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N° 1354
20. - 29.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Jannis Chavakis / KNA-Bild

Martin Fischer-Dieskau

Gleißender Politthriller

Den Dirigenten Antal Doráti kennt man, nicht den Komponisten. Das will Martin Fischer-Dieskau jetzt mit der Aufnahme von Dorátis Oper „Der Künder“ ändern.

Nein, das hatte man wirklich nicht gewusst: Antal Doráti war auch Komponist! Bisher hatte man den 1906 in Budapest geborenen, 1988 bei Bern gestorbenen amerikanischen Dirigenten ungarischer Herkunft einzig und allein am Pult eingeordnet. So wie er und seine zeitgenössischen Budapester Kollegen Fritz Reiner (geb. 1888), George Szell (eigentlich György Széll, geb. 1897) und Eugene Ormandy (eigentlich Jenö Blau, geb. 1899) auch, die als ungarisch-jüdisches Kleeblatt nach der Flucht aus Europa die amerikanischen Orchester in Chicago, Cleveland und Philadelphia ab der Mitte des 20. Jahrhunderts auf ein Niveau brachten, das dem der europäischen Orchester ebenbürtig war.
Doráti wirkte als Musikdirektor und Orchesterleiter in Monaco, England, und vor allem den USA, dort in Dallas, Minneapolis, Washington und Detroit. Er brachte zahlreiche Werke zur Uraufführung, widmete sich intensiv der Musik Peter Iljitsch Tschaikowskis und legte als Teil seiner mehr als 600 Tonträger (insbesondere für das innovative Label Mercury Records) die weltweit zweite Gesamtaufnahme der Sinfonien Joseph Haydns vor.
Eine einzige Doráti-„Komposition“ wurde wirklich bekannt: Er verwandelte verschiedene Walzer und Polkas der Strauß-Familie 1940 für David Lichine in das bis heute beliebte Ballett „Kadettenball“. Und ja, er, der aus einer Musikerfamilie stammte (sein Onkel war der Komponist Ernst von Dohnányi), hatte auch eine Musiktheatervergangenheit. Doráti debütierte 1924 als jüngster Kapellmeister in Budapest, wo er bis 1928 als Korrepetitor wirkte. Von 1924 bis 1928 assistierte er zudem Fritz Busch an der Staatsoper in Dresden, bevor er 1928 Erster Kapellmeister an den Städtischen Bühnen in Münster wurde. 1933 musste er emi­grieren, von 1934-41 gastierte er weltweit als Musikdirektor der Ballets Russes de Monte Carlo. Und auch nach dem Krieg arbeitete er noch kurz für eine New Yorker Operncompany, bevor er sich ganz dem Konzert zuwandte.
In den Fünfzigerjahren intensivierte sich auch mit Orchesterwerken, Chor- und Kammermusik Antal Dorátis Kompositionstätigkeit, klanglich angelehnt an seinen Onkel, mehr aber noch an Béla Bartók und Zoltán Kodály; ein großer Inspirator war der später selbst komponierende Oboist Heinz Holliger. Jetzt aber überrascht uns die Ersteinspielung seiner großen, dreiaktigen Oper „Der Künder“. Geschrieben in den Achtzigerjahren, fußt sie auf dem einzigen dramatischen Text des großen Religionsphilosophen Martin Buber, dem Mysterienspiel „Elija“, das Leben und Sendung des Propheten thematisiert.

Drei große Namen

„Ich bin fest davon überzeugt, hätte Doráti länger gelebt, mit seinen guten Verbindungen in den Musikbetrieb, wäre es schnell zu einer Uraufführung gekommen. Denken Sie allein an diese beiden klingenden Namen.“ Das sagt einer, dessen Nachname ebenfalls gut tönt: Martin Fischer-Dieskau. Der ist neben seinen Brüdern, dem Bühnenbildner Mathias, und dem Cellist Manuel (die Mutter, die Cellistin Irmgard Poppen starb 1963 bei der Geburt dieses Kindes) der mittlere der drei Söhne Dietrich Fischer-Dieskaus. Er, der heute international als Dirigent arbeitet, war in den Achtzigern Assistent Dorátis „und ich habe gemerkt, wie er mir immer mehr die Verantwortung für dieses, sein Opus Summum auftrug.“
Aber lange hat sich keiner für diese tonale, trotzdem sehr moderne, gut ausgearbeitete, in der Tradition der Wiener Schule stehende, aber durchaus auch originelle Oper interessiert. Dabei ist sie – auch bei Doráti kam es also zu einer späten Auseinandersetzung mit seiner religiösen Herkunft, obwohl die Familie ganz weltlich lebte – in einer Reihe zu sehen mit Werken wie Arnold Schönbergs „Moses und Aron“ oder Kurt Weills „Der Weg der Verheißung“. In „Der Künder“ bewirkt der unwirsche Prophet Elias, ähnlich wie in Felix Mendelssohn Bartholdys gleichnamigem Oratorium, ein Regenwunder und führt die Juden wieder zurück zu ihrer Selbstbestimmung im Glauben an den einen, den wahren Gott. Es gehört zu den Besonderheiten dieses Werks, dass der unsichtbare, ungreifbare Gott hier immer mit der Stimme dessen singt, der gerade spricht, das muss auf Platte wie auf der Bühne durch vorproduzierte Echo- und Entfernungswirkungen verfremdet werden.
Doráti gelingen große, wild dramatische Chortableaus, abwechslungsreiche Naturerscheinungen und Wetterstimmungen, eingebettet ist auch noch eine zarte Liebesgeschichte zwischen Isebel und dem König Ahab.
Martin Fischer-Dieskau hat es jetzt als Initiator, Produzent und Dirigent geschafft, rechtzeitig zum 95. Geburtstag von Antal Dorátis zweiter Frau, der österreichischen Pianistin Ilse von Alpenheim, eine Gesamtaufnahme des „Künders“ zu realisieren. Daran beteiligt haben sich finanziell das Bundesministerium des Inneren und für Heimat, was für die Einspielung in Polen wichtig war, sowie die Initiative „2021 – Jüdisches Leben in Deutschland“. Aufgenommen wurde in Krakau. Unter Fischer-Dieskaus musikalischer Leitung singen Tomasz Konieczny, Michael Schade und Rachel Frenkel die Hauptpartien. Daneben agiert das Orchester der Beethoven-Akademie Krakau und der Chor des Teatr Wielki Poznań. Alle mit viel Elan, Können und Überzeugungskraft.
Doch der Traum von Fischer-Dieskau, der selbst in Asien sehr aktiv ist, wäre natürlich eine Bühnenrealisierung. Wie kaum ein anderer würde sich für diesen außergewöhnlichen Stoff der auch nicht mehr junge Achim Freyer eignen, der auch schon zugesagt hat. Jetzt muss nur noch ein Haus gefunden werden, auch wenn diverse Festivals und Musiktheater bereits Interesse bekundet haben. Das Album, das die Fülle und Farbigkeit dieser intelligent-vielschichtigen Partitur offenbart, mag solches hoffentlich befeuern. „Der Künder“, das Baby dreier berühmter Namen, das Fischer-Dieskau „einen gleißenden Politthriller“ nennt, hätte es in jedem Fall verdient.

Neu erschienen:

Doráti

„Der Künder“

mit Konieczny, Schade, Frenkel, Silberstein, Chor des Teatr Wielki Poznań, Beethoven-Akademie Krakau, M. Fischer-Dieskau

Orfeo/Naxos

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Matthias Siehler, 04.06.2022, RONDO Ausgabe 3 / 2022



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