Glière, Mosolov

Harfenkonzerte

de Maistre, WDR Sinfonieorchester Köln, Stutzmann

Sony

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Seelenspiegel

Natürlich ließe sich bei de Maistres neuem Album auch von einem „Russischen Album“ sprechen. Doch der kulturzerstörerische Aufschrei der „Political Correctness“-Bewegung wäre einem in diesen Zeiten gewiss, und so belassen wir es lieber bei einem klugen, entdeckungsfreudigen Konzeptalbum, das der Meisterharfenist hier vorlegt. Denn dass er sich mit Reinhold Glières wohlbekanntem Konzert seinen eigenen Aufnahme-Traum erfüllt hat, ist nur die eine Seite des Silberlings – mindestens so spannend ist indes das Harfenwerk des Glière-Schülers Alexander Mosolov, das der Modernist ein Jahr später schrieb (er war gerade aus dem Gulag entlassen worden). Im Kontrast wie im Zusammenspiel mit den Zugaben von Glasunow und Tschaikowski wird daraus ein Spiegel der russischen Seele.

Christoph Forsthoff, 17.09.2022, RONDO Ausgabe 4 / 2022



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