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(c) Christoph Köstlin
Er sei geborener Kleptomane, sagt Albrecht Mayer. „Ich kann mich da gar nicht herausreden“, so der berühmte Oboist. Mit dieser Strategie – und erquickender Bekenntnisfreude – avancierte er zum vielleicht ersten Oboen-Star der Musikgeschichte überhaupt. Und … oops, I did it again: Auf seinem neuen Album, harmloser Titel: „Mozart – Werke für Oboe und Orchester“, präsentiert er gleich sieben Diebstähle auf einen Schlag. Was tut man nicht alles, wenn Mozart fürs eigene Instrument nur ein einziges, einsames Oboenkonzert geschrieben hat. Und man das noch dazu schon vor Jahren (unter Leitung von Claudio Abbado) auf CD aufgenommen hat. Weit über ein Dutzend Alben gibt es von dem heute 55-Jährigen schon. Erstaunliche Bilanz bei einem Instrument, bei dessen Klang man früher eher an Ohrensalbe und alte Herren dachte. Noch „unser aller Oboen-Gott“, so Albrecht Mayer über seinen berühmten Vorgänger Heinz Holliger, verlegte sich bald aufs Dirigieren und Komponieren. Auch wohl, weil ihm das Oboen-Repertoire nicht einladend genug erschien. Ältere Oboen-Meister wie Léon Goosens oder Maurice Bourgue sprachen sich nur bis zu einem Spezialpublikum herum. Erst seit Mayer, der seine Solisten-Stelle bei den Berliner Philharmonikern nie aufgab, hat sich das Instrument als Publikums-Favorit entpuppt.
Herzstück der Neuveröffentlichung ist ein kleiner Coup: der Konzertsatz F-Dur (Allegro) KV 293, der von dem Schweizer Komponisten und Oboisten Gotthard Odermatt komplettiert wurde. „Früher gab es davon nur die Exposition“, so Mayer. Eine ältere Rekonstruktion (von Robert Levin) war seinerzeit schon mit Abbado in Erwägung gezogen, dann aber verworfen worden. „Erst jetzt gefällt es mir richtig gut.“ Ein ganzes Konzert kann es zwar so auch nicht werden. Ein höchst reizvolles Diebesgut aber doch. Hinzu kommt das Konzert für Oboe, Cembalo und Orchester nach KV 299; sonst üblicherweise für Flöte und Harfe. „Ich bin wie Nikolaus Harnoncourt immer auf der Suche nach der Wahrheit, deswegen kommt mir ein Cembalo hier viel naheliegender vor als die – zu Mozarts Zeiten noch zu neue – chromatische Harfe.“ Als prominenten Mitstreiter hat er sich dafür den Cembalisten Vital Julian Frey geholt. Man lernt so Mozart als erfolgreichen Flüchtling aus den Fängen der Frühklassik kennen. Der galante Stil spukt noch nach. Und dann sind da noch Oboen-Versionen des „Exsultate, jubilate“ sowie der Konzertarien „Ah se in ciel, benigne stelle“ KV 538 und „Non temer, amato bene“ KV 505. „Ich erinnere mich gut, wie ich diese Werke vor vielen Jahren mit Cecilia Bartoli erstmals hörte – gemeinsam mit Daniel Barenboim. Ich fragte mich: Wann darf ich mir das einmal stehlen?“ Er habe, so Mayer, ungefähr 20 Jahre gebraucht, um den Mut aufzubringen. „Ich habe jedes Stück vorher im Konzert ausprobiert, um herauszufinden, ob ich es auch verantworten kann“, so Mayer. Mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen (Konzertmeister: Daniel Sepec) hat er sich keine Muckentruppe, sondern eines der hochmögendsten Spezial-Ensembles engagiert. Die geben sich butterzart – und zeigen, dass die Zeiten historisch informierter Schnappatmung und Darmsaiten-Katharrhe ein für alle Male vorbei sind. Auf der Rückseite und im Innern der CD posiert Mayer im historischen Gehrock der Mozart-Zeit, mit Rüschenhemd. Kein ganz überzeugender Versuch des Kostümfotos wohl, weshalb es die Abzüge nicht aufs eigentliche Cover geschafft haben. Im Zugeben experimenteller Irrwege erweist sich Mayer als bemerkenswert ehrlicher Barzahler seines Instruments (von dem er übrigens auch Oboe d’amore und das Englischhorn bläst). Gerade dafür, für Nahbarkeit, wird er von seinem Publikum geschätzt. Mayer ist inzwischen so sehr sein eigener Prototyp, dass es das ihm ‚auf den Leib gebaute‘ Instrument sogar zu kaufen gibt. „Fast so ähnlich wie bei Michael Schumacher der Ferrari auf seinen speziellen Fuß und seine Augen zugeschneidert wurde.“ Eine Oboe müsse „ohne Limit“ zu spielen sein; so wie ein sehr schnelles Auto kein Tempo-Limit kenne, so Mayer. (Es zeigt sich hier der traditionelle Hang von Berliner Philharmonikern zu schnellen Autos …) Was soll das in seinem konkreten Fall bedeuten? „Ich spiele mit sehr viel Luft“, so Mayer. Und dafür muss ein Instrument ausgelegt sein. „Nur dann nämlich kann ich so klingen wie ein Sänger.“ Mayer weiß sehr wohl, dass gute Sänger nicht unbedingt mehr Luft brauchen. „Ich bin Tenor, wenn ich singe. Weiß aber, dass Instrumentalisten, wenn sie gut sein wollen, immer ein Stück weit simulieren.“ „Früher sagte man immer, Oboisten würden – wegen des hohen Drucks im Kopf – zuerst verrückt, stürben am Schlagfluss und verlieren frühzeitig die Haare“, so Mayer. Seine Lehrer indes spielten alle heute noch. Auch Haare habe er seinerseits immer noch. „Nur mit der Verrücktheit, da kann man natürlich nichts machen.“ Auch hier indes erweist sich die Oboe als trostspendendes Instrument. „Das Gute ist ja, man merkt es nicht.“ Am Ende ist es noch von Vorteil.
Kleiner Crash-Kurs gefällig? Die Oboe, Enkelin der mittelalterlichen Schalmei, kam im französischen Barock in Mode. Noch Bach schrieb für die ältere Oboe d’Amore. Wichtigstes neueres Zeugnis: Mozarts Oboenkonzert KV 314 (überragend schön gespielt von Albrecht Mayer, Dirigent: Claudio Abbado; DG). Schon mit den Solo-Konzerten von Vincenzo Bellini und Richard Strauss gerät das Instrument wieder aus dem Fokus. Die besten Einspielungen: Hansjörg Schellenberger (Bellini) und Lothar Koch (Strauss), beide mit den Berliner Philharmonikern. Das wär’s schon fast. (Vaughan Williams: weit abgeschlagen …) Daher bearbeiten die Oboisten. Oder ‚entlehnen‘.
Robert Fraunholzer, 10.04.2021, RONDO Ausgabe 2 / 2021
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