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N° 1354
20. - 26.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Andrej Grilc

Sarah Aristidou

Kernfusion der Kunst

Alles auf Anfang: Die Koloratursopranistin liebt die Moderne – für ihr Album „Æther“ sucht sie nun den Weg zu den Urelementen.

Schwer angesichts solch eines überirdischen Wesens die nötige journalistische Distanz zu wahren. Verzaubert doch schon der Blick auf ihr klassisch-ebenmäßiges, von schwarzer Lockenpracht umflossenes Antlitz – und spätestens, wenn Sarah Aristidou zum Lachen ansetzt, ist es um den kritischen Blick geschehen: Denn diesem Zauber aus Natürlichkeit und Temperament vermag sich nicht nur Mann kaum zu entziehen. Ja, sie spüre schon „Lebensfreude und -feuer“ in sich, wohl „auch ein paar Grad mehr als in meiner Familie“, kokettiert die Koloratursopranistin. Auf der Bühne habe sie indes lernen müssen, diese ungestümen Züge zu kontrollieren, was ihrem Gesang eine stärkere Fokussierung und damit „noch mehr Kraft“ verliehen habe – „und das Wilde in mir kann ich dann im Spiel herauslassen“.
Umso mehr nimmt es wunder, dass ausgerechnet solch eine selbstbewusste junge Frau sich nun für ihre Alben-Premiere in die Sphären des Elbisch-Sylphidenhaften aufgeschwungen hat: „Æther“ lautet der Titel ihres Albums – steckt in der anscheinend so im Hier und Jetzt verwurzelten Sängerin insgeheim also eine Esoterikerin? Aristidou lässt ihr glockenhelles Lachen aufleuchten: „Vielleicht habe ich eine gewisse spirituelle Neigung, da ich auch viel Yoga und Meditation mache – doch im Grunde mag ich keine Etiketten, sondern mir ist nur bewusst, dass es in uns etwas gibt, mit dem wir uns sonst nicht so oft beschäftigen.“ Und dann schlägt die französisch-zypriotische Künstlerin die Brücke von den Elementen des altgriechischen Systems – Feuer, Wasser, Luft und Erde – zum Äther, der sich als Ursprung selbiger indes unserer Vorstellung entzöge: „Ich möchte all diese Elemente miteinander verknüpfen.“
Musikalisch ist ihr dieses Ansinnen gelungen, hat die Sängerin doch auf ihrer Suche „nach diesem Ungreifbaren in uns selbst“ Perlen ihres Repertoires aus Georg Friedrich Händels hinreißendem Oratorium „Il Trionfo del Tempo e del Disinganno“ mit Igor Strawinskis „Song of the Nightingale“ und einer Uraufführung von Jörg Widmanns „Labyrinth V“ kombiniert – und für dieses Projekt mit Daniel Barenboim und Emmanuel Pahud obendrein Stars ihrer Zunft gewinnen können. „Mein Traum ist es, die Grenzen zwischen den Epochen zu überwinden und eine Einheit zu schaffen, denn im Ursprung war und ist alles Musik.“
Eine Einheit, die im Alltagsleben viel zu selten realisierbar ist, wie sie schon als Kind erfahren musste: Erlebte die kleine Sarah doch in der zweigeteilten zypriotischen Heimat ihres Vaters, dass die Menschen zwar miteinander diskutierten, ohne aber wirklich aufeinander einzugehen – „wie bei allen politischen Problemen stand dahinter ein Mangel an Empathie und der Fähigkeit zuzuhören“. Und so hat sich Aristidou denn auf ihre Fahnen geschrieben, Brücken zu schlagen und künstlerische Freiheit zu erleben, zu berühren und berührt zu werden, ins Innerste vorzudringen und „das Unaussprechbare auszudrücken“ – eben jene Erlebnisse, die auch ihre Faszination für den Gesang stets aufs Neue befeuern. Ob in Morton Feldmans irritierender Oper „Neither“ oder demnächst als Lulu, für deren Rollen-Studium sie sich nun in eine einsame Hütte an Dänemarks Küste zurückzieht. Um eben das zu (er-)leben, was für dieses ätherische Wesen Musik so überirdisch macht: „Wenn ich singe, dann vibriert alles in mir und ich fühle mich sehr mit mir verbunden.“ Da darf sich dann selbst der kritische Journalist einmal von solch außerirdischen Kräften erfassen lassen …

Neu erschienen:


Varèse, Widmann, Strawinski, Zimmermann u. a.

„Æther“

Aristidou, Barenboim, Pahud, Rivet, Chor der Klangver­waltung, Orchester des Wandels, Guggeis

Alpha/Note 1

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Christoph Forsthoff, 27.11.2021, RONDO Ausgabe 6 / 2021



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