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N° 1354
20. - 29.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Stanisław Moniuszko (c) Jan Mieczkowski, 1865

Stanisław Moniuszko

Polnischer Schubert

Leidenschaftlicher Glaube und ein Talent reich an lyrisch-emotionalen Elementen: Moniuszkos Kirchenmusik wird wiederentdeckt.

„Moniuszkos geistliches Werk stand bisher völlig im Schatten der anderen Werke des Komponisten und ist bei Konzerten eine Randerscheinung“, sagt Andrzej Szadejko. Grund genug für den Danziger Musiker, zum 150. Todestag seines Landsmanns das Projekt „Moniuszko_150“ zu initiieren und dessen religiöses Schaffen im Rahmen mehrerer Konzertprojekte aufzugreifen. Wobei hierzulande vermutlich bislang nur die wenigsten Klassikfreunde überhaupt dem Komponisten schon einmal begegnet sind …
Ganz anders in unserem Nachbarland, wo der 1829 geborene Stanisław Moniuszko als „polnischer Schubert“, vor allem aber als „Vater der polnischen Nationaloper“ verehrt wird. Doch während sein Zeitgenossen Frédéric Chopin zum Studium nach Paris ging und heute weltweit als Aushängeschild polnischer Musik gilt, blieb der Mythos des 19 Jahre jüngeren Kollegen auf seine Heimat beschränkt, wie Rüdiger Ritter in seiner Biografie „Tröster der Nation“ aufgezeigt hat. Eine nationale Ikone, nach der in Warschau ebenso der Zentralbahnhof benannt ist wie der Hauptsaal des größten dortigen Theaters – zu dessen Einweihung 1965 natürlich auch Moniuszkos Oper „Halka“ auf dem Programm stand. Eine ebenso packende wie berührende Geschichte um ein armes Bauernmädchen, das von einem ehrlosen Adelsjüngling verführt ward: Musikalisch ob ihres folkloristischen Kolorits und der traditionellen Tänze aus verschiedenen Landstrichen Polens daheim schon mit der Uraufführung 1858 ein Kassenschlager – zumal die Titelfigur auch für das Aufbegehren gegen die Fremdherrschaft stand und steht. Im Zuge dieses nationalen Erfolgs wurde sein Schöpfer zum Leiter der Warschauer Oper berufen – sein Begräbnis 1872 auf dem Warschauer Ehrenfriedhof kam einem Staatsakt gleich.
150 Jahre später möchten Szadeiko und sein Team nun eben jene Seite aus seinem Repertoire in den Fokus rücken, die „neben den Opern das größte internationale Potenzial des Komponisten offenbarte – nämlich seine geistliche Musik“. Und das nicht allein in seiner Heimat, sondern auch an zwei anderen, wichtigen Orten dessen Lebens: in Berlin, dem Ort seiner Studienjahre (s. Kasten), sowie in Vilnius, wo sich Moniuszko als Klavierlehrer, Organist an der St. Johanneskirche und Operndirigent fast zwei Jahrzehnte mehr schlecht als recht durchs Leben schlug und wo auch die erste Fassung seines späteren Opern-Hits entstand.

Ein treues Abbild seines Glaubens

Über 90 Kompositionen verschiedener Genres umfasse dessen geistliches Schaffen, so Szadeiko – bislang indes habe dies eher ein Schattendasein gefristet. „Glücklicherweise ändert sich seine Wahrnehmung jetzt unter dem Einfluss der historisch informierten Aufführungspraxis, die zur Aufführungspraxis früherer Jahrhunderte zurückkehrt und den Kompositionen ihre ursprüngliche Form und ihren Glanz zurückgibt“, sagt der künstlerische Projektkoordinator. Und verspricht „ein zutiefst emotional berührendes Werk“ – für die beiden Berliner Aufführungen in Gestalt der „Litanei“ sowie der „Lateinischen Messe“ des Komponisten.
Welch große Bedeutung dieses geistliche Schaffen für den Komponisten selbst hatte, verdeutlichte bereits kurz nach dessen Tod sein erster Biograf Aleksander Walicki, der Moniuszko einen ebenso „lebendigen wie glühenden Glauben“ attestierte: Er „glaubte an jedes Wort des Katechismus, so wie es die Kirche verlangt“. Frühmorgens um fünf Uhr sei er aufgestanden und als erstes zur Messe in die Kirche gegangen, um sich nach seiner Rückkehr sogleich an die Arbeit zu machen – „fast alle seine Kompositionen entstanden zu dieser Tageszeit“. Ein „treues Abbild seines Glaubens und des religiösen Bedürfnisses seines Herzens“ sei diese Musik gewesen, bestätigte vier Jahrzehnte später der Musikwissenschaftler Zdzisław Jachimecki diese ausgeprägte Frömmigkeit: „Während Moniuszko sich zur Suche nach geeigneten Themen für Liebesduette in seinen Opern fast zwingen musste, die ihm nie vollkommen gelangen, strahlen die Themen in seinen geistlichen Kompositionen eine solche Aufrichtigkeit der Inspiration aus, die wohl in den von patriotischem Gefühl geprägten Werken vorhanden ist.“

Termintipps:

03.06., Marienkirche, Berlin-Mitte (Litanei)
04.06., Alte Pfarrkirche „Zu den Vier Evangelisten“, Berlin-Pankow (Lateinische Messe)

Weitere Informationen:
„Moniuszko 150“

„Eine lebendige Stadt. Alles bewegt sich. Viel Spaß für jede Bevölkerungsschicht“, schrieb Stanisław Moniuszko am 15. Oktober 1837 aus Berlin an seine Verlobte. Die preußische Hauptstadt hatte er sich zum Studium gewählt – Paris wäre für den Spross verarmter Landadliger zu teuer gewesen – und nahm an der Singakademie Unterricht bei Carl Friedrich Rungenhagen. Lernte zudem deutsche und italienische Opern kennen und komponierte selbst erste Lieder. Sein Professor bescheinigte ihm im Juni 1839 gute Studienergebnisse, riet ihm aber zugleich, noch ein weiteres Jahr anzufügen – und so kehrte der junge polnische Komponist erst im Herbst 1840 wieder in seine Heimat zurück.

Christoph Forsthoff, 21.05.2022, Online-Artikel



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