Startseite · Interview · Gefragt
(c) Christian Meuwly
RONDO: International haben Sie sich vor allem als Interpretin der Klaviermusik von Franz Liszt einen Namen gemacht. Wie haben Sie Gustav Mahlers Sinfonien und Arnold Schönbergs Streichsextett „Verklärte Nacht“ für sich entdeckt?
Beatrice Berrut: Ich habe immer sehr viel Liszt gespielt, zuletzt war ich besonders auf sein Spätwerk konzentriert. Wenn man schaut, wie sich seine Klangsprache fortentwickelt hat, kommt man rasch zu Richard Wagner, Mahler und dem frühen Schönberg. Das spätromantische deutsch-österreichische Repertoire ist für mich der absolute Gipfel der Musik! Mahlers Sinfonien faszinieren mich schon lange. In diese reiche, sinnliche und spirituelle Musik bin ich richtig verliebt.
Originalkompositionen Mahlers für Pianisten muss man mit der Lupe suchen. Sinfoniesätze wie das Adagietto aus der Fünften gibt es allerdings schon als Klavierbearbeitungen. Was hatten Sie bei Ihren Transkriptionen im Sinn?
Ich habe versucht, aus Sätzen wie dem Adagietto oder dem Tempo di Menuetto aus der dritten Sinfonie klangschöne Klaviermusik zu machen. Werkgetreue Transkriptionen zu erstellen, hat mich weniger interessiert. Aus dem dramaturgischen Konzept der Sinfonien herausgelöst, nimmt ein Satz wie das Adagietto plötzlich den Charakter eines Klavierstücks im Sinne von Johannes Brahms an. Diese Sichtweise erschien mir ganz natürlich. Mahler spielte ja selbst Klavier und nutzte es auch für die Komposition seiner Sinfonien. Ich bin also zur Ausgangsbasis zurückgekehrt.
Gab es auch Stellen, an denen Sie erst ins Grübeln kamen?
Im Andante moderato der Sechsten Sinfonie kommen auch Kuhglocken zum Einsatz. Diese Wirkung habe ich am Klavier erzielt, indem ich Glockenspielharmonien eingearbeitet habe. Bei einer wunderbaren Passage in C-Dur, wo die Streicher hohe Töne lange aushalten, habe ich versucht, den Orgelklang zu imitieren, um den geheimnisvollen, spirituellen Charakter dieser Musik zu bewahren.
Welche dramaturgische Idee steht hinter der Anordnung der Stücke auf dem Album?
Ich wollte mich ein bisschen aus dem Korsett der Interpretin befreien. Das Tempo di Menuetto habe ich zwischen Adagietto und Andante moderato gesetzt, um einen Kontrast zu schaffen. Danach komme ich zu dem gewagtesten Teil des Albums, nämlich der Paraphrase von „Verklärte Nacht“.
Inwieweit haben Sie sich hier von Liszt beeinflussen lassen?
Die Musik von Liszt ist für mich längst zu einer zweiten Muttersprache geworden. Sein Einfluss wird vor allem in dem Schönberg-Stück deutlich. Bei meiner Klavier-Paraphrase der ursprünglichen Fassung für Streichsextett musste ich mich völlig von der Partitur entfernen, sonst hätte es nicht funktioniert. In meiner Bearbeitung spiegelt sich die große h-Moll-Sonate von Liszt wider. Zwischen den beiden Werken erkenne ich viele Ähnlichkeiten. Sie dauern jeweils eine halbe Stunde, in deren Verlauf sich innere Metamorphosen vollziehen – von anfänglicher Düsternis bis hin zur Erlösung. Ich bin davon überzeugt, dass auch Schönberg die Liszt-Sonate beim Komponieren im Kopf hatte.
La Dolce Volta/hm-Bertus
Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.
An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.
Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.
Corina Kolbe, 26.02.2022, RONDO Ausgabe 1 / 2022
Ein Schuss Jazz, eine Prise Film, ein Löffel Leichtigkeit: Bunte Klassik
Seit vier Jahrzehnten steht es für den gepflegten, virtuosen Blechklang mit Repertoire über alle […]
zum Artikel
Es gab mal eine Ära, da hätte man jede Wette gewonnen, dass nur ein Opernhaus die Auszeichnung […]
zum Artikel
Über das Alter von Frauen zu reden gehört sich zwar nach guter alter Kinderstube nicht. Doch […]
zum Artikel
Ihre Wochenempfehlung der RONDO-Redaktion
An dieser Stelle finden Sie Inhalte eines Drittanbieters, die Sie mit einem Klick anzeigen lassen können.
Mit dem Laden des Audioplayers können personenbezogene Daten an den Dienst Spotify übermittelt werden. Mehr Informationen finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen.
Der spätbarocke Dichter Barthold Heinrich Brockes (1680–1747) begründete seinen Ruhm durch die 1712 entstandene Passionsdichtung „Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesus“. Mit dieser hochemotionalen Schrift war er so erfolgreich, dass gleich 13 zeitgenössische Komponisten diese vertonten, darunter Händel, Keiser, Mattheson und Stölzel. Auch Georg Philipp Telemann lernte den Text 1716 kennen und schrieb in seiner Autobiographie, dass „dessen Poesie von allen […] mehr