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N° 1353
13. - 21.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Startseite · Interview · Steckenpferd

(c) Simon Pauly

Steckenpferd – Martin Grubinger

Eins, zwei – Pass!

Weiter trainiert hat Martin Grubinger natürlich auch in den Zeiten der Auftrittsverbote während der Corona-Lockdowns. Eine Zwangspause gab’s für den besten Schlagerzeuger der Welt indes bei seiner Freizeit-Leidenschaft – den Besuchen bei den Spielen des FC Bayern in der Münchner Allianz Arena. Denn beim Fußball kann Grubinger herrlich entspannen …

RONDO: Wie groß ist Ihre Sehnsucht nach einem Stadionbesuch, gerade in der Münchner Allianz Arena?

Martin Grubinger: Riesig! Ich war beim allerletzten Spiel der Bayern vor ausverkauftem Haus im März 2020 gegen den FC Augsburg – übrigens ein ziemlich dröger Kick … Diese Fangesänge und das Gefühl, inmitten eines voll besetzten Stadions zu stehen oder zu sitzen, das fehlt mir unglaublich – und ich hoffe sehr, dass dies bald wieder möglich sein wird, so wie ja in Österreich jetzt auch die Konzerthallen wieder voll bespielt werden dürfen.

RONDO: Österreicher und Bayern gelten nicht gerade als die allerbesten Freunde – wie wird da ausgerechnet ein Österreicher zum FC Bayern-Fan?

Grubinger: Ich bin ja Salzburger, und da gibt es schon einen sehr starken sprachlichen, aber auch inhaltlichen Konnex mit den Bayern – anders als bei den Wienern oder den Österreichern im Osten unseres Landes. Und in Salzburg ist der nächste größere Fußballklub, mit dem man mitfiebert, der FC Bayern: Mein erstes Trikot habe ich als Vierjähriger bekommen und besitze inzwischen über 40 Bayern-Trikots.

RONDO: Trotzdem noch einmal nachgehakt: Wie wird ein Salzburger Bub von vier Jahren zum Bayern-Fan?

Grubinger: Wie es genau passiert ist, weiß ich nicht mehr, aber ich kann mich erinnern, dass ich damals schon Lothar Matthäus und auch Stefan Effenberg in seiner ersten Zeit bei Bayern gesehen habe. Es war die Zeit, als Jupp Heynckes zum ersten Mal bei Bayern Trainer war, und auch in der Volksschule waren dann unter meinen Schulkollegen ein paar Bayern-Fans. Wie es ja in der Salzburger Gegend überhaupt eine große Bayern-Fanbasis gibt: Der Bayern-Fan fährt durchschnittlich 140 Kilometer für ein Spiel – das ist also gar nicht so München-zentriert, sondern viele kommen aus dem Umland, und es gibt große Bayern-Fanclubs in Salzburg und Oberösterreich.

RONDO: Klingt also nach einem richtigen Fußball-Fan – und der wechselt bekanntlich ja auch ein Fan-Leben lang nicht den Verein …

Grubinger: (Lacht) … niemals! Ja, da wird bei mir jegliche Ratio, die man vielleicht bei anderen Dingen hat, ausgeschaltet und ich werde zum Verrückten – auch im Stadion: Ich schäme mich dann immer ein bisschen, denn manchmal ist meine Frau mit dabei oder mein Sohn, und ich bin dann so emotional: Natürlich ist der Schiedsrichter immer an allem schuld, und liegt ein Bayern-Spieler am Boden, war das selbstredend ein Foul – dieser unfassbare Gegenspieler, gib ihm Gelb! (lacht)

RONDO: Im Stadion fiebern Sie dann also richtig mit?

Grubinger: Genau – „Steht auf, wenn Ihr Bayern seid …“ und dann stehe ich schon und klatsche. Mein Traum wäre ja, bei den Fans in der Südkurve zu stehen, aber das ist ein sehr eingeschworener Haufen, da kommt man sehr schwer rein … Aber ich bin noch so ein richtiger Fan, der gern auch stehen würde – im VIP-Bereich hinter Glas herumzusitzen, das wäre so gar nicht meine Sache. Ich möchte wirklich das ganze Flair und Umfeld miterleben und will mit den echten Fans leben: Das macht mir Spaß und Freude.

RONDO: Sind Sie dann zu den Heim-Spielen auch in die Münchner Fankneipen eingekehrt?

Grubinger: Ja, absolut! An so einem Bayern-Tag fahre ich schon sehr früh dorthin, ausgestattet mit Hut, Schal, Trikot, Hose und Bayern-Schuhen – und dann gibt’s dazu noch die Meister-Mischung, das sind meine favorisierten Bayern-Gummibärchen (lacht). An einem Spieltag ziehe ich mir dann drei Packungen dieser Mischung rein: Ich bestelle mir die in hohen Dosen über den Fan-Shop und lasse mir meist gleich 20 Packungen zuschicken – meine Frau kann das gar nicht fassen, aber das ist meine ganz große Leidenschaft, und dann esse ich den Pokal und die Meisterteller und die Champions League-Trophäe.

RONDO: Nun scheint die Begeisterung für den Fußball bei Ihnen besonders ausgeprägt zu sein, doch auch grundsätzlich ist es schon überraschend, wie viele klassische Musiker sich für Fußball begeistern oder sogar selbst in ihrer Freizeit spielen …

Grubinger: … ja, das stimmt – ob das nun Julian Rachlin ist, Clemens Hagen oder Daniel Müller-Schott, der sogar mit Philipp Lahm befreundet ist, oder auch diverse Dirigenten wie Paavo Järvi oder Riccardo Chailly, der Rossoneri, also AC Mailand-Fan ist …

RONDO: … woher rührt diese Faszination, denn auf den ersten Blick scheinen das ja zwei sehr gegensätzliche Welten?

Grubinger: Der Fußball hat etwas, das uns Künstler fasziniert. Das ist zum einen diese Kreativität, ständig entstehen neue Situationen. Dann gibt es Leute wie Zidane, die bewegen sich eigentlich wie Balletttänzer: Das hat eine Ästhetik und ein künstlerisches Gesamtverhalten auf dem Platz, dem man sich als Musiker verbunden fühlt. Oder jemand wie Messi, der aus jeder Situation etwas ganz Überraschendes macht: Auch wir Musiker wollen dieses Überraschungsmoment für uns, wollen an einem Konzertabend etwas ganz Neues kreieren und dem Publikum präsentieren.

RONDO: Aber ein solches Überraschungsmoment gibt es auch in anderen Ballsportarten …

Grubinger: … dazu kommt die Verliebtheit mit einem Spielgerät, die wir als Musiker ebenfalls kennen – auch wir sind ja sozusagen eins mit unserem Instrument. Und wenn man bei den Fußballern diese Symbiose mit dem Ball beobachtet, wie sie etwa beim Einspielen mit dem Ball jonglieren, ohne dass der auch nur einmal auf den Boden fällt, wie sie sich diesen zuspielen und eins werden mit ihrem Spielgerät: Das ist schon faszinierend.

RONDO: Und welches fußballerische Moment begeistert Sie als Schlagzeuger am meisten?

Grubinger: Das Timing – dass sich quasi eine rhythmische Situation aus einem Spiel herauslesen lässt. Oft ist ja etwa bei einem Konter zu hören, das Timing für den richtigen Pass habe gefehlt – und genau das ist das Faszinierende, dass man über eine Spielsituation diverse Rhythmen herauslesen und -sehen kann. Wenn man die Dortmunder in ihren guten Zeiten bei einer Kontersituation verfolgt hat, hatte man immer das Gefühl, da ist purer Rhythmus.

RONDO: Das klingt ja fast, als stecke in jedem Fußballer insgeheim auch ein Musiker …

Grubinger: (Lacht) Ich würde ja sehr gern mal eine Mannschaft trainieren, wo man eine große Anlage auf dem Fußballplatz aufstellt und dann sagt: So, liebe Profifußballer, jetzt müsstʼs ihr im Walzerrhythmus einen Konter über fünf Stationen vor das gegnerische Tor trainieren – um-ta-ta, um-ta-ta. Immer auf der eins – und das trainieren wir fünfzigmal, bis sich das richtig im Unterbewusstsein verinnerlicht hat.

RONDO: Und dann?

Grubinger: Dann nehmen wir Samba (schlägt den Rhythmus): Immer auf der Drei – eins, zwei, Pass – eins, zwei, Pass. Dann Montuno-Groove, Salsa (schlägt erneut den Rhythmus), und so trainiert man unterschiedliche Spielgeschwindigkeiten.

RONDO: Und welches Ergebnis erhoffen Sie sich?

Grubinger: Wenn die Spieler diese Rhythmen hunderte Mal wiederholt und im Unterbewusstsein dann diesen gemeinsamen Groove, dieses gemeinsame Timing verinnerlicht haben, kann dies helfen, Missverständnisse in den Laufwegen zu vermeiden, wenn etwa ein Pass in den freien Raum gespielt wird oder eine Mannschaft plötzlich in Ballbesitz kommt. Ich habe diesen Gedanken schon mal in der Sportreportage vorgeschlagen, und Jürgen Klopp hat sich sogar damit beschäftigt …

RONDO: … mit welchem Ergebnis?

Grubinger: Es war ihm dann doch zu wirr und zu komisch. Aber ich würde das zu gern mal testen und halte nach wie vor nach einer Profimannschaft Ausschau, die sagt: Das probieren wir aus. Denn ich glaube fest, dass mit diesem System ein Fortschritt zu erzielen wäre.

Musikalischer Pyrotechniker

Der Artist mit der Schlagzeugnummer: Die Klöppel fliegen nur so über die Stäbe und Röhren, die Klänge schillern in immer neuen Farben, und der Pyrotechniker zündet ohne Unterlass neue Explosionen an seiner Instrumenten-Batterie. Martin Grubinger hat das Instrumentarium aus dem klassischen Abseits befreit und zeigt der Welt seither, dass dieses Hau-drauf sehr wohl auch leiseste, ätherisch-schwebende Momente zu entwickeln vermag. Ein Teufelskerl, dieser österreichische Multipercussionist, der voller Drive und Eleganz über Becken, Kesselpauken und Tom-Toms fegt und Tonkaskaden auf sein Publikum niederprasseln lässt. Und doch zugleich auch Kraft in Poesie zu wandeln vermag.

Christoph Forsthoff, 04.09.2021, Online-Artikel



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