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(c) Thomas Baltès
Ist es eine gewollte Zahlensymmetrie? Vom 12. bis zum 21. Jahrhundert geht die Klangreise, auf die sich die kanadische Sängerin Emily D’Angelo mit ihrem Album „enargeia“ begibt. Dabei sind die Stücke so ausgewählt, dass sich Musikalisch-Mystisches über die Jahrhunderte hinweg begegnet, dass die Klänge von der chronologisch am Anfang stehenden Hildegard von Bingen bis in die Gegenwart hineinreichen – mit Werken von Hildur Guðnadóttir, Missy Mazzoli und Sarah Kirkland Snider, allesamt in den 70er und 80er Jahren geboren. Der Übergang zwischen den stets langsamen Titeln, in denen D’Angelo wie entrückt über sparsamen Arrangements deklamiert, sind fließend, allem liegt wie eine Beschwörung das zugrunde, was der altgriechische Begriff des Albumtitels aussagt: „enargaia“, die Kraft des in der Kunst wirkenden Geistes.
Romain Leleu gehört zu den prominentesten Trompetern seines Heimatlandes Frankreich, und wie vielen Kollegen seines Fachs wurde ihm bald das klassische Repertoire zu knapp. Er begegnete dem Dilemma, indem er nicht nur Arrangements ins Repertoire nahm, sondern gleich ein eigenes Ensemble gründete. So ausgerüstet, präsentiert er als Teil des „Romain Leleu Sextetts“ ein ganzes Bündel schöner Evergreens – angefangen mit dem Blues aus Gershwins „An American in Paris“ über Charlie Chaplins „Limelight“, Serge Gainsbourgs „La Javanaise“, Ennio Morricones „Gabriel’s Oboe“ bis zu Mozarts „Türkischem Marsch“. Klanglich liegt der besondere Reiz im Dialog der wunderbar geschmeidigen Trompete mit dem gut kontrastierenden Background der begleitenden fünf Streicher, wodurch der Stil elegant irgendwo zwischen Salon, Barjazz und Kammermusik balanciert.
Gustav Mahlers Musik hat ja manchen zum Weiterkomponieren, zum Verwandeln oder zum Zitieren inspiriert. So zum Beispiel Luciano Berio, der in seiner 1969 vollendeten „Sinfonia“ Schnipsel aus Mahlers zweiter Sinfonie verwendete. Mit diesem Erbe nimmt es nun das kanadische Ensemble „Collectif9“ auf. Es sind kurze Schlaglichter aus den Mammutsinfonien, aus den Liedern und dem „Lied von der Erde“, die – sehr gekonnt übertragen auf das neunköpfige Streicherensemble – vor dem Publikum vorbeiziehen und innerhalb der meist nur wenige Minuten kurzen Titel zum Sprungbrett für weiterkomponierte Abschweifungen und Assoziationen werden. Wie unter dem Brennglas liegen die ironisch-schmerzlichen Momente von Mahlers Musik, mit durch Klangkonzentration deutlich verstärkter Bitternis.
Jazz Klassik und Jazz zu verbinden, ist ein gefährliches Feld: zu zahlreich die Vorbilder, zu groß die Klischee-Gefahren. Doch man braucht nur kurz in dieses Album hineinzuhören, um zu erkennen, dass sich das vierköpfige Ensemble Clazzic bestens in diesem Fach behauptet. Mit Bass, Schlagzeug, Klavier und der besonders soundbestimmenden Flöte erlebt man eine überschäumende Jam-Session, bei der hier und da klassische Themen hervorzulugen scheinen. Was man freilich zuerst für ausgedehnte Improvisationen hält, erweist sich nach einem Blick ins Booklet als raffinierte, dem Ensemble auf den Leib geschriebene Komposition. Der russisch-israelische Komponist Uri Brener stellt in einer fünfsätzigen Suite Verarbeitungen von Gedanken verschiedener Klassiker vor – gewonnen aus Debussys „Syrinx“, einer Triosonate von Bach, der Melodie eines mittelalterlichen Troubadours, Strawinskis „Feuervogel“ und dem Variationsthema aus Mozarts A-Dur-Klaviersonate. Temperamentvoll und mit Groove holen die vier die großen Meister der Vergangenheit dabei gehörig vom Sockel.
Oliver Buslau, 06.11.2021, RONDO Ausgabe 5 / 2021
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