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Engagiert: Alexander Gilman und seine LGT Young Soloists traten im Wiener Musikverein auf © Mutesouvenir/Kai Bienert
Nein, der Wiener Musikverein hat kein Altersproblem – zumindest nicht, wenn die LGT Young Soloists das Haus beehren und das dortige Durchschnittsalter für eine Weile senken: Der Streichertrupp ist mit Jungvirtuosen aus aller Herren Länder bestückt, die Alterspanne reicht von zarten 12 bis 23 Jahren. Zentraler Financier ist eine etablierte Kraft der Wirtschaftswelt: LGT Private Banking, Geldhaus der Fürsten von Liechtenstein, greift den Nachwuchshoffnungen engagiert unter die Arme. Weil das aristokratische Unternehmen heuer sein Hundert-Jahr-Jubiläum feiert, sind die Musiker besonders generös beschenkt worden – nämlich mit zwei Auftragswerken. Die Stücke sind jüngst in London aus der Taufe gehoben worden und gelangten nun im Wiener Brahms-Saal zu einem weiteren Termin. Prinz Philipp von und zu Liechtenstein, vor Spielbeginn auf die Bühne gebeten, streute den Streichern im Gespräch mit Ensemble-Leiter Alexander Gilman Rosen der Anerkennung. Wobei auch anklang, dass die Musikliebe des Fürstenhauses wesentlich älter ist als dessen Privatbank: Das Adelsgeschlecht hatte bereits Mozart und Haydn unterstützt.
Zweifellos ist auch jeder Euro für die „Young Soloists“ gut angelegt: Antriebsschnell und frühreif, machen die 15 angereisten Jungspunde gemeinsam mit Gilman den Eindruck eines fiedelnden Superhelden-Teams. Die Auswahl der Komponisten hätte sich allerdings mehr Sorgfalt verdient: Die Auftragswerke des US-Amerikaners Philip Glass und des gebürtigen Russen Airat Ichmouratov tragen nicht nur beide den Beinamen „Liechtenstein“, sondern besitzen auch einen Zug zur kulinarischen Gefälligkeit. Dabei arbeitet sich Ichmouratov in seinem „Concerto grosso Nr. 3“ an einer Reihe von Vorbildern ab: Nach einem rasanten Start als Schostakowitsch-Prokofjew-Hybrid müht sich der zweite Satz um einen innigen Tschaikowski-Tonfall, bevor das Finale Erinnerungen an ein fideles Neujahrskonzert weckt. Immerhin: Diese Sprunghaftigkeit sorgt für Kurzweil. Die „Symphonie Nr. 14“ des US-Kollegen besitzt dagegen die bewährten Produkteigenschaften der Weltmarke Glass: Schlichte Akkordfolgen, schwirrende Terzen und sanfte Arpeggios schmiegen sich mit diatonischen Melodiebögen zu Endlosschleifen – nach rund 15 Minuten ist der Zierrat verklungen. Deutlich geräumiger hat Glass sein „Tirol Concerto“ für Streicher und Klavier gestaltet, das postwendend folgt. Das leidet zwar unter einem zählebigen Mittelsatz, beschert dem jungen britischen Tastentiger Martin James Bartlett aber die Gelegenheit, sein samtpfötiges Leggierissimo zu beweisen.
Bleiben als Glanzlicht „Las Cuatro Estaciones Portenas“ von Astor Piazzolla, diese „Vier Jahreszeiten“ nach argentinischem Tango-Gusto: Der Wechsel zwischen schwülen Tanzrhythmen und brüsken Attacken lässt das Ensemble zur Hochform auflaufen und wendig zwischen den Klangfarben und Lautstärken changieren. Zudem dürfen hier auch einzelne Streicher auftrumpfen, weil jeder Satz nach einer virtuosen Violine im Zentrum verlangt. Aus der Riege der wechselnden Solisten ragt vor allem Elif Ece Cansever hervor: Fulminant, wie selbstbewusst, klangsatt und intonationssicher die Türkin ihre Geige tönen lässt. Eine Jungstreicherin, womöglich auf dem Weg zur Weltklasse – und darum bei den Young Soloists vorerst goldrichtig aufgehoben.
Der Autor Christoph Irrgeher ist Redakteur der "Wiener Zeitung".
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