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N° 1354
20. - 28.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Mit einem Wisch ist alles da: Die Noten-App im Test bei den SängerInnen des Rundfunkchors Berlin © Rundfunkchor Berlin

Pasticcio

Adieu, Ihr Eselsohren!

Orchesterkonzertbesucher, die ihre Sitzplätze bereits dann in Beschlag nehmen, während andere noch draußen im Foyer gemütlich am Kaffee oder Bier nippen, kennen dieses Schauspiel. Da wuseln auf dem Konzertpodium die Männer in ihren Alltags- und Arbeitsklamotten durch die noch verwaisten Stuhlreihen des Orchesters – und wenn alles richtig steht, sind die Noten dran. Dann nämlich stellen die Orchesterwarte mit flinker Hand die Orchesterstimmen des aufgeführten Werks auf die entsprechenden Notenpulte. Und kaum hat das Konzert begonnen, sieht man hier und da bereits die ersten Musiker, wie sie das Eselsohr noch mal nachjustieren, um bloß nicht im Moment des Notenumblätterns zu viel Zeit zu verlieren. Seit es gedruckte Noten gibt, gehört das millisekundengenaue Timing eben des Umblätterns zur festen Tradition von Live-Konzerten.
Nun haben sich bekanntlich längst Solisten von solchen Äußerlichkeiten befreit, indem sie ein Werk einfach verinnerlicht und auswendig gelernt haben. Doch ob in der Kammermusik oder im Orchesterverbund sind Noten auf echtem Papier immer noch unerlässlich. Hat man bislang gedacht. Denn mittlerweile gibt es schon so manches Streichquartett wie das amerikanische JACK Quartet, das nicht etwa mit einem Notenstapel daherkommt, sondern mit einem Tablet. Nicht nur sind darauf alle Werke gespeichert. Mit nur einem Tritt aufs Fußpedal kann jeder bequem zur nächsten Seite umblättern. Genau diese Form der Digitalisierung des klassischen gemeinsamen Musizierens probiert nun auch das Stuttgarter Kammerorchester aus. Als erstes Berufsorchester in Deutschland hat man jetzt komplett auf Tablet umgestellt. „Der Einsatz von Tablets ermöglicht uns nicht nur jederzeit den Zugriff auf die gesamte Notenbibliothek“, so Intendant Markus Korselt. „Auch die Handhabung wird einfacher.“ Außerdem würde dadurch die Probenarbeit erleichtert, da man die Tempo- oder auch Lautstärke-Angaben mit dem Eingabestift beliebig oft ändert und in Echtzeit auf die Tablets der anderen Musiker übertragen kann.
Dafür braucht man aber – wie mittlerweile im nahezu ganzen Leben – eben eine entsprechende App. Auch wenn man beim Kammerorchester schon diesbezüglich ausgerüstet ist, könnte man sich vielleicht doch noch mit Kollegen austauschen, die in der Erprobungsphase einer Noten-App sind. Wie etwa der Rundfunkchor Berlin, der seit März die entsprechende App des in Paris ansässigen und bisher europaweit agierenden französischen Herstellers Newzik testet. Wenn alles dann reibungslos laufen sollte, ist auch der Orchesterwart wieder gefragt. Nur dass er nicht mehr Noten schleppen, sondern ab sofort für die entsprechenden Ladestationen sorgen muss.

Guido Fischer



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