home

N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



Startseite · Interview · Gefragt

(c) Nikolaj Lund

Christian Gerhaher

„Ich bin Schumannianer“

Auf einer beeindruckenden Box präsentiert der Liedsänger gemeinsam mit dem Pianisten Gerold Huber sämtliche Klavierlieder von Robert Schumann.

RONDO: Sämtliche Lieder Robert Schumanns auf elf CDs: Was hat Sie und Ihren Pianisten Gerold Huber dazu bewogen, diese Mammut-Herausforderung anzunehmen?

Christian Gerhaher: Schumann ist so etwas wie das Band, das unsere gesamte Karriere durchzieht. Vor 33 Jahren haben wir beide gleichzeitig mit dem Studium begonnen und schon sehr früh haben wir dabei unser Interesse fürs Kunstlied entdeckt. Sicherlich ist Franz Schubert auf diesem Gebiet der Messias, und doch liegt uns beiden Schumann ganz besonders am Herzen. Für mich persönlich ist er der Künstlertypus schlechthin, so wie andere Wagnerianer sind, bin ich Schumannianer. Von daher habe ich schon immer das Ziel verfolgt, ihn so intensiv wie möglich kennenzulernen, wozu einem eine solche Aufnahme hervorragende Gelegenheit gibt.

RONDO: Welchen Ansatz verfolgen Sie bei dieser Gesamtschau?

Gerhaher: Es gab Ideen, die wir schon lange gehegt und entwickelt hatten und die sich bei unserer Auseinandersetzung mit Schumanns Schaffen immer mehr bestätigten: vor allem, dass er Lieder grundsätzlich zyklisch begriffen und komponiert hat, also ein konzeptionell arbeitender Künstler war. Indem wir das in den Vordergrund gestellt haben, haben wir eine Linie gefunden, mit der wir unsere Aufnahme unter den bereits bestehenden positionieren können. Der Reichtum an zyklischen Kombinationsmöglichkeiten bei Schumann ist erstaunlich. Manche Zyklen sind erzählerisch aufgebaut wie die „Kerner-Lieder“, manchen liegt eine völlig abstrakte Idee zugrunde, wie die Meditation über die Zahl drei in den „Drei Gesängen op. 83“. Einige werden durch eine symmetrische, andere durch eine parataktische Anordnung zusammengehalten, doch eines möchten wir für uns generell feststellen: ohne Zyklus kein Schumann. Abgesehen von einigen Spezial-Opera wie „Myrthen“ oder „Liebesfrühling“, in denen zwei Stimmen zum Einsatz kommen, bedeutet das, dass ein Zyklus von einer Stimme gesungen werden müsste, damit die Liedidentität – eine illusionäre Konvention – gewahrt bleibt.

RONDO: Sie bezeichnen sich als „Schumannianer“. Woher rührt ihre enge Verbindung zu diesem Erzromantiker – und was fasziniert Sie als Liedsänger so an Schumanns Umgang mit der Sprache?

Gerhaher: Man muss sich nur jenes berühmte erste „Liederjahr“ 1840 vor Augen halten, in dem sich in Schumanns Werk ein Talent materialisierte, das sich schon Jahre zuvor in seinem Inneren geformt hatte. Er hatte bis zu diesem Zeitpunkt nur Klaviermusik geschrieben und auf einmal schwingt sich dieser literarisch zutiefst gebildete, urteilskräftige Komponist dazu auf, innerhalb kürzester Zeit 140 Lieder zu schaffen, von denen jedes einzelne ein Meisterwerk ist. Nicht in ihrer Konkretion, sondern in ihrer Uneindeutigkeit bekommt die Sprache darin ein musikalisches Spiegelbild vorgesetzt. Sowohl Gerold Huber als auch mich fasziniert diese künstlerische Uneindeutigkeit, die sich dann durch die Kombination so vieler unklarer Lyrizismen weiter fortsetzt. Das ist ja Lyrik: dass die Bedeutung eines Kunstwerks nicht festgenagelt wird, sondern offenbleibt. Darin sehe ich auch die Besonderheit an Schumanns Liedschaffen, und das ist auch mein persönlicher Zugang zu ihm.

RONDO: Wie sieht es mit der Emotionalität bei Schumann aus?

