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Szenen einer Ehe, versungen und vertan. Wie oft hat man das im Musiktheater gesehen? Doch wer hätte gedacht, dass sich Hugo von Hofmannsthals knittelversiges Sterben des reichen Herren namens „Jedermann“ so gut mit Arnold Schönbergs großer Sopran-Psychostudie in weiblicher Hysterie namens „Erwartung“ kurzschließen lassen würde? Ja, dass Frank Martins sechs Monologe, mit zwei weiteren Schönberg-Stücken verwoben, sich zur Geschichte einer gescheiterten Zweierbeziehung ergänzen lassen? Vereint von David Hermann, ergeben sie in Frankfurt einen überraschenden Opernabend.
In „Warten auf heute“, passt alles wunderbar zusammen. Etwa das Einfamilienhaus von Jo Schramm, das eine dritte Hauptrolle spielt. Es verschiebt sich dank genialischer Mechanik in drei gerundete Segmente, setzt sich stetig neu zusammen. Nicht nur die Wohnwelt gerät so aus den Fugen. Darin spult sich „Von heute auf morgen“ ab, die einstündige Geschichte eines kurz zerstrittenen, dann wieder auf die gemeinsame Spur gebrachten Ehepaars. Vor der Pause folgt als Gelenkstück Schönbergs „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene“. „Drohende Gefahr, Angst, Katastrophe“ hat ihr der Komponist assoziativ mitgegeben. Alexander Soddy, bis jetzt am Pult ein transparenter Tänzeler des Abstrakten, schlägt einen emotionssatteren Ton an.
Videoüberblendungen geben dem Haus Farben und Tiefe. Das Kommen und Gehen zwischen Job, Shopping und Schule, es endet im Auszug der Frau. Wir wissen nicht, was drin passiert ist, das sind die dunklen Gelenkstellen, die dieses neue Opernkonstrukt unvermutet reizvoll machen. Nach der Pause ist der Mann alt. Johannes Martin Kränzle gibt grandios eine verlorene Seele, die nach Gott ruft. Aber es kommt nur die Essen-auf-Rädern-Frau. Selten war Einsamkeit stärker zu greifen. Er stirbt.
Nach ihm suchend erscheint die schicke Camilla Nylund. Die kehrt als zweiter Star zurück, füllt Bühne wie ihr ehemaliges Haus mit Schönbergs immer noch unerhört packendem Monodram. Groß und zerrissen, leidenschaftlich reagiert „Erwartung“ auf das Vorangegangene. Bis Schönbergs suggestive Musik leise davonweht.
Matthias Siehler, 19.02.2022, RONDO Ausgabe 1 / 2022
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