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N° 1354
20. - 28.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Prague City Tourism

Musikstadt

Prag

Drei Opern, vier Orchester, Konzertsäle mit Historismus-Üppigkeit oder Landhauscharakter – Prag hat ein riesiges Musikangebot.

Prag war in Festlaune. Anfang 2020 hatte dort die Staatsoper nach dreijähriger, 51 Millionen Euro teurer Renovierung mit einem Galakonzert wiedereröffnet. Der stuckinkrustierte Pompösbau der einstigen k. u. k-Architekturdioskuren Fellner & Helmer glänzte und funkelte neuerlich in üppigem Neo-Neo-Stilpluralismus, der selbst in nüchternen Zeiten wieder als stylisch gilt. So wie sich das 1911 die Prager deutsche Gemeinde in der immer noch österreichischen Hauptstadt Böhmens leistete. Vor dem Hauptpausensaal prangt die Richard-Wagner-Büste, Antonín Dvořák und Leoš Janáček sind in den Seitengängen platziert.
Heute gehört das Haus zu einem der größten Theaterkonglomerate Europas. Denn die nun Staatsoper geheißene Bühne war das deutschsprachige Pendant zum tschechischen Nationaltheater, das sich seit 1881 am Moldauufer als „goldene Kapelle“ des Vaterlands erhebt, sowie zum im Zentrum gelegenen, 1783 eröffneten historischen Ständetheater, an dem Wolfgang Amadeus Mozarts „Don Giovanni“ sowie „La clemenza di Tito“ uraufgeführt wurden.
Sie alle, sowie die in den Achtzigern im Brutalismusstil neben das Nationaltheater gestellte Nová scéna, wo die einzigartige Laterna magika residiert, stehen unter einer Verwaltungsleitung; die drei historischen Häuser teilen sich Oper, Theater und Ballett mit jeweils eigenem Chef. Insgesamt sind hier allabendlich über 3000 Plätze für ein immer noch rührend altmodisch aufgerüschtes Publikum von 1,3 Millionen Einwohnern zu bespielen. Und selbst wenn man seitlich gequetscht am oberen Wenzelsplatz eingepfercht liegt zwischen den Bahngleisen, dem hässlichen Verwaltungsbau des Nationalmuseums und der Autobahn Dresden-Brünn direkt vor der Tür, man möchte wieder was hermachen.

