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N° 1353
13. - 23.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Zani Casadio

Ravenna Herbstfestival

Auf Dantes Spuren

Vor 700 Jahren starb Dante Alighieri in Ravenna, hier liegt er auch begraben. Nun widmet ihm das Ravenna Festival die Herbsttrilogie.

Mamarazza. Das ist eigentlich der Ehrentitel der Fürstin Marianne zu Sayn-Wittgenstein, die inzwischen älter ist als die Salzburger Festspiele, die sie jahrzehntelang fotografisch begleitet hat. Und eine ähnliche Bezeichnung müsste es eigentlich für Cristina Mazzavillani Muti geben. Die Ehefrau des eben 80 Jahre alt gewordenen Riccardo Muti hat den gebürtigen Neapolitaner nicht nur zum Dauerresidenten ihrer zauberhaft schönen, längst zum UNESCOWeltkulturerbe geadelten byzantinisch-uralten, aber auch wohlhabend-vitalen Heimatstadt an der Adria gemacht. Wo er natürlich auch seit Jahrzehnten auftritt, meist mit dem von ihm gegründeten Jugendorchester Luigi Cherubini. Cristina Mazzavillani, aus gutem Hause, vor ihrer Begegnung mit Riccardo noch auf bestem Weg zur Sängerin, hat sich schnell zum Motor des von ihr und für sie 1990 gegründeten Ravenna Festivals entwickelt. Man sollte die kleine Frau mit den auffällig bunten Kleidern und den noch auffälliger blauen Haaren ja nicht unterschätzen. Das Ravenna Festival ist von Juni bis Mitte Juli Italiens opulentestes, buntestes Sommerfest der Künste, vereint Oper und klassische Musik, Tanz, Jazz, Ethno, Kirchenmusik, elektronische Musik, Schauspiel, Film. Und namhafte Gäste: Pierre Boulez, Claudio Abbado, Lorin Maazel, Valery Gergiev, Zubin Mehta, Georg Solti, Giuseppe Sinopoli, Carlos Kleiber und Georges Prêtre haben hier dirigiert. Das Ravenna Festival hat sowohl dieses als auch letztes Jahr erfolgreich der Pandemie getrotzt, hat jeweils als erste italienische Musikinstitution wieder Lebenszeichen von sich gegeben. Dafür eignet sich die ruinöse Venezianer-Festung Rocca Brancaleone perfekt, die hat ein lauschiges Open-Air-Ambiente, man kennt sich mit guter Verstärkung aus, und selbst auf Abstand sitzt es sich dort konzertbequem. Wie praktisch, dass im nur ein paar Kilometer entfernten Bagniacavallo auch eine weitere tönende Institution, Ottavio Dantones „Accademia Bizantina“, ihren Sitz hat. Gefeiert als eine der führenden Barockformationen Italiens, wagen sich die Musiker immer wieder aus ihrer Komfortzone, stoßen vor bis in romantische Regionen. Selten tun sie das aber so konsequent wie an diesem Juniabend 2021, wildbewegt von Wolken und Wind umspielt, mit zwei deutschen Sinfonien – der 4. von Felix Mendelssohn und der 3. von Robert Schumann, der „Italienischen“ und der „Rheinischen“. Weit über 40 Musiker saßen auf dem Podium und führten nicht nur mit ihren Gummischnüren und Wäscheklammern Notenfixierungskunststücke gegen die Thermik auf. Sie spielten auch, senza Vibrato, aber mit Finesse, flott, flexibel diese oft allzu dröge zelebrierte Musik. Dantone trieb straff an, ohne zu hetzen. Das explodierte in Jubel und Lebensfreude im Saltarello-Finale Mendelssohns, aber auch dessen Bach-Reminiszenzen wurden bedacht. Schön auch der plastisch ausgedeutete, prachtvoll tönende Schumann. Ravenna felice!

