Startseite · Medien · Unterm Strich
Jeder erkennt diese Stimme mit dem ersten Ton, was sogar Leuten passiert, die Christian Gerhaher noch nie zuvor haben singen hören. Man kennt sie nicht nur, man fühlt sich irgendwie erkannt. Eine klare Kraft, die direkt ins Sonnengeflecht greift oder ins Herz oder Hirn, wo immer die Seele des Menschen gerade anzutreffen ist. Dabei ist der erste Ton des Sängers im „Stabat mater“ von Wolfgang Rihm ja eigentlich der zweite, da er sich, wie sich das bei dieser Sequenz gehört, in engen Sekundabstand begibt zu dem um einen halben Schlag vorangegangenen Eröffnungs-Ton der Bratsche, bevor er emphatisch hochfliegt in die übermäßige Oktave. Auch Tabea Zimmermann beherrscht die Kunst, Töne aufzuladen mit Deutung und Sinn. Oder ist es ein Hintersinn, der die verbotene Sinnlichkeit dieses polyfonen Doppelgesangs ausmacht? Ein tolles Stück. Normalerweise fragt man: Was wäre der Komponist ohne diese Interpreten? In diesem Fall ist zu ergänzen: Und was wären sie, ohne ihn! Außerdem finden sich auf dieser CD (BR-Klassik/Naxos), die ein denkwürdiges Konzert der Münchner „musica viva“-Reihe vom Dezember 2020 abbildet, zwei mehrfach übermalte Rihmsche Instrumentalstücke: „Sphäre nach Studie“ und „Male über Male 2“, gewidmet dem grenzüberschreitenden Klarinettengesang Jörg Widmanns.
Das Kammerorchester Basel ist ein feines, halbwegs historisch informiertes Mozartorchester und Louis Langrée ein stilsicherer Mozartdirigent. Gut, dass Elsa Dreisig für ihr inzwischen drittes Recital-Album so kundige Mitstreiter fand (Erato/Warner). Schade, dass sie sich zu einer so dämlichen Leistungsschau überreden ließ. Sie singt jeweils drei Arien aus drei Sopranpartien der Mozartschen Da Ponte-Opern. Ist aber weder eine Zerlina, noch eine Donna Anna. Egal, ob Susanna, Cherubino oder Gräfin: Alle klingen gleich. Lauter nette kleine Mädchen. Alle gleich ahnungslos. Gleich Dreisig. Besser, sie hätte noch ein paar Jahre damit gewartet.
Erato / Warner
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Gemeinsam mit dem Dirigenten Howard Griffiths, der nebenbei für ein Fördermodell der Zürcher Orpheum Stiftung arbeitet, hat das Kammerorchester Basel eine zweite neue CD herausgebracht. Sie enthält Musik vom „Mozart des 19. Jahrhunderts“ (Berlin Classics/edel). So nannte Robert Schumann den jungen Felix Mendelssohn Bartholdy, der vierzehnjährig ein Doppelkonzert für Klavier, Violine und Streicher in d-Moll komponierte: ein bezaubernd übereifriges Jugendwerk. Aber es ist alles andere als „nett“. Wird leider selten aufgeführt, doch man kann etwas Eigenes, beinahe Großes daraus machen, wie die Solisten dieser Studioaufnahme beweisen: die hinreißend poetische Pianistin Claire Huangci, der ausdrucksstarke Geiger Marc Bouchkov. Sie gestalten den Mittelsatz, ein mozärtliches Adagio in der Dominant-Tonart A-Dur, aus zu einem wunderlichen, über den Dingen schwebenden Zwiegesang. Das seit Jahren erstaunlich effektive Orpheum-Modell übrigens heißt „Young Soloists On Stage“, es ebnet der jungen Elite den Weg in den Konzertsaal. Im Kuratorium sitzen nur Musiker.
Berlin Classics
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Musiker sind grenzüberschreitende Reisekader, das war schon vor dreihundert Jahren so, als das Reisen sehr viel mühseliger war, als heute, in der Pandemie. Trotzdem gibt es immer wieder nationale Grenzen, die nicht überschritten werden, sogar im geeinten Europa. Rätselhaft: Warum ist das belgische Ensemble Kheops, das schon seit dreißig Jahren in unterschiedlicher Besetzung Kammermusik vom Feinsten macht, nie in Deutschland angekommen, wohingegen die Briten, in ihrem Brexit, diese brillante Formation feiern als eine der Weltbesten? Das neue Album von Kheops (Cypres/Note 1) wird von drei der Gründungsmitglieder bestritten: Ronald Van Spaendonck (Klarinette), Muhiddin Dürrüoglu (Klavier) und Marie Hallynck (Violoncello). Dazu kommt die Violinistin Tatiana Samouil. Sie spielen spätromantisches Repertoire: op.114 von Johannes Brahms, op.5 von Alban Berg und op.3 von Alexander von Zemlinsky. Spielen einander die Bälle zu, stilistisch trennscharf, in symbiotischer Klangrede. Jeder Ton ist aufgeladen mit Bedeutung. Man kann jetzt schon sagen: eine Platte des Jahres.
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Eleonore Büning, 19.02.2022, RONDO Ausgabe 1 / 2022
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Der spätbarocke Dichter Barthold Heinrich Brockes (1680–1747) begründete seinen Ruhm durch die 1712 entstandene Passionsdichtung „Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesus“. Mit dieser hochemotionalen Schrift war er so erfolgreich, dass gleich 13 zeitgenössische Komponisten diese vertonten, darunter Händel, Keiser, Mattheson und Stölzel. Auch Georg Philipp Telemann lernte den Text 1716 kennen und schrieb in seiner Autobiographie, dass „dessen Poesie von allen […] mehr