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(c) Nikolaj Lund
Zum Zoom-Interview schaltet Ragnhild Hemsing sich zu aus einem mit hellem Holz getäfelten, typisch skandinavischen Raum in ihrem norwegischen Heimatdort Valdres, etwa eine Stunde nördlich von Oslo. Die Geigerin, die in Oslo und Wien studierte, kehrte vor einiger Zeit bewusst zurück nach Valdres, zu ihren Wurzeln. In dem kleinen Ort bereitet sie gerade das Kammermusikfestival vor, das sie gemeinsam mit ihrer ebenfalls geigenden Schwester Eldbjørg Ende Februar dort veranstaltet.
Die Tochter einer Musikerin kam früh sowohl mit klassischer als auch mit Volksmusik in Berührung und begann parallel mit der Geige und der Hardangerfiedel. Dieses traditionelle norwegische Volksmusikinstrument besitzt neben den vier Spielsaiten noch weitere Resonanzsaiten, die unter dem Griffbrett verlaufen. „Die Klassik verlangte mehr Zeit zum Üben, aber ich habe es immer schon gemocht, beides zu kombinieren. Als ich Teenager wurde, wäre es eigentlich normal gewesen, sich für eines der Instrumente zu entscheiden. Aber dann war ich sehr glücklich, als ich verstand, dass ich mich gar nicht entscheiden muss, und meine musikalische Identität mit beiden Instrumenten leben kann.“
Technisch sei die klassische Violine das anspruchsvollere Instrument und die Hardangerfiedel erfordere eine völlig andere Technik beim Bogen und der Griffhand. „Aber die Rhythmen im Folk sind sehr herausfordernd, ähnlich wie in der Barockmusik, sie basieren auf Tanzrhythmen.“ Und wie bei der historisch informierten Aufführungspraxis in der Barockmusik wird die Hardangerfiedel auch ohne Vibrato gespielt.
Mit ihrer doppelten musikalischen Identität hat Hemsing sich nun einem musikalischen Heiligtum – nicht nur in Norwegen – genähert, Edvard Griegs „Peer Gynt“-Musik. Initialzündung für die Idee war tatsächlich das berühmteste Stück der Suite, die „Morgenstimmung“. „Es ist allgemein bekannt, dass Grieg von norwegischer Volksmusik generell und speziell von der Hardangerfiedel inspiriert war. Das merkt man ganz direkt bei der „Morgenstimmung“, denn die ersten Töne entsprechen genau den Resonanzsaiten der Hardangerfiedel: A - Fis - E - D - E - Fis! Aber niemand hat bislang ausprobiert, diese Musik mit der Hardangerfiedel zu spielen.“
Ragnhild Hemsing ließ von Tormod Tvete Vik ausgewählte Abschnitte der Peer Gynt-Schauspielmusik für ihre beiden Soloinstrumente Hardangerfiedel und Violine samt Streichorchester arrangieren. Manchmal wechselt sie mitten im Satz das Instrument, was verwegen wirkt, „aber für mich ist das normal, meine Finger sind an diese schnellen Wechsel gewöhnt, obwohl die Abstände ganz andere sind und natürlich der Klang nicht vergleichbar ist. Bei der Hardangerfiedel begleitet man sich durch die resonierenden Saiten sozusagen selbst.“
Ein weiteres wichtiges Element der Arrangements sind Passagen, in denen Hemsing auf der Hardangerfiedel improvisiert: „Das ist für mich ganz natürlich. Die Volksmusik wurde nicht notiert. Und diese Freiheit übertrage ich auf Grieg.“ Das Ergebnis ist erstaunlich: Hemsing und die Trondheim Soloists bringen Grieg das Tanzen bei, die Sätze klingen leicht, transparent und verspielt, aber keineswegs verniedlicht. Vielmehr liegt durch die herberen Fiedel-Klänge eine gewisse Melancholie in der Luft, aber auch eine klangliche Weite, die Grieg überraschend neu klingen lässt.
Berlin Classics/Edel
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