Vom Himmel bis zur Hölle

Glücklich war Ravenna auch über einen anderen, sehr berühmten Italiener, der hierher aus Florenz in die Verbannung ging: Dante Alighieri. Seinen Leichnam hat man behalten, obwohl das Grab lange vergessen war, erst im 19. Jahrhundert darüber ein neoklassizistisches Tempelchen errichtet wurde. Lange wollten die Florentiner die Knochen zurück, doch die Franziskaner Ravenna weigerten sich einfallsreich, und fast in Sichtweite steht heute das goldblaue Teatro Comunale Alighieri, wo Cristina Mazzavillani-Muti längst auch eine Herbst-Trilogie, meist mit thematisch verbundenen Opern entwickelt hat, die seit 2012 das Festivalprogramm über den Sommer hinaus erweitert. In diesem Jahr steht die Herbsttrilogie nun im Zeichen von Dantes Reise. Im Jahr der Feierlichkeiten zum siebenhundertsten Todestag Dantes in ganz Italien entwickelt das Festival, für das Leben und Werk des Dichters seit jeher eine Inspiration waren, das Format „Triptychon“: Durch die Sprachen von Tanz, Musik und Poesie als Kommunikationsweg soll die menschliche Natur erkundet werden. Die Reiseroute beginnt vom 1. bis 5. September mit „Metanoia“, einer dreiteiligen neuen Choreografie nach der „Divina Commedia“. Sergei Polunin, Russlands Bad Boy fürs Ballett, wird darin neuerlich seine flamboyante Bühnenpersönlichkeit vorführen. Das Festival endet mit einer Performance des Schauspielers Elio Germano zu Dantes Versen vom 11. bis 13. Oktober. Im Mittelpunkt der Herbsttrilogie steht freilich die „Faust-Rhapsodie“ am 1. bis 3. Oktober. Diese visionäre Neuproduktion unter der Regie von Luca Micheletti und mit dem Dirigenten Antonio Greco an der Spitze des Cherubini-Orchesters und -Chores verbindet Goethes „Faust“ mit der Musik von Robert Schumann. Mit viel mittelalterlicher Symbolik wird die Reise der Frau als Instrument der Erlösung beleuchtet. Und schon vorher beginnt dieser Trip mit der Performance „Quanto in femmina foco d’amor“, einer Meditation über die weiblichen Figuren der Commedia, in der Basilika San Francesco. Faust soll hier als Mythos der Moderne gefeiert werden, so wie er nach der reichen und abwechslungsreichen Erzählung des deutschen Spätmittelalters in Goethes Werk universelle Anziehungskraft fand. Und wie der deutsche Dichter und Dramaturg selbst hat auch Luca Micheletti festgestellt, dass das Theater der einzige Ort ist, an dem man durch das Universum reisen kann, „vom Himmel bis zur Hölle“. Micheletti führt weiter aus: „Faust ist eine Landkarte der Seele, die vom Jenseits spricht, um vom menschlichen Dasein zu sprechen; eine Geschichte, die wir nie aufhören werden, ein unendliches Spiel.“ Dementsprechend ist die „Faust-Rhapsodie“ ein Mosaik aus Theater und Musik. Die italienische Übersetzung von Goethes Drama in der Schumann-Vertonung, stammt übrigens aus dem 19. Jahrhundert und ist von Vittorio Radicati, dem Schwiegersohn des Komponisten. Die Rolle des Faust ist zwischen dem Bariton Vito Priante und dem Schauspieler Edoardo Siravo aufgeteilt; Margherita ist die Sopranistin Elisa Balbo; Bass Riccardo Zanellato und Schauspieler Roberto Latini sind die beiden Seiten von Mephistopheles. Ezio Antonelli, Fabrizio Ballini und Anna Biagiotti kümmern sich jeweils um Bühnen-, Licht- und Kostümbild. Und auch Riccardo Muti hat natürlich schon Dantes Jubiläum gefeiert. Im Juni tuckerte er in einem historischen Zug samt Cherubini-Orchester nach Marradi, mitten im Apennin, an der Strecke nach Florenz. Eigentlich nur für Kastanien und das verrückte Jahrhundertwende-Dichtergenie Dino Campana berühmt, hat das Örtchen an Dantes möglicher Reiseroute auch ein 239 Jahre altes Mini-Theaterchen. Das eröffnete der Maestro nach langer Renovierung mit einem danteanspielungsreichen Konzert. Und dem Appell, dass die vielzähligen italienischen Theater wieder öffnen, dass eine Kulturlandschaft für die Jugend wiedergeboren wird. Wann, wenn nicht nach Corona?

Infos und Buchung:
www.ravennafestival.org, Tel.: +39 544 249244

Zu den Sternen

„A riveder le stelle“ – „die Sterne wiedersehen“, der in diesen Monaten in Italien als Motto vielzitierte letzte Vers des „Inferno“ aus der „Göttlichen Komödie“ scheint natürlich auch beim Ravenna Festival auf, wo man in diversen uralten Kirchen, alle UNESCO-Weltkulturerbe, spielen kann. „Dedicato a Dante“, so steht es auf der Festspielbroschüre unter einem Schwarzweißfoto, das Licht am Ausgang eines Tunnels verheißt. Und es erwies sich auch im 32. Jahr als buntes Tischfeuerwerk und köstlich bestückter Gemischtwarenladen der Künste. Alles geht hier, wenn die Qualität stimmt. 1200 Künstler waren diese Saison dabei.

Matthias Siehler, 18.09.2021, RONDO Ausgabe 4 / 2021



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