Auf der Suche nach dem großen Erbe

Das zumindest ist die Absicht des ersten ausländischen Opernchefs, dem Norweger Per Boye Hansen, der als Opernchef an der Komischen Oper Berlin wirkte, das Bergen International Festival leitete und 2012-17 zu einem von mehreren, später im Streit gegangenen Intendanten am neuen Opernhaus in Oslo gehörte. Seit August 2019 soll er nun eine unterfinanzierte, immer noch sehr national geprägte Institution international fit machen. Das ruckelt noch, es gab Petitionen gegen ihn, man beklagte mangelnde Sensibilität und Wertschätzung, übereilte Entscheidungen, natürlich fürchten auch viele der Alteingesessenen um ihre Pfründe. Aber trotz einer Vielzahl hervorragender tschechoslowakischer Dirigenten wie Jakub Hrůša oder Tomáš Netopil wollte sich nach früheren schlechten Erfahrungen keiner fest an das Haus binden.
Hansen, der den vor allem als Barenboim-Protegé hervorgetretenen deutschen Ex-Klarinettisten Karl-Heinz Steffens als neuen Musikchef von seiner vorherigen Wirkungsstätte mitgebracht hat, ist bisher vor allem eins gelungen: ein ­Projekt, das sogar „wegen der besonderen Beziehungen zur Tschechoslowakei“ vom deutschen Außenministerium mit vier Millionen Euro gefördert wird.
„Musica non grata“ heißt das vierjährige Programm, das vor allem die deutsche Vergangenheit des Hauses in den Mittelpunkt rücken möchte. Mit einem besonderen Fokus auf der blühenden Musikkultur während der Zwischenkriegszeit, die 1938 von den Nazis gekappt wurde. Damals waren der Komponist Ale­xander Zemlinsky sowie die Dirigenten Eugene Ormandy und Hans Wilhelm Steinberg Musikchefs, man spielte Werke von Ernst Krenek, Paul Hindemith, Erich Wolfgang Korngold, Franz Schreker, die Uraufführung von Arnold Schönbergs „Erwartung“, Fidelio F. Finke, Theodor Veidl, Hans Krása, Erwin Schulhoff, Pavel Haas oder Viktor Ullmann. Friedrich Schorr, Leo Slezak, Richard Tauber, Lotte Lehmann, Risë Stevens oder Hans Hotter sangen am Haus.
Gerade die Werke, der durch KZ oder Exil zum Verstummen gebrachten Komponisten sollen jetzt wieder in den Fokus gestellt, ebenfalls soll das Schaffen von Komponistinnen wie Vítězslava Kaprálová, der auch als Sängerin bekannten Emmy Destinn, Julie Reisserová oder Geraldine Mucha näher beleuchtet werden. Ähnliche Ansätze gab es hier – freilich ohne bilaterale Staatsgelder – schon nach der „Samtenen Revolution“ in den frühen Neunzigerjahren, doch sie versandeten.
Es gibt eine gemeinsame Musiksprache, und Prag war und ist eine zentrale europäische Musikstadt. Alljährlich dokumentiert sich das auch beim Prager Frühling, jenem mehrwöchigen internationalen Kultur- und Musikfestival, das bereits seit 1946 stattfindet.
Es beginnt immer am 12. Mai, dem Todestag Bedřich Smetanas und wird traditionell mit dessen Zyklus „Mein Vaterland“ eröffnet.
Prag hatte schon immer Komponisten und Musiker inspiriert und stellt bis heute eine einzigartige kulturelle Szene dar. Die musikalische Tradition manifestiert sich neben den Opern in einer Reihe von Konzertsälen. Dazu gehören das historistische Rudolfinum mit dem Dvořák-Saal am Moldauufer ebenso wie das jugendstilkostbare, 1905-11 erbaute Gemeindehaus, in der Stadtmitte neben dem Pulverturm gelegen, mit seinem Smetana-Saal. Das eine ist die Heimat der Tschechischen Philharmonie, dem berühmtesten, 1896 gegründeten Orchester, dem gegenwärtig Semyon Bychkov vorsteht. Das andere ist Sitz der städtischen, 1934 geründeten Prager Symphoniker. Deren Chef ist seit 2020 Tomáš Brauner.
Zudem gibt es noch das bis ins Jahr 1923 zurückreichende Prager Radiosinfonieorchester mit seinem Chef Vladimír Válek sowie die Prager Philharmoniker, die 1948 zunächst als hauseigenes Orchester der Filmstudios Barrandov gegründet wurden. 1989 aufgelöst, wurde es von den Musikern selbst neu formiert. Mit diesem Wirtschaftsstatus gehören sie zu den Ausnahmen im europäischen Musikleben. Darüber hinaus finden sich aus dem reichen Instrumentalisten-Pool dieser Stadt immer wieder auch Projektensembles wie die Smetana Philharmoniker Prag oder das Prague Royal Philharmonic.
Zu den renommierten Konzertsälen in Prag gehören noch der Spanischer Saal im Hradschin, die Sala Terrena des Ledebur-Gartens, der Kaiserstein-Palast, die Palais Nostitz, Lobkowicz, Lichtenstein und das Clam-Gallas-Palais. Hinzu kommen die berühmten Kirchen, Kapellen und Synagogen. Und besonders zauberhaft sind Kammerkonzerte in der früher vor der Stadt gelegenen Villa Bertramka, einst das Landhaus des mit Mozart befreundeten Ehepaares Dušek.

www.narodni-divadlo.cz/en
https://festival.cz/en
https://www.rudolfinum.cz/en

Das Rudolfinum

Das eindrückliche Neorenaissance-Gebäude aus hellem Sandstein wurde im Auftrag der böhmischen Sparkassen von den Architekten Josef Zítek und Josef Schulz in den Jahren 1876–1884 errichtet. Die Fassadengestaltung lehnte sich an die der Dresdner Semper­oper an. Schirmherr war Kronprinz Rudolf. Nach ihm und seinem kunstliebenden Vorfahren Kaiser Rudolf II. wurde das Gebäude benannt. Es war von Anfang an als ein Haus der Künstler konzipiert, wovon heute noch die angeschlossene Galerie kündet. Es beherbergt drei Konzertsäle. In deren größtem, dem Dvořák-Saal, dirigierte Antonín Dvořák 1896 das erste Konzert der Tschechischen Philharmonie. Zudem gib es den Suk-Saal und den Kubelík-Saal.

Matthias Siehler, 09.04.2022, RONDO Ausgabe 2 / 2022



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