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„Teodora“ als exklusives Eröffnungsspektakel (c) Marco Borrelli
Auch 2021, im zweiten Jahr d. P. (der Pandemie), war Ravenna das erste Festival Italiens, das wieder einlud. Was natürlich auch am frühen Spieltermin im Juni lag. Kaum waren die Restaurants an der Adria-Küste und im Rest des Landes erneut geöffnet, da konnten 400 Personen auf Lücke unter dem Sternenhimmel in der atmosphärisch ausgeleuchteten, einstmals venezianischen Rocca Brancaleone orchesterklangschwelgen, oder 200 im schön verschlissenen Teatro Alighieri – oder exklusive 50 beim lange vor inneren Augen und Ohren nachwirkenden Eröffnungsspektakel in der ehrwürdigen UNESCO-Weltkulturerbe-Kirche San Vitale.
Hier vor den weltberühmten, 1500 Jahre alten Mosaiken in der Apsis, die sie juwelengeschmückt mit einem lila Überwurf zeigen, schien Kaiserin Theodora lebendig geworden: in effektvoll blaues, immer wieder dramatisches Licht getaucht; von langen Liegetönen des Basses, des Cellos, der Geige und eines Akkordeons sinnfällig begleitet; von mal madrigalesk polyphon, mal choralhaft gleichmäßig geführten Stimmen umschwebt.
Ganz einfach „Teodora“ hieß diese Opernstunde himmlischer Gesänge wie harmonischer Bilder in dem einzigartigen Raum, die sich freilich extravagant als „Scalata al cielo in cinque movimenti“ empfahl – als „Himmelsleiter in fünf Sätzen“. Das ein wenig esoterische Monodram wurde extra bestellt bei dem Komponisten Mauro Montalbetti und der Librettistin Barbara Roganti. Und erzählte in einer Art Bewusstseinsstrom von Aufstieg und Fall jener berühmten, in dieser Kirche individuell verewigten Kaiserin Theodora (500-548 n. Chr.), die sich als Schauspielerin und wohl auch Prostituierte von Kaiser Justinian zur Mitherrscherin über das oströmische Byzanz emporgehoben sah. Ein köstliches Stück- und Splitterwerk, sehr passend in der Stadt der Mosaiken.
Faszinierende Energie, unbedingtes Kunstwollen war in dem herrlichen Bau zu spüren. Die vielfältige Brechung der Töne, die klaren Bilder schienen fast wie aus wechselnden Kameraperspektiven vorgeführt. Wir tauchten ein, gaben uns hin, ließen uns tragen, von der Musik im komplex gebrochenen Raum, für den sie eigens, könnerisch und kenntnisreich konzipiert wurde. Vor allem für die lange nachhallende, großräumige Akustik, die von vielerlei Platzierungen aus, von oben, unten, hinten, in der Mitte, im Umgang bemüht wurde.
Musik im Jetzt und live. So nur in diesem sehr besonderen Ambiente möglich. Die Antike schien plötzlich greifbar, ihre Spuren klangen nach. Das mag kitschig anmuten, in den Mauern von San Vitale, die durch die Zeiten hin so viel erlebt haben, wirkte diese so lange entbehrte Musik wie ein Gruß vom Himmel, harmonisch, disharmonisch, scheinbar uralt und ewig, größer als das sich endlich wieder etwa lichtende Pandemie-Jetzt.
Ein Neuanfang! So war es an diesem geschichtsträchtigen Ort immer wieder, seit tausenden Jahren, und jetzt alljährlich durch die Kunst. Man ist hier schließlich nicht umsonst Weltkulturerbe. Einst ein wichtiger Hafen, zeitweilig Hauptstadt des Weströmischen Reiches, dann der Ostgoten, schließlich ein Vorposten für Byzanz. Neben den weltberühmten Goldmosaiken in den Kirchen, wurde hier König Theoderich in seinem Mausoleum zur letzten Ruhe gebettet und eine andere Kaiserin ließ sich ein Grab erbauen: Galla Placidia. Und ein dritter Kaiser, Dante Alighieri, Herrscher der italienischen Sprache, liegt in der Nebengasse begraben. Seinen 700. Todestag hat man 2021 ausführlich gefeiert.
Heute ist Ravenna mit seinen nicht mal 250.000 Einwohnern eine Beamten-, Industrie- und Touristenstadt. Und eine Kunstmetropole, dank den Mutis – Riccardo, der schon lange hier lebt, aber vor allem wegen seiner Frau Cristina Mazzavillani. Denn das von ihr gegründete Ravenna Festival, dem sie inzwischen als Präsidentin vorsteht, es erweist sich auch im 33. Jahr als buntes Tischfeuerwerk und köstlich bestückter Gemischtwarenladen der Künste. Es gibt Oper, Konzert, Liederabend, Tanz, Schauspiel, Jazz, Performance, Kino. Alles geht hier, wenn die Qualität stimmt.
Und natürlich konzentriert sich auch dieses Jahr die Kunst in Ravenna auf ein großes Thema. Hundert Jahre nach der Geburt des einst umstrittenen Filmemachers, Theaterregisseurs, Schriftstellers, Publizisten und Aktivisten Pier Paolo Pasolini kreist die 33. Saison des Festivals um dessen ewiges Motto „Zwischen Fleisch und Himmel“, ausgehend von Azio Corghis Komposition für das Eröffnungskonzert mit Daniel Harding und dem Mahler Chamber Orchestra, die die Stimmen eines Erzählers und einer Sopranistin poetisch miteinander verwebt. Vom 1. Juni bis 21. Juli ziehen die Worte, mit denen Pasolini seine folgenschwere Begegnung mit Johann Sebastian Bachs Violinsonaten beschrieb, einen nicht nur musikalischen Faden, der Künstler wie Giuseppe Gibboni, die Accademia Bizantina und Elio Germano einbezieht.
Der im Titel zum Ausdruck gebrachte Gegensatz von Mensch und Gott bietet auch die Möglichkeit, die vielen Facetten des Heiligen zu erforschen – etwa mit den Mysterienspielen über St. Franziskus und St. Augustinus in der Basilica San Vitale oder mit Benjamin Brittens „Canticles“, die Ian Bostridge singen wird. Während Riccardo Muti sein Luigi Cherubini Jugend-Orchester in der Reihe „The Roads of Friendship“ und beim Abschlusskonzert leiten wird, sind auch Gidon Kremer und Christoph Eschenbach, das Budapest Festival Orchestra unter Iván Fischer, Jordi Savall, Giovanni Sollima, Diana Krall, das Béjart Ballet Lausanne, und die Hofesh Shechter II Company an diesem sehr besonderen Ort zu erleben.
Vom 31. Oktober bis 6. November feiert schließlich die traditionelle Herbsttrilogie im Teatro Dante die weltliche Liebe mit Mozarts Da Ponte-Trilogie in Inszenierungen aus den Schlosstheatern von Drottningholm und Versailles.
Ravenna Festival
1. Juni – 21. Juli
www.ravennafestival.org
Matthias Siehler, 04.06.2022, RONDO Ausgabe 3 / 2022
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