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N° 1354
20. - 29.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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(c) Charlotte Ellis

Esther Abrami

Klezmer zum Zitronentee

Auf ihrem Debütalbum kombiniert die Geigerin Esther Abrami neuarrangierte Klassik-Highlights mit Filmmusik und Raritäten.

Die Ente sitzt auf einer Maschine und schüttelt im stampfenden Beat Zitronentee. Dazu spielt eine junge Geigerin mit langen braunen Haaren ein Motiv, das an Klezmermusik erinnert. Die Ente ist ein mechanisches Spielzeug in einem chinesischen Teeladen, und die Geigerin ist Französin und heißt Esther Abrami. Das witzige Filmchen findet sich auf dem Videoportal TikTok, das sich bei Jugendlichen weltweiter Beliebtheit erfreut. Es ist eines von über 200 Videos, die Esther Abrami dort hochgeladen hat. In den Clips sieht man die Geigerin beim Üben, im Gespräch mit der Komponistin Rachel Portman oder beim Kurzvortrag über die Essgewohnheiten von Erik Satie, dabei bewirbt sie als Influencerin auch Mode und Produkte von HiFi-Firmen. Die Französin nutzt diese Kanäle, um junge Menschen an klassische Musik heranzuführen. Dabei zeigt sie zum einen, wie viel Arbeit nötig ist, um ein hohes Spielniveau zu erreichen, zum anderen aber auch, wie viel Freude man an der Musik haben kann, wenn man die Werke gut beherrscht.
Ihre Bemühungen stießen auf fruchtbaren Boden, denn mittlerweile folgen der Geigerin Hunderttausende Fans bei TikTok, Instagram und YouTube. Und so wurde auch das Label Sony Classical auf die junge Geigerin aufmerksam und nahm sie unter Vertrag. Auf ihrem Debütalbum, das ihren Namen trägt, interpretiert Esther Abrami eine ganze Reihe berühmter Werke wie Mozarts „Eine kleine Nachtmusik“, Chopins „Regentropfen-Prélude“ oder Tschaikowskis „Schwanensee“ in neuen Arrangements; teils mit Klavierbegleitung, teils mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien. Die Geigerin betont, dass es „irrelevant“ wäre, diese Kompositionen nochmals im Original aufzunehmen, da sie schon so oft eingespielt wurden: „Mir geht es darum, aus den berühmten Melodien etwas zu machen, was die Leute nicht erwarten“, erklärt sie ihren Ansatz.
Einen weiteren Teil des Albums bilden Stücke aus Filmmusiken, etwa dem aus der Feder der Oscar-Preisträgerin Rachel Portman stammenden Soundtrack von „Chocolat“. Portman ist eine Komponistin, die Esther Abrami sehr verehrt: „Rachel war und ist eine Heldin für mich“, schwärmt Abrami, „schon als Kind habe ich ‚Chocolat‘ geliebt. Ich konnte es kaum glauben, dass sie dieses Werk für mich arrangieren würde“. Als bekennende Feministin ist es der jungen Geigerin wichtig, ihren Fans auch klarzumachen, dass es viele Komponistinnen gibt, die mehr Beachtung verdienen würden, denn „nicht alle großen Komponisten waren Männer.“ Deshalb wählte sie auch zwei Stücke von Clara Schumann und der amerikanischen Komponistin Amy Beach aus, es sind die einzigen Original-Kompositionen des Albums. Esther Abrami interpretiert all diese Werke mit viel Herzblut und vollem romantischem Ton, dabei verwendet sie auch – wie die romantischen Geiger des 19. und frühen 20. Jahrhunderts – die Portamento-Technik, ein schnelles Gleiten von einem Ton zum nächsten. Man wünscht sich, es möge dieser hochtalentierten Musikerin gelingen, weiterhin viele junge Menschen für klassische Musik zu interessieren. An Einfallsreichtum und Kanälen dazu mangelt es ihr jedenfalls nicht.

Neu erschienen:

Schumann, Portman, Beach u. a.

„Esther Abrami“

mit Abrami, ORF Radio-Symphonieorchester Wien, Sughayer

Sony

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Mario-Felix Vogt, 26.03.2022, RONDO Ausgabe 2 / 2022



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