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N° 1353
13. - 24.04.2024

nächste Aktualisierung
am 20.04.2024



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(c) Nikolaj Lund

Heidelberger Frühling

Romantik mit Lied-Gen

Ein innovativer Intendant, eine aufgeschlossene Bürgerschaft und spannende Künstler: der Heidelberger Frühling wird 25.

Schläft ein Lied in allen Dingen. Vor allem schläft und singt es immer noch leise, ganz leise, auch in einer der bis heute romantischsten Städte Deutschlands. Im bildlichen, im historischen, aber ganz besonders auch im literarischen Sinne. Schon Joseph von Eichendorff stellte 1857 fest: „Heidelberg ist selbst eine prächtige Romantik.“ Die blaue Blume der Romantik suchen hier inzwischen vor allem die Touristen, ganz besonders die aus dem asiatischen Raum, welche die Alte Brücke, das pfalzgräfliche Schloss in schönster „Ruinenromantik“, den Philosophenweg und überhaupt die ganze, gar nicht so große, länglich am Neckar sich hinziehende Altstadt in ihrer studentischen Schnuckeligkeit bevölkern. Und bisweilen wirft auch schon mal der Frühling Mitte März in dieser klimatisch begünstigten Region sein sprichwörtliches, von Eduard Mörike besungenes blaues Band aus und lässt es flattern. Im März und April ist in Heidelberg nämlich auch Festspielzeit, seit 25 Jahren schon. Und weil der so sympathische wie zupackende Leiter Thorsten Schmidt zwei positiv konnotierte Begriffe zusammenbringen wollte, heißt dieser etwa fünfwöchige Musentreff mit seinen inzwischen über 47.000 Besuchern „Heidelberger Frühling“. Seit einiger Zeit ist dieses so feine wie unverwechselbare, sich clever in diverse Minizellen aufspaltende Musikfest auch ein Ort des Liedes. Naturgemäß hatte die Gattung hier eine ihrer Heimstätten und dem gelernten Tenor Thorsten Schmidt liegt sie besonders am Herzen. Gerade hier, in der südwestdeutschen Universitätsstadt, wo einst die vielfach für Lieder von Schumann bis Brahms und Mahler ausgeschlachtete Gedichtsammlung „Des Knaben Wunderhorn“ von Arnim und Brentano zusammengetragen wurde, wo die mittelalterliche Liederhandschrift des Codex Manesse aufbewahrt wird. Festivalchef Thorsten Schmidt glaubt fest an ein „Lied-Gen“, das diese sinnesfrohe Stadt besitze. Er hat deshalb nicht nur ein Internationales Liedzentrum gegründet und Thomas Quasthoffs Nachwuchswettbewerb „Das Lied“ aus Berlin an den Neckar geholt. Thomas Hampson kümmert sich schon seit einiger Zeit in seiner in das Festival implantieren, allen interessierten Besuchern offenstehenden Lied-Akademie um die Youngsters. Und inzwischen gibt es als weitere thematische Insel im Heidelberger Festivalreigen das „Neuland.Lied“ im Juni. Überhaupt ist der ehemalige Direktor des Philharmonischen Orchesters auch nach 25 Jahren noch lange nicht zu Ende: „Alle Ideen, die ich bisher verwirklicht Feshabe, wurden in den ersten drei, vier Jahren formuliert. Und da stehen noch viele mehr in meinen Notizbüchern.“ Lied.Lab, Lied Akademie, „Das Lied“, Neuland.Lied – so unterschiedlich wie bei den Festivalzellen für diese Gattung präsentiert sich der Heidelberger Frühling mit seinen insgesamt 130 Veranstaltungen überhaupt. Mit dem Streichquartettfest im Januar, den Akademien für Liedgesang, Kammermusik, Komposition und Musikjournalismus sowie der Heidelberg Music Conference hat Thorsten Schmidt immer neue, beliebte Formate geschaffen, die ein erfreulich heterogenes, auch jugendlich durchmischtes Publikum anziehen. Von regional bis global – hier kann beinahe jeder fündig werden, vor allem aber der Aufgeschlossene und Neugierige.

Der Kunst zugewandt

Es scheint fast so, als habe Schmidt mit dem Heidelberger Frühling wirklich einen Nerv getroffen und einen Ort entdeckt wie erobert. Heidelberg ist von alters her eine bürgerliche, der Kunst zugewandte Stadt. Und weil der Heidelberger Frühling eben nicht ein Spezialistenfestival in einem Dorf oder an einem anderen nur schönen Ort ist, genießt man zugleich auch die Infrastruktur und die Angebote einer Stadt. Dazu kommt dann die schöne Umgebung, die mit ihrer lieblichen Hügellandschaft ins Grüne einlädt. Auch für das leibliche Wohl ist von deftig bis Sterneküche in großer, auch internationaler Varianz gesorgt. Dank der Studenten ist in der Altstadt in den urigen Traditionskneipen auch abends was los, aber es gibt auch trendige und stylische Lokalitäten. Genauso wie für die Übernachtung, von der Familienpension über Brauereigasthöfe bis zu witzigen Designhotels oder der Edelherberge des „Europäischen Hofs“ mit seiner etwas steif-gestrigen, aber irgendwie auch gemütlichen Eleganz, vielfältig abgestufte Angebote zu finden sind. Natürlich gibt es in Heidelberg auch Programme zu erleben, die die Künstler auf Tourneen weiterreichen. Warum auch nicht? Denn darum herum schmiegt sich viel Originelles und Einzigartiges, durchaus eine Lücke im dichten deutschen Festspielkalender schließend. Der in der Festivalszene grassierenden Lust auf Themen hat auch der Heidelberger Frühling mit Mottos wie „Mut“ oder „Freiheit“ nicht widerstanden, um auf diese Weise aktuelle Bezüge zu verdeutlichen. Obwohl in der Regel auch die Musik der klug gewählten Programme und die Künstler vom Star bis zum jungen, hoffnungsfreudigen und hoffentlich wiederkommenden Talent dafür ausreichten. Das garantieren schon allein jene Partner, die sich Schmidt für seine Akademien ausgesucht hat. Thomas Hampson, der Grandseigneur des lyrischen Baritonfachs, kann hier um sich selbst und um das Lied seine Fans sammeln wie den Nachwuchs befeuern. Der aufstrebende Klavierstar Igor Levit konnte früh und authentisch an die Neckarstadt gebunden werden. Er ist treu, ja mehr noch: Er engagiert sich in der Kammermusik-Akademie. Das wissen seine zahlreichen Anhänger zu schätzen. Und die Tonsetzer Matthias Pintscher und Jörg Widmann hatten das richtige Alter, um in einem Atelier des zeitgenössischen Komponierens die Funken schlagen zu lassen – ohne dass ein überfordertes Publikum die Flucht ergreifen musste. Dann wäre da noch die Stadthalle Heidelberg, Mittelpunkt des Heidelberger Frühlings. Hat man sich erstmal an die deutschtümelnden Adler als Raumschmuck im Großen Saal mit seinen immerhin rund 1200 Plätzen gewöhnt, stellt man fest, dass sie optisch wie akustisch eigentlich ganz ansprechend ist. Bis 2023 wird sie gerade renoviert und optimiert. Auch mit mäzenatischer Hilfe – 33 Millionen Euro sind von privater Seite versprochen, sechs Millionen muss die Kommune aufbringen. Könnte der Heidelberger Frühling dank der neuen Stadthalle gar ein Heidelberger Sommer, Herbst und Winter werden? Thorsten Schmidt denkt darüber nach. Aber eines ist für ihn klar: Die großen Orchester wird man auch künftig nur ausnahmsweise in Heidelberg hören: „Das hier ist ein Festival des Neuen und des Diversen.“ Übrigens: Das Band des Frühlings ist zwar nicht nur in Heidelberg blau, aber dennoch kommt der Heidelberger Frühling in frischem Grün daher. Bestimmt auch die nächsten 25 Jahre.

www.heidelberger-fruehling.de

Frühlingserwachen 2021?

Dieses Jubiläum hatte man sich anders ausgemalt. Schon der Heidelberger Frühling 2020 war eines der ersten Festivals, das wegen der Pandemie komplett abgesagt werden musste. Auch die 25. Ausgabe steht auf der Kippe. „Wir sind gerne früh“, seufzt Thorsten Schmidt, „aber für Corona offenbar zu früh“. Das von einem internationalen Publikum bis zu den USA besuchte Streichquartett-Festival wurde schon gestrichen, jetzt wartet man ab. Ein digitales Festival wird es nicht geben, das mag Schmidt nicht, „mir fehlt da was“, und er kann es sich, da stark auf die Karteneinnahmen angewiesen, gar nicht leisten. „Irgendwie werden wir Präsenz zeigen, das ist natürlich notwendig“. Für Träumer gibt es alle Konzerte 2021 als Idee auf heidelberger-fruehling.de.

Matthias Siehler, 13.02.2021, RONDO Ausgabe 1 / 2021



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