Gerhaher: Die möchte ich als Darsteller nicht herausradieren, weder aus der Musik noch aus der Literatur, die den Liedern zugrunde liegt. Die Emotionalität in Schumanns Musik ist jedoch immer mit vermittelbarer Bedeutung aufgeladen. Und ich möchte erreichen, dass sie nicht mit der Person des Interpreten und auch nicht mit der des Autors oder der des Rezipienten in erklärende Verbindung gebracht wird, sondern ganz losgelöst davon, gewissermaßen gereinigt wirken kann. Keine Sentimentalität also, das wäre furchtbar und inhaltsbehindernd. Bei der Arbeit an unserer Aufnahme ist mir jedoch etwas aufgefallen, das ich nicht erwartet hätte. Und zwar bei den mehrstimmigen Zyklen, die wir, um unserer konzeptionellen Vorstellung gerecht werden zu können, ebenfalls ins Programm genommen haben. Wie ich bereits sagte, definiert sich beim Lied die Idee von Individualität im Klang, durch das Timbre eines Sängers. Tatsächlich ist es die Illusion von der Identität des Darstellers mit dem dargestellten Ich, die aber sofort zerbricht, sobald mehrere Stimmen gleichzeitig singen. Ich glaube tatsächlich, dass der Charakter des Liedes, wie Schumann ihn eigentlich verstanden hat, bei diesen mehrstimmigen Zyklen verloren geht und stattdessen eine gewisse harmlose Süßlichkeit in die Musik einzieht, tatsächlich so etwas wie Sentimentalität – als Vorstellung einer Idealwelt, die dem an so vielem leidenden Schumann vor Augen stand (dessen Lebenswirklichkeit ist nun mehr die Welt seiner einstimmigen Gesänge). Das ist aber nur meine persönliche Erfahrung, die ich wissenschaftlich nicht nachweisen kann.

RONDO: Wie lange waren Sie mit den Aufnahmen beschäftigt?

Gerhaher: Das Projekt kam uns etwa ums Jahr 2013 in den Sinn, die Hauptarbeit im Tonstudio fiel dann in die letzten zwei, drei Jahre. Unser Hauptehrgeiz war die gründliche Vorbereitung, bei der wir die Zyklen erst einmal gemeinsam im Konzert ergründen wollten. Nicht zuletzt deshalb, weil ich trotz meiner langen Erfahrung mit Schumann immer noch einiges für mich zu erarbeiten hatte. Das hat nicht ganz geklappt, aber immerhin beinahe. Das Corona-Jahr hat uns dann geholfen, etwas zügiger als geplant im Tonstudio voranzukommen.

RONDO: Wie konnten Sie die Plattenfirma dazu überreden, ein fast anachronistisch anmutendes Unternehmen wie eine Gesamtaufnahme zu stemmen?

Gerhaher: Mag sein, dass man mit Gesamtaufnahmen heute keine Gewinne mehr erzielen kann, die Plattenfirmen zum Jubeln bringen. Doch erstens hielten sich wegen der überschaubaren Anzahl an Mitwirkenden in unserem Fall die Produktionskosten in Grenzen. Und zum anderen hatten wir neben Sony mit dem Bayerischen Rundfunk und dem Heidelberger Frühling Kooperationspartner an Bord, die das Projekt unterstützt haben. Sony macht viel Geld mit anderen Produkten, und die hier erzielten Überschüsse sind nicht zuletzt dafür da, andere Produktionen zu ermöglichen, die Seriosität ins Repertoire bringen. Und das, denke ich in aller Bescheidenheit, tun wir mit unserer Aufnahme. Die elf CDs beinhalten übrigens nicht nur neue Aufnahmen, sondern teilweise auch unsere ersten beiden Schumann-Alben aus den Jahren 2004 und 2008. Natürlich könnte es sein, dass es solche Gesamtaufnahmen bald nicht mehr geben wird. Das physische Produkt ist immer weniger gefragt. Das heißt allerdings nicht, dass das Lied nicht mehr gefragt sein wird, und soweit ich es verfolge, können Streaming-Angebote bestimmte Vorzüge einer solchen Box noch nicht bieten. Etwa den konzeptionell-dramaturgischen Gedanken, den wir verfolgen. Wenn man eine CD hört, hat man idealerweise eine sinnvoll strukturierte Einheit vor sich. Das hat man bei einer Playlist von Spotify üblicherweise weniger.

Neu erschienen:

Schumann

Alle Lieder

mit Gerhaher, Huber, Rubens, Tilling, Kleiter, Lehmkuhl, Mitterrutzner, Landshamer, Frisch

Sony

Als JPC- und Amazon-Partner verdienen wir an qualifizierten Verkäufen.

Stephan Schwarz-Peters, 04.09.2021, RONDO Ausgabe 4 / 2021



Kommentare

Kommentar posten

Für diesen Artikel gibt es noch keine Kommentare.


Das könnte Sie auch interessieren

Café Imperial

„Peter, das ist genial!“, fällt Ex-Intendant Ioan Holender dem Regisseur Peter Konwitschny um […]
zum Artikel

Unterm Strich

Unterm Strich

Ramsch oder Referenz?

Wenn Opernsänger sich dem Lied zuwenden, gehen sie raus aufs Glatteis. **Katharina Konradi** […]
zum Artikel

Hausbesuch

Rheingau Musik Festival

Ein Sommer voller Musik

Zum 30. Mal bespielen (nicht nur) Klassikstars die Region von Wiesbaden bis Rüdesheim. Für den […]
zum Artikel


Abo

Top