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(c) Luis Castilla
Das Studio von Fahmi Alqhai versteckt sich im Herzen der historischen Altstadt von Sevilla. Im Gewirr der Gassen und alten Gemäuer überrascht die sachliche Kühle der Räume, in denen Alqhai auch Aufnahmen einspielt. Auch die stattliche E-Gitarre, die an der Wand prangt, würde man hier nicht erwarten. „In meiner Jugend habe ich fünf Jahre lang in einer Heavy Metal Band gespielt, wir waren viel auf Tour und wollten Profis werden“, erklärt er den Stilbruch, „aber dann habe ich die Gambe entdeckt und mich unsterblich verliebt.“
Das neue Projekt, die Einspielung des Liederbuchs der Bibliothek Colombina, findet statt in einer Kirche in der Calle Cervantes ein paar Gassen weiter. Der Kirchenraum in der spanisch-ekstatischen Spielart des Hochbarock bietet eine ideale Akustik für die Auswahl aus dem etwa 100 Werke umfassenden Liederbuch, die Fahmi Alqhai in langem Studium der schwierig zu entschlüsselnden Quellen traf.
Das Liederbuch der Bibliothek Colombina ist eines der musikalischen Denkmäler der spanischen Renaissance und wird seit fünfhundert Jahren in Sevilla aufbewahrt. Wie es heißt, wurde das Manuskript 1534 von Hernando Colón, dem Sohn von Christoph Kolumbus erworben. Zusammengestellt wurde die Sammlung höchstwahrscheinlich im Haus des Herzogs von Medina-Sidonia, wo sich eines der ersten Gambenkonsortien der Geschichte traf. „Dieses Songbook ist in Spanien legendär, aber niemand spielt es!“, berichtet Alqhai.
Aufgewachsen ist der 1976 in Sevilla geborene Gambist im syrischen Homs, wo er seine musikalische Ausbildung begann. In Sevilla, an der Schola Cantorum Basiliensis in Basel sowie am Conservatorio della Svizzera italiana in Lugano setzte er seine Studien fort. In Italien gründete er dann sein Ensemble Accademia del Piacere, das seinen schönen Namen mitnahm nach Sevilla. Alqhai experimentiert gern weit über die Grenzen seines Fachs hinaus, tritt in Dialog mit Flamenco, zeitgenössischer Musik, Tanz und Jazz.
Das neue Projekt liegt ihm besonders am Herzen: „Das ist Musik der polyphonen Schule des 15. Jahrhunderts, von berühmten, aber auch einigen anonymen Komponisten aus der Zeit etwa von 1450 bis 1460. Die Sammlung ist eine Art Bibel für mich.“ Mit der Musik der frühen Renaissance in Italien, Frankreich oder Deutschland sei diese Sammlung nicht zu vergleichen, sagt Alqhai, und sogar innerhalb der spanischen Musikgeschichte behaupte sie eine Sonderstellung: „Diese Musik ist am Anfang des spanischen Weltreichs entstanden, das ist die letzte Musik im puren spanischen Stil. Danach wanderten durch die Kolonisierung viele andere Einflüsse in die spanische Musik ein.“
Es sei im Prinzip eine einfache, wenig komplizierte Musik, bekräftigt Alqhai den archaisch wirkenden Höreindruck der Probe. Kostbar ist die Sammlung auch deshalb, weil aus dieser Zeit sonst kaum Noten aus Spanien überliefert sind. Denn dort habe sich die musikalische Tradition anders entwickelt: „In Europa war es damals schon üblich, Musik aufzuschreiben. Aber in Spanien war das anders, es gab nur eine Art von oral history, die Musik wurde weitergegeben, aber nicht notiert. Ich erkläre mir das mit dem arabischen Einfluss insbesondere in Andalusien.“
Regine Müller, 12.02.2022, RONDO Ausgabe 1 / 2022
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