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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



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Hexenmeister und Womanizer: Der Virtuose Franz Liszt 1858, Fotografie von Franz Hanfstaengel

Pasticcio

Der ganze Liszt-Kosmos

Wenn in den 1840er Jahren Damen aus gutem Hause plötzlich außer Rand und Band waren, ahnte man: Franz Liszt ist in der Stadt. Plötzlich benahmen sich Gräfinnen wie kreischende Teenager. Und auf der Jagd nach einem persönlichen Fanartikel kannten sie keine Grenzen und Hemmungen. Mal goss man sich in einen Flacon ein paar Tropfen aus einer Teetasse, aus der Liszt genippt hatte. Oder man sicherte sich eine von ihm weggeworfene Zigarette, die dann laut eines Zeitzeugens „trotz mehrmaligen Erbrechens mit einem eingebildeten Entzücken weitergeraucht“ wurde. Solche Anekdoten über den pianistischen Hexenmeister und ansehnlichen Womanizer finden sich zuhauf in zahlreichen Biografien und Betrachtungen des romantischen Virtuosenzeitalters. Und auch sonst ist Liszt im Grunde nie weggewesen. Denn bis heute gibt es kaum einen hochrangigen Pianisten, der sich nicht irgendwann einmal an Liszts reichem Notenoutput versucht hätte, der fingerbrechende Etüden genauso umfasst wie ultrakarge Piècen.
Nun könnte man vermuten, dass dieser Superstar der jüngeren Musikgeschichte nicht nur längst populärwissenschaftlich von all seinen Seiten beleuchtet worden wäre, sondern auch streng musikwissenschaftlich. Irrtum, wie jetzt die Ankündigung eines Großprojekts verdeutlicht. Denn unter der Federführung der Musikwissenschaftlerin Christiane Wiesenfeldt von der Universität Heidelberg tun sich jetzt die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek in Dresden sowie das Goethe- und Schiller-Archiv Weimar zusammen, um tatsächlich erstmals sämtliche Quellen und Werke des Komponisten Franz Liszt in einem digitalen Verzeichnis zu erfassen und online frei verfügbar zu machen. Damit, so Wiesenfeldt, wird „eine zentrale Lücke in der Musikforschung zum 19. Jahrhundert geschlossen“. Immerhin ist Liszt der einzige prominente Komponist des 19. Jahrhunderts, zu dem bis heute kein vollständiges Quellen- und Werkverzeichnis vorliegt. Wiesenfeld: „Das mag auch daran liegen, dass sich Liszts Schaffen in besonderer Weise einem festen Werkbegriff widersetzt. Be- und Überarbeitungen, Neuschöpfungen, Aufführungsvarianten, wechselnde literarische Inspirationen – kaum ein Katalog eines romantischen Komponisten ist derart schillernd, bunt und fließend wie jener von Liszt.“ Im April 2022 soll das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte, auf rund 12 Jahre angelegte Mammutprojekt losgehen.

Guido Fischer



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