home

N° 1354
20. - 28.04.2024

nächste Aktualisierung
am 27.04.2024



Startseite · Oper & Konzert · Hausbesuch

100. Bayreuther Festspiele

Eule und Tannhäuser

Zunächst die gute Nachricht: Das traditionsreiche Gasthaus »Eule« in Bayreuth, voriges Jahr noch kurz vor dem Einsturz, wird restauriert und rechtzeitig zu den Festspielen 2012 wieder eröffnet. Die schlechte: Sebastian Baumgarten hat »Tannhäuser« für die 100. Bayreuther Festspiele inszeniert. Eine Empörung vom legendären Bayreuth-Exegeten Herbert Rosendorfer.

Man kann gegen den inzwischen an das ewige Regietheater verpflichteten Christoph Schlingensief und dessen »Parsifal« sagen, was man will, langweilig war diese Inszenierung nicht. Den ganzen Abend hindurch war man gespannt, welcher Unsinn Schlingensief als nächstes wieder einfällt. Bei Baumgartens »Tannhäuser« kann man sich höchstens damit unterhalten zu registrieren, was dem Regisseur wieder nicht eingefallen ist.
In der Orchestereinleitung zur Hallen-Arie – einer der Prüfsteine für »Tannhäuser«-Regisseure, nach Wagners Regieanweisung tritt Elisabeth nur »freudig bewegt« ein – lässt Baumgarten Camilla Nylund (akustisch und optisch erfreulich, wenngleich mit einer etwas zu zarten Stimme) sinn- und ziellos auf der Bühne umherzappeln und mit einer Schmuckkette spielen. Das ist das wenigste an Regietheater, was er sich aus den Fingern gesogen hat. Dass der Hirt (Katja Stuber – fast die beste Stimme im Ensemble) besoffen sein muss und zwischen den anderen selbst noch beim Sängerkrieg herumtorkelt, ist schwer zu verstehen.
Es stört aber. Und das ist der Kern des Unbehagens an dieser sogenannten Regie, dass sie die Musik (zer)stört. Wenn Wolfram (der vorzügliche Michael Nagy) bei seinem »Party-Piece«, dem »Abendstern«, über die Bühne hin- und heralbern muss und die von Wagner hier nicht vorgesehene Venus körpernah ansingt, stört das nicht nur die Aufmerksamkeit des Zuhörers, sondern offenbar auch den Sänger selbst, das heißt: die Musik.
Über Baumgarten ist nachzulesen, dass er mit Vorliebe »frei nach« inszeniert – »Tosca« »frei nach Puccini« und »Die Banditen« »frei nach Offenbach «. Er weiß es also besser. In Bayreuth ist das schwierig, da sind die Wagners eigen, obwohl sie dem Baumgarten einige Striche erlaubt haben, die ihm der alte Wolfgang Wagner sozusagen um die Ohren gehauen hätte.
Baumgarten verlegte seine »freien« Untaten also auf das Szenische: Venus ist schwanger, was den Tannhäuser recht unsympathisch macht, weil er nach (unehelicher) Schwängerung die künftige Kindsmutter sitzen lässt. Sollte das irgendwie mit der von Wagner so strapazierten »Erlösung« zu tun haben? Da hätte Baumgarten ungewollt recht, denn der ungenierte Heide Wagner bedient sich hier ja katholischer Versatzstücke: »Mein Heil ruht in Maria!« Geschmackloserweise erscheint dazu eine Videoprojektion einer barbusigen Maria, die mit den Zehen wavorzügckelt. Bei der Schluss-Apotheose : »Halleluja! Halleluja!« hält die Venus ganz vorn und prominent das Neugeborene im Arm: Amor? Hervorragende Rolle: Tritt ganz zum Schluss auf und heimst allen Beifall ein. (Nur, glaube ich bemerkt zu haben, ist es eine Puppe.)
Was die Regietiger nicht wahrhaben wollen: Die Oper und vielleicht gerade die Musikdramen Richard Wagners sind von ihrem Herkommen nach Fest und Märchen. Der Schönheit finstre Feinde wollen das zerstören. Ich hoffe (sind schon Anzeichen vorhanden?), dass dies auf die Untäter des Theaters eines Tages zurückprasselt. Sollte die gerade mit Frank Castorf verhandelte Regie des »Ringes« im Jubiläums-Jahr 2013 zustande kommen, dann: » … er allein/ nützte neidisch / des Ringes Runen / zu aller Edlen / endloser Schmach …« Abzusehen, dass die wirklich großen und guten Sänger und Dirigenten sich von Häusern verabschieden werden, in denen das Regietheater unwest, denn es fällt auch auf den Sänger zurück, wenn er dem Regisseur den Affen macht.
Verdienten Beifall erfuhr – außer den schon Erwähnten – der ganz großartige Günther Groissböck als Landgraf Hermann , unverdienten erfuhr der Tannhäuser Lars Clevemans, von dem man zeitweilig vermuten musste, er habe ein für Sänger unschönes Manko: nicht singen zu können. Problematisch war die Venus von Stephanie Friede: mit schöner Stimme und großer Ausstrahlung begabt, aber durch Baumgartens blödsinnigen Schwangerschafts-Bauch stark behindert, verständlich.
Selten war ein derart einstimmiges »Buuh« zu hören, als Sebastian Baumgarten sich – nein, nicht vor den Vorhang wagte, denn einen Vorhang gab es nicht – auf die Bühne wagte. Danach beim Staatsempfang sah man ihn trotzig und verkniffen herumstaksen. Dem Vernehmen nach soll man ihm geraten haben, sich wie Tannhäuser einer Pilgergruppe nach Rom anzuschließen. Ich fürchte aber, in seinem Fall wird des Papstes Krummstab nicht zu grünen beginnen.

Herbert Rosendorfer, 30.11.1999, RONDO Ausgabe 4 / 2011



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Pasticcio

Ein Glücksfall für die Musik

„Als Karajan 1968 mit den Berliner Philharmonikern nach Leningrad kam, gab es einen Workshop, in […]
zum Artikel

Hausbesuch

Gasteig HP8

Nah dran am Geschehen

Gasteig HP8 und Isarphilharmonie: München leistet sich ein neues Kulturzentrum als Interim für […]
zum Artikel

Musikstadt

Würzburg

Mozarts Musik, barocke Architektur und (Lebens)Kunst – dies ist der unverwechselbare Dreiklang […]
zum Artikel


Abo